Kinder- und Jugendmedizin 2017; 17(03): 170-176
DOI: 10.1055/s-0038-1629413
Endokrinologie/Psychiatrie
Schattauer GmbH

Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter

Gender dysphoria
A. Specht
1   Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kinder-medizin
,
J. Gesing
1   Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kinder-medizin
,
R. Pfäffle
1   Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kinder-medizin
2   Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Pädiatrische Endokrinologie, Department für Frauen- und Kindermedizin
3   Zentrum für Pädiatrische Forschung, Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kindermedizin
,
A. Kiess
4   Herzzentrum Leipzig, Klinik für Kinderkardiologie, Helios AG
,
A. Körner
3   Zentrum für Pädiatrische Forschung, Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kindermedizin
,
W. Kiess
1   Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kinder-medizin
3   Zentrum für Pädiatrische Forschung, Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche, Universität Leipzig, Department für Frauen- und Kindermedizin
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Publikationsverlauf

Eingereicht am: 25. Juli 2016

angenommen am: 05. August 2016

Publikationsdatum:
24. Januar 2018 (online)

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Zusammenfassung

Geschlechtsdysphorie (GD) im Kindes- und Jugendalter ist geprägt von einem anhaltenden, klinisch relevanten Unbehagen gegenüber dem eigenen biologischen Geschlecht. Studien, die die Prävalenz der GD in Deutschland beschreiben, gibt es bisher noch nicht. An-hand einiger europäischer Studien kann aber davon ausgegangen werden, dass sie ungefähr bei 0,2–0,6 % liegt. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, wobei nach neuester Studienlage anzunehmen ist, dass sich das Geschlechterverhältnis allmählich angleicht. Da die anhaltende Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter häufig mit sozialer Ausgrenzung und psychiatrischen Komorbiditäten wie Depressionen sowie selbstverletzendem und suizidalem Verhalten einhergeht, ist eine adäquate Betreuung der Betroffenen ausgesprochen wichtig. Neben der psychologischen oder psychiatrischen Therapie der Begleiterkrankungen können Jugendliche den internationalen Empfehlungen entsprechend ab dem 12. Lebensjahr bzw. dem Pubertätsstadium 2–3 nach Tanner mit GnRH-Analoga therapiert werden, um ein Voranschreiten der Pubertät zu verhindern und damit den wachsenden Stress zu verringern. Ab dem Alter von 16 Jahren können Jugendliche mit gegengeschlechtli-chen Hormonen therapiert werden. Eine chirurgische Geschlechtsangleichung ist ab einem Alter von 18 Jahren möglich, die Mastektomie wird häufig sogar schon früher durchgeführt. Die Behandlungsmöglichkeiten sind nicht unumstritten. Aufgrund fehlender Langzeitdaten und der geringen Rate an persistierenden GD wird besonders der Einsatz von GnRH-Analoga zur Unterdrückung der Pubertät kontrovers diskutiert. Ungeklärt sind bislang auch die Ursa-chen der Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter, weshalb weitere Forschung auf diesem Gebiet erforderlich ist.

Summary

Gender dysphoria (GD) in childhood and adolescence is characterized by a relevant emotional distress towards the somatic gender. At present state there are not yet any studies about the prevalence of GD in Germany, but according to some European studies one can assume that the prevalence is approximately 0.2% to 0.6%. Boys are more often affected than girls, although recent studies show that sex ratio is adapting. Gender dysphoria in childhood and adolescence is often accompanied by psychical social exclusion and comorbidities such as depression, self harm and attempted suicide. Therefore an appropriate treatment is important for the person concerned. From the age of 12 or Tanner stadium 2 to 3 on children can be treated with GnRHanalogs to suppress puberty and reduce to increasing emotional distress. Cross-sex hormones can be given from the age of 16 and the age of 18 adolescents can undergo first sex reassignment surgeries. The current options of treatment are discussed controversially. Especially the treatment with GnRHanalogs is criticized because of a lack of long term data and the low rate of persistent gender dysphoria beyond adolescence. The cause of gender dysphoria is still unknown; there are some theories but no concluding consensus. Due to that and in order to improve the medical treatment and to understand the etiology of GD there is a need for more research on this topic.