Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(01): 95-96
DOI: 10.1055/s-0038-1676884
Wissenschaftliche Sitzung am 21.03.2018
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Grenzen in der Gynäkologie – ethische Aspekte

H Kreß
1   Universität Bonn, Lehrstuhl Sozialethik
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Publication Date:
17 January 2019 (online)

 

Gynäkologische Grenzfragen brechen fachlich-medizinisch sowie ethisch auf. Ihre Bewertung hängt auch von nationalen Traditionen ab. Fachlich partizipiert die Gynäkologie an Grenzproblemen, denen sich die Hochleistungsmedizin generell zu stellen hat: pragmatisch Grenzen des medizinisch Erreichbaren etwa in der Tumortherapie; prognostisch Grenzen der Einschätzung von Behandlungsverläufen. Ethisch ist relevant, dass Patientinnen und Ärzte auf Grenzen ihrer subjektiven Urteilskraft stoßen können. Im Sinn des Philosophen Karl Jaspers ist dann von schicksalhaften „Grenzsituationen“ zu sprechen. In solchen Fällen ist ein substanzieller Dialog zwischen Ärzten, der Patientin, Angehörigen, anderen Betroffenen und den Pflegenden geboten. Für die letztliche Entscheidung hat die Perspektive der Patientin den Ausschlag zu geben. Im heutigen Pluralismus ist zu beachten, dass die persönliche Sicht aller Beteiligten soziokulturell bedingt und geprägt ist. Im Problemfall, z.B. bei religiösen Vorurteilen oder kulturell bedingtem Paternalismus, ist kritische Aufarbeitung vonnöten. – Im Vergleich zu anderen Zweigen der Medizin weist die Frage nach „Grenzen“ in der Gynäkologie noch eine Besonderheit auf. Gegebenenfalls sind nicht nur Interessen der Patientinnen, sondern von Dritten zu berücksichtigen, die sich selbst noch nicht äußern können, nämlich Kinder. Dies betrifft den Schwangerschaftsabbruch und ist für Fortpflanzungsmedizin sowie Neonatologie als Nachbargebiete der Gynäkologie wichtig. Fortpflanzungsmediziner dürfen nicht jeden Behandlungswunsch erfüllen. Vielmehr haben sie Grenzen zu ziehen, sofern das physische oder psychosoziale Wohl von Kindern, die mit ihrer Assistenz erzeugt werden sollen, gefährdet erscheint. In Grenzfällen der Neonatologie sollte sich die Entscheidung der Eltern an dem vermuteten Interesse des Kindes selbst orientieren, das bereits geboren ist. – Ein international erörtertes Grenzthema, speziell der Gynäkologie, ist der seltene Fall, ob nach dem Hirntod einer Frau die Schwangerschaft aufrechterhalten werden soll. Vorgeburtlicher Lebensschutz darf hierbei nicht absolut gesetzt werden. Belangvoll sind die nachwirkenden Persönlichkeitsrechte der Hirntoten. Ohne oder gar gegen ihren erklärten oder vermuteten Willen ist eine solche Handlungsoption äußerst kritisch zu beurteilen.