Laryngorhinootologie 2017; 96(07): 441-442
DOI: 10.1055/s-0037-1606176
Leserbrief + Antwort
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Antwort auf den Leserbrief

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Publication Date:
02 August 2017 (online)

Antwort auf den Leserbrief

Der Leserbrief von Prof. Dr. mult. Siegert unterstreicht wesentliche Aspekte rund um das Thema „teilimplantierbare Hörsysteme“ und den Artikel „Ein alternatives Hörsystem bei Vorschulkindern mit Gehörgangsatresie“ [1]. In der Sache besteht prinzipiell hoher Konsens, aber dennoch unterscheiden sich die Sichtweisen eben doch in einigen Punkten:

Während die beidseitige Versorgung gehörloser Kinder mit Cochlea-Implantaten seit langem akzeptiert ist, besteht im Falle von Kindern mit einer einseitigen Hörstörung oftmals Zurückhaltung gegenüber einer Hörsystemversorgung unter der Annahme, dass aufgrund des peripheren Normalgehörs der Gegenseite die Sprachentwicklung unauffällig verliefe. Allerdings weisen solche Kinder, gerade die mit einseitiger Gehörgangsatresie [2], einen verlangsamten Spracherwerb sowie im Verlauf eine deutliche Einschränkung ihrer Schulleistungen auf [3–8]. Was inzwischen für die Versorgung einseitig hörbehinderter Erwachsenen gilt, sollte damit auch bei Kindern gelten. Auch die S2k-Leitlinie „Periphere Hörstörungen“ empfiehlt bei einer einseitigen Schwerhörigkeit das Anbieten einer Hörsystemversorgung und bei Kindern mit großen Ohrfehlbildungen „zunehmend Versorgungen mit aktiven Mittelohrimplantaten ab dem ersten Lebensjahr“ [9]. Selbstredend muss für den Einzelfall eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.

Das Besondere an dem dargestellten Kollektiv unserer Untersuchung ist, dass es sich hier um sehr junge Kinder (Vorschulkinder) handelt, die bislang als isolierte Gruppe nicht ausschließlich in der Literatur erörtert wurden. Ziel unserer Untersuchung war daher die Erhebung der Durchführbarkeit der Operation, der Tragedauer und der Elternzufriedenheit. Ziel der Untersuchung war aber weder eine vergleichende Beurteilung noch Bewertung verschiedener Hörsysteme (z.B. BAHA/Cochlear Corporation oder Sophono / Medtronic o. a.) vorzunehmen. Insofern erhebt die Arbeit keinen Anspruch auf eine komplette Darstellung aller auf dem Markt verfügbaren Systeme im Sinne einer „Übersichtsarbeit“.

Unsere Publikation zielt ab auf die Versorgung einer Patientengruppe mit einem durchschnittlichen Alter von 2;11 Jahren (0;8–5;9) bei Implantation. Bei der Interpretation der audiologischen Ergebnisse muss dieses besonders berücksichtigt werden. Zum einen kann in diesem Alter eine getrenntohrige Tonschwellenaudiometrie oft nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Zum anderen wird eine Vertäubung des Gegenohres wenig toleriert. Der Vergleich des Hörgewinns mit anderen Studien fällt damit schwer, zumal Publikationen, die ebenfalls ausschließlich Kinder im Vorschulalter untersuchen, schlicht derzeit nicht vorliegen. Auch die im Leserbrief zitierten Studien untersuchten ein anderes Alterskollektiv (Kinder im Schulalter oder Erwachsene). Des Weiteren wird die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erheblich durch die geringen Fallzahlen der verfügbaren Studien limitiert. Es kann damit nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die zitierten Ergebnisse von Zernotti et al. (2016, N=4) und Denoyelle et al. (2013, N=6) repräsentativ auf größere Patientengruppen mit einer anderen Altersstruktur übertragen werden können [10,11]. Es bleibt daher gegenwärtig offen, welche Versorgung die momentan audiologisch effektivste ist.

Zweifelsohne geht die Anwendung von kalottenverankerten Hörsystemen in der Theorie mit einem geringeren Operationsrisiko im Vergleich zu Systemen, die im Bereich des Mittelohrs platziert werden, einher. Allerdings bieten nur an Mittelohrstrukturen angekoppelte Systeme den potenziellen Vorteil einer selektiven Stimulation des betroffenen Ohres, während bei knochenverankerten Hörsystemen ein Überhören des Knochenschalls auf das kontralaterale Ohr zu erwarten ist. Eine vergleichende Untersuchung unterschiedlicher knochenverankerter oder im Bereich des Mittelohrs positionierter Hörsysteme bei Kindern bleibt zukünftigen Studien vorbehalten.

Die prinzipiell einfache Operationstechnik der knochenverankerten Hörsysteme bedingt nicht automatisch geringere Komplikationen und Nebenwirkungen. Exemplarisch sei auf eine neuere Arbeit von Denoyelle et al. (2015) verwiesen, die hinsichtlich der Patientenpopulation mit der vorliegenden Arbeit von Leinung et al. am ehesten vergleichbar ist, findet sich eine Komplikationsrate von 40% (6 von 15 Kindern) bedingt durch Wundheilungsstörung, Hautirritationen und Schmerzen [12]. Insofern darf bei diesem anspruchsvollen Patientengut, das eben häufig durch Fehlbildungen des äußeren Ohres bzw. des Gehörgangs gekennzeichnet ist, durchaus von einer erhöhten Komplikationsrate ausgegangen werden.

Die Datenerhebung für den hier diskutierten Artikel war im Dezember 2014 abgeschlossen worden. Bei dem von Herrn Prof. Siegert erwähnten jungen Patienten war mehr als 3 Jahre nach der Implantation und damit nach dem Studienzeitraum im Rahmen einer Mastoiditis die Explantation der Vibrant Soundbridge erforderlich geworden. Der weitere Verlauf war durch Wundheilungsstörungen bei bakteriellen Mischinfektionen mit teilweise mehrfach resistenten Erregern gekennzeichnet. Gegenstand der diskutierten Arbeit war die chirurgische Versorgung von Kindern mit einer Vibrant Soundbridge bei uni- oder bilateraler Gehörgangsatresie sowie die Erfassung der Tragedauer und der Zufriedenheit der Eltern. Es handelt sich nicht um eine Langzeitbeobachtung zu Spätkomplikationen oder zur Nachhaltigkeit der Implantat-Nutzung. Dieses wird Gegenstand einer Folgestudie sein.

Der von Prof. Siegert verfasste Leserbrief verdeutlicht hervorragend die komplexen Anforderungen und unterschiedlichen Blickwinkel in Bezug auf die Indikationsstellung, Beratung, Durchführung und schließlich Langzeitbetreuung der betroffenen Patienten mit angeborener Gehörgangsatresie. Durch die Verfügbarkeit unterschiedlicher technischer Konzepte und Lösungsstrategien wird die Notwendigkeit zur Durchführung von Multicenter-Studien sehr deutlich. Begleitet durch einen wissenschaftlichen Diskussionsprozess, der im Idealfall zur Vereinheitlichung der Evaluationskriterien führt, könnte hier das Deutsche Studienzentrum für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DSZ) eine ideale Plattform bieten, um gemeinsam die Fallzahllimitationen zu überwinden und eine umfassende Datenbasis zu erzeugen.

 
  • Literatur

  • 1 Leinung M, Zaretsky E, Ernst BP, Trier B, Stöver T, Hey C. Die Vibrant Soundbridge®: Ein alternatives Hörsystem bei Vorschulkindern mit Gehörgangsatresie. Laryngo-Rhino-Otol 2016; 95 (9) 627 -633
  • 2 Jensen DR, Grames LM, Ernst BP, Lieu JE. Effects of aural atresia on speech development and learning: Retrospective analysis from a multidisciplinary craniofacial clinic. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2013; 139 (8) 797 -802
  • 3 Lieu JEC. Unilateral hearing loss in children: speech-language and school performance. B-ENT 2013; Suppl 21 107-115
  • 4 Bess FH, Tharpe AM. Unilateral hearing impairment in children. Pediatrics 1984; 74 (2) 206-216
  • 5 Bovo R, Martini A, Agnoletti M, Beghi A, Carmignoto D, Milani M, Zangaglia AM. Auditory and academic performance of children with unilateral hearing loss. Scand Audiol Suppl 1988; 30: 71-74
  • 6 Brookhouser PE, Worthington DW, Kelly WJ. Unilateral hearing loss in children. Laryngoscope 1991; 101 (12, pt. 1) 1264-1272
  • 7 Culbertson JL, Gilbert LE. Children with unilateral sensorineural hearing loss. Ear Hear 1986; 7 (1) 38-42
  • 8 Hallmo P, Møller P, Lind O, Tonning FM. Unilateral sensorineural hearing loss in children less than 15 years of age. Scand Audiol 1986; 15 (3) 131-137
  • 9 Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 049/010 – S2k-Leitlinie: Periphere Hörstörungen im Kindesalter. 2013
  • 10 Zernotti ME, Di Gregorio MF, Galeazzi P, Tabernero P. Comparative outcomes of active and passiv hearing devices by transcutaneous bone conduction. Acta Otolaryngol 2016; 136 (6) 556-558
  • 11 Denoyelle F, Leboulanger N, Coudert C, Mazzaschi O, Loundon N, Vicaut E, Tessier N, Garabedian EN. New closed skin bone-anchored implant: Preliminary results in 6 children with ear atresia. Otol Neurotol 2013; 34 (2) 275-281
  • 12 Denoyelle F, Leboulanger N, Coudert C, Mazzaschi O, Loundon N, Vicaut E, Tessier N, Garabedian EN. Hearing rehabilitation with the closed skin bone-anchored implant Sophono Alpha1: Results of a prospective study in 15 children with ear atresia. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2015; 79 (3) 382-387