Zusammenfassung
Die Prognose intrakranieller Massenblutungen bei hereditärer Blutungsneigung ist trotz der Verfügbarkeit von Faktorenkonzentraten noch immer schlecht: viele Patienten versterben bereits bei der ersten Blutung, die Überlebenden behalten meist schwere Folgeschäden zurück. Eine Verbesserung der Prognose ist nur bei sehr frühzeitiger Diagnosestellung und entsprechend früher Substitution mit Faktorenkonzentraten zu erhoffen. Insbesondere bei Neugeborenen mit Nabelschnurblutungen oder anderen Blutungsproblemen sollte neben anderen -zugegebenermaßen häufigeren -Ursachen (46) an die Möglichkeit eines hereditären Gerinnungsdefekts gedacht und eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden. Dies erscheint insbesondere bei Mangelzuständen der Faktoren I, VII, VIII, IX, X und XIII wichtig, da diese Patienten bereits im Säuglingsalter zu schweren intrakraniellen Blutungen neigen. Eine leere Familienanamnese schließt einen schweren hereditären Gerinnungsdefekt keinesfalls aus, da Heterozygote klinisch meist unauffällig sind. Bei der Hämophilie ist die Erkrankung in der Familie im allgemeinen bereits bekannt, jedoch ist auch hier eine klinische Erstmanifestation im Säuglingsalter möglich.
Bei Jugendlichen und Erwachsenen mit bekannten Gerinnungsdefekten -insbesondere bei der Hämophilie A und B - sollte auch nach geringfügigem Trauma im Bereich des Kopfes immer eine Substitution mit Faktorenkonzentraten erfolgen, da ca. die Hälfte der intrakraniellen Blutungen posttraumatisch, u.U. mit einer Latenz von Tagen, auftritt.
Bei hereditären Thrombophilien sind bisher nur vereinzelt zerebrale Thrombosen beschrieben worden. Hereditäre Mangelzustände antiko- agulatorisch wirksamer Gerinnungsproteine sind jedoch erheblich häufiger als solche prokoagulatorisch aktiver Faktoren: der Protein-C-Mangel z.B. ist mit einer Heterozygotenzahl (die klinisch allerdings meist unauffällig sind) von 1:250 (61) sogar die häufigste Erbkrankheit des Menschen überhaupt. In Anbetracht der Tatsa-Tatsache, daß die meisten antikoagulatorisch wirksamen Gerinnungsfaktoren erst seit wenigen Jahren bekannt bzw. beim Patienten meßbar sind, ist esnaheliegend, daß die klinische Bedeutung von Mangelzuständen dieser Faktoren auch bei zerebralen Thrombosen in den nächsten Jahren erheblich zunehmen wird.