Zeitschrift für Phytotherapie 2016; 37 - V02
DOI: 10.1055/s-0036-1584427

Heilpflanzen in der begleitenden Therapie des Mamma-Karzinoms – wie ist die wissenschaftliche Evidenz?

M Rostock 1, 2
  • 1Institut für komplementäre und integrative Medizin, Bereich Innere Medizin – Onkologie, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz
  • 2Universitäres Cancer Center Hamburg, Hubertus Wald Tumorzentrum, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Hamburg, Deutschland

Das Mamma-Karzinom ist der häufigste maligne Tumor der Frau in der westlichen Welt. Die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland wird auf ca. 70000 pro Jahr geschätzt, in der Schweiz und in Österreich auf 5700 resp. 5500. Durch die heute etablierten multimodalen Therapiekonzepte, die neben der Operation je nach individuell vorliegender Konstellation eine adjuvante chemo-, strahlen- und/oder hormontherapeutische sowie Antikörpertherapie beinhalten, kann in den meisten Fällen eine Heilung der Erkrankung erreicht werden oder zumindest eine längerfristige Remission.

Viele Brustkrebspatientinnen entwickeln unter der antitumoralen Therapie ihrer Erkrankung jedoch auch ausgeprägte Beschwerden und suchen nach komplementärmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten insbesondere in der Phytotherapie. Während nichtmedikamentöse komplementäre Therapieverfahren wie Akupunktur, Yoga, Qigong, Achtsamkeitsmeditation, Hypnose sowie körperliches Training und einige Ernährungsempfehlungen auf der Basis durchgeführter Interventionsstudien heute bereits Einzug in die Empfehlungen von Therapieleitlinien gefunden haben, sind derartige Empfehlungen für Phytotherapeutika vor dem Hintergrund relativ weniger vorliegender Therapiestudien und Skepsis gegenüber optionaler Interaktionen heute noch sehr viel zurückhaltender. Verordnungen erfolgen daher in der individuellen Situation auf der Grundlage der Expertise des Behandlers, der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz und des Therapiewunsches der Patientin. Im Kongressbeitrag soll der wissenschaftliche Hintergrund für den Einsatz ausgesuchter wesentlicher Heilpflanzen näher dargestellt werden.

Die Heilpflanze, die im deutschen Sprachraum am häufigsten im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung Anwendung findet, ist die Mistel (Viscum album). In verschiedenen randomisierten, z.T. auch doppelblind durchgeführten Studien bei Patientinnen mit einem Mamma-Karzinom konnte ein positiver Effekt auf die Lebensqualität gezeigt werden, wenn ein Mistelextrakt begleitend zur Chemotherapie subkutan verabreicht worden war. Übelkeit und Erbrechen während der chemotherapeutischen Behandlung haben in der Onkologie heute Dank der pharmakologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre etwas an Schrecken verloren. Dennoch leiden nach wie vor viele Brustkrebs-Patientinnen an Übelkeit und suchen nach zusätzlichen Therapieoptionen. Neben der Akupunktur und auch Akupressur z.B. des Akupunkturpunktes Pe 6 profitieren viele Patientinnen von der Anwendung von Ingwerrhizom-Extrakten. In den meisten Fällen kann das Mamma-Karzinom heute brusterhaltend operiert werden, bedarf dann aber i.d.R. einer adjuvanten Strahlentherapie. Die topische Anwendung einer Calendula-haltigen Salbe und in einer anderen Untersuchung einer Silymarin-haltigen Creme hatte in ersten Untersuchungen zu einer besseren Strahlenverträglichkeit der Haut geführt.

Die größte Beeinträchtigung im Zusammenhang mit ihrer antitumoralen Behandlung erleben die meisten Frauen durch oft sehr lang anhaltende und sehr ausgeprägte Fatigue-Beschwerden. Im Vordergrund der Behandlung stehen körperliche Bewegung (möglichst bereits prophylaktisch) und Psychoedukation. Auch Akupunktur und Akupressur sind hilfreich einsetzbar. Phytotherapeutisch liegen positive Studienergebnisse aus Untersuchungen mit Ginsengwurzel-, Guarana- und auch Baldrianwurzelextrakt vor. Andere Adaptogene wie Extrakte aus Rhodiola rosea oder auch Eleutherococcus senticosus werden ebenfalls häufig eingesetzt, sind aber spezifisch bei Cancer-related fatigue noch nicht klinisch untersucht.

Der größte Teil der Mamma-Karzinome ist hormonrezeptorpositiv und die Patientinnen bedürfen einer mindestens fünfjährigen endokrinen Therapie. Diese ist zwar sehr effektiv, führt aber bei vielen zu erheblichen hormonentzugsbedingten Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, Trockenheit der Schleimhäute und auch Gelenkbeschwerden, was die Patientinnen nicht selten zu einem Therapieabbruch verleitet. Von der therapeutischen Anwendung hochdosierter isolierter Phytoöstrogene (> 100 mg Isoflavone) wird in der aktuellen AGO-Leitlinie zum Mamma-Karzinom abgeraten – Isoflavon-haltige Präparate hatten auch in randomisierten Therapiestudien keinen Effekt gezeigt.

Extrakte aus dem Rhizom der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) wurden bislang in verschiedenen Therapiestudien zur Beeinflussung klimakterischer Beschwerden von Brustkrebs-Patientinnen unter antihormoneller Therapie untersucht, teils mit Überlegenheit gegenüber Placebo, teils ohne Unterschied gegenüber Placebo und in den Beobachtungsstudien mit einer Beschwerdelinderung im Behandlungsverlauf. Möglicherweise spielt die Dosierung eine wesentliche Rolle, wie eine mehrarmige randomisierte Studie bei postmenopausalen Frauen ohne Mamma-Karzinom herausgestellt hatte.

Während RCTs i.d.R. mit Monoextrakten durchgeführt werden, findet man in der klinischen Anwendung sehr häufig Kombinationsbehandlungen mit verschiedenen Heilpflanzen, die sich nach der jeweils vorliegenden Symptomatik ausrichten (z.B. Salbei, z.B. Heilpflanzen mit psychovegetativ ausgerichtetem Wirkungsspektrum) und meist auch diätetische (z.B. Leinsamen) und weitere komplementärmedizinische Ansätze (z.B. Akupunktur) beinhalten. Eine sehr interessante Studie zum klimakterischen Syndrom bei Frauen ohne Mamma-Karzinom hatte für die individualtherapeutische Anwendung von persönlichen Rezepturen von Heilpflanzen-Kombinationen signifikante und klinisch relevante Therapieeffekte gezeigt.

Neben den in der Supportivtherapie etablierten Phytotherapeutika finden sich weitere Heilpflanzen, deren klinische Bedeutung heute z.T. noch kontrovers diskutiert wird, die aber nicht nur in der Präklinik ein erhebliches Potenzial aufweisen. So zeigen Zubereitungen aus Cannabis sativa und enthaltene Cannabinoide Wirkungen auf Übelkeit und Erbrechen, Kachexie, polyneuropathische Symptome und Schmerzen sowie auch antitumorale Effekte. Welche klinische Relevanz experimentell belegte antitumorale Wirkungen zahlreicher ansonsten bei anderen Indikationen eingesetzter Heilpflanzenextrakte haben, ist aus heutiger Sicht noch schwer abschätzbar.

Heilpflanzen und die aus ihnen hergestellten Zubereitungen spielen für viele Patientinnen mit einem Mamma-Karzinom eine erhebliche Rolle. Die vorliegende Evidenz aus klinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen unterstützt ihre Anwendung und ihre weitere Erforschung.