Aktuelle Ernährungsmedizin 2016; 41 - V13
DOI: 10.1055/s-0036-1583865

Obligates Screening auf Mangelernährung im Klinikalltag. Eine prospektive Evaluation

M Wäsch 1, I Dammann 1, H Weiss 1, S Löser 2, D Behrendt 2, M Plauth 1
  • 1Städtisches Klinikum Dessau, Klinik für Innere Medizin, Dessau, Deutschland
  • 2Städtisches Klinikum Dessau, Dessau, Deutschland

Mangelernährung bedeutet für den Patienten ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. In verschiedenen Ländern wurde deshalb ein obligates Mangelernährungs-Screening eingeführt. In Deutschland gibt es diesbezüglich keine verbindlichen Regelungen, insbesondere auch keine Strukturvorgaben hinsichtlich ernährungsmedizinisch qualifiziertem ärztlichen und medizinischen Assistenzpersonal.

In einem Klinikum der Schwerpunktversorgung (30.000 Fälle p.a.) wurde obligates Screening mittels NRS-2002 (durch die Pflege bei jeder Aufnahme) sowie bei NRS ≥3 Erhebung von SGA (Ärzte), Tellerprotokoll (Pflege) und Bestimmung von Albumin (Ärzte) zunächst auf 5 Pilotstationen und später auf 7 weiteren Stationen eingeführt. Die gesamte Dokumentation erfolgte prospektiv in Echtzeit online in der elektronischen Krankenakte. In die Auswertung gingen die Daten für 12 Monate der 5 Pilotstationen und 7 Monate von 5 weiteren Stationen ein. Die Daten der 10 Stationen (9804 Patienten) wurden nach dem Anteil von Patienten mit NRS ≥3 geordnet und das erste mit dem dritten Tertil verglichen (Tabelle; Mittelwert ± SD). Die Stationen des Tertils 3 (2 x Kardiologie, HNO) nahmen 7 Monate an der Erhebung teil und erhielten eine intiale Schulung. Zwei der Stationen des Tertils 1 (Gastro, Pneumo, Onkologie) nahmen nach initialer Schulung 12 Monate an der Erhebung teils; alle drei nahmen das Ernährungsteam regelmäßig in Anspruch.

Tab. 1

Tertil 1

Tertil 3

p (t-Test)

Anzahl Patienten (n)

3.341

2.571

Patienten mit NRS (%)

95,5 ± 1,8

91,8 ± 1,8

0,10

Patienten mit NRS ≥3 (%)

41,3 ± 9,6

8,3 ± 1,8

0,03

Patienten mit Tellerprotokoll (%)

37,7 ± 9,8

5,1 ± 0,7

0,04

Patienten mit SGA (%)

6,7 ± 3,4

0 ± 0

0,13

Patienten mit Albumin (%)

31,6 ± 10,3

3,6 ± 0,6

0,06

Schlussfolgerungen:

  • Die formale Umsetzung des obligaten Screenings wird zu > 90% erreicht, jedoch weckt der sehr niedrige Anteil von Patienten mit NRS ≥3 Zweifel an seiner korrekten Durchführung.

  • Die Erhebung des SGA durch die Ärzte erfolgt nahezu nicht, während die Anordnung der Laborbestimmung Albumin durch die Ärzte in vergleichbar hohem Maße erfolgt wie die Anfertigung des Tellerprotokolls durch die Pflege. Die Empfehlung des SGA zur Diagnose der Mangelernährung erscheint somit praxisfremd.

  • Die „Verordnung“ eines obligaten Screenings ohne Verfügbarkeit eines Ernährungsteams läuft Gefahr einer sinnentleerten und für den Patienten nutzlosen Maßnahme.