Nervenheilkunde 2009; 28(11): 835-838
DOI: 10.1055/s-0038-1627164
Übersichtsarbeit
Schattauer GmbH

Schnell und jung, weise und alt

Altersabhängigkeit geistiger Leistungen am Beispiel der Physik- und Friedensnobelpreisträger[*] Fast and young, wise and old
R. Rau
1   Medizinische Fakultät der Universität Ulm
,
T. Kammer
1   Medizinische Fakultät der Universität Ulm
,
M. Spitzer
1   Medizinische Fakultät der Universität Ulm
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Publication History

Eingegangen am: 09 December 2008

angenommen am: 09 December 2008

Publication Date:
20 January 2018 (online)

Zusammenfassung

Die geistigen Leistungen des Menschen unterliegen Veränderungen über die Lebenszeit. Die Geschwindigkeit und Präzision des Arbeitsgedächtnisses nimmt mit zunehmendem Alter ab, das Wissen über die Welt, die Lebenserfahrung, nimmt hingegen zu. Seit Cattell (6) werden diese Unterschiede mit den Begriffen der fluiden und kristallinen Intelligenz bezeichnet. Unter der Hypothese, dass für das Nachdenken über Physik vor allem die fluide und für das Stiften von Frieden vor allem die kristalline Intelligenz bedeutsam sind, wurde untersucht, ob sich das Alter der entsprechenden Nobelpreisträger zum Zeitpunkt der jeweiligen wesentlichen Errungenschaft bzw. der Preisverleihung unterscheidet. Anhand von Daten von 1901 bis 2006 wurden hochsignifikante Unterschiede gefunden: Die Nobelpreisträger der Physik waren zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung im Durchschnitt 19,6 Jahre jünger als die Friedensnobelpreisträger zum Zeitpunkt ihrer preiswürdigen Tat. Auch das Alter bei der Preisverleihung unterschied sich mit 8,7 Jahren hochsignifikant. Um in der Physik Bahnbrechendes zu leisten, bedarf es vor allem fluider Fähigkeiten. Da diese ihren Höhepunkt im frühen Erwachsenenalter besitzen, haben die Physiknobelpreisträger ihre großen Entdeckungen vor allem im jüngeren Alter gemacht. Anders verhält es sich bei den Friedensnobelpreisträgern, deren Lebenserfahrung in späteren Lebensabschnitten erst voll zum Tragen und zum diplomatischen Erfolg führt.

Summary

The mental faculties of human beings change across the life span. Speed and precision of working memory reaches a peak in young adulthood and decreases thereafter, whereas knowledge increases until late life. Cattell (6) coined the terms fluid and crystallized intelligence to denote this distinction in the development of mental capacities. We hypothesized that thinking about basic problems in physics involves fluid intelligence whereas it takes a great deal of knowledge (or even wisdom) to broker peace. Accordingly, winners of the Nobel Prize in Physics should be younger at the time of their discovery, and the time of their reception of the Nobel Prize, respectively, than winners of the Nobel Prize in Peace. This hypothesis was confirmed using the available data on the Nobel Prizes from their very beginning in 1901 up to the year 2006: At the time of their discovery Nobel laureates in physics were 19.6 years younger that the winners of the Nobel Prize in Peace at the time of their diplomatic accomplishment. At the time of Prize-reception, this difference in age was about 8,7 years. Both effects are highly significant. In order to do physics, fluid intelligence is needed, and as this capacity reaches a peak early in life, Nobel laureates in physics produced their accomplishment comparatively early in life. In contrast, Nobel Prize in Peace winners used the experience of a lifetime for diplomatic success.

* Die vorliegende Arbeit ist eine Zusammenfassung der Dissertation „Kristalline und fluide Prozesse am Beispiel der Physik- und Friedensnobelpreisträger“ von R. Rau zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm (2008).