Kinder- und Jugendmedizin 2019; 19(02): 126-127
DOI: 10.1055/s-0039-1684069
Fallvorstellungen der Gewinner der Reisestipendien
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Letaler Verlauf einer Hirnblutung bei einem Jugendlichen mit chronischer Immunthrombozytopenie

T Dietrich
1   Universitätsklinikum Dresden, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Bereich Hämatologie, Onkologie und Hämostaseologie, Dresden
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
17 April 2019 (online)

 

Einleitung:

Die primäre Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine autoimmunologische Erkrankung mit einer isolierten Thrombozytopenie < 100 Gpt/l im peripheren Blut. Bei einer Persistenz der ITP über 12 Monate liegt definitionsgemäß eine chronische Verlaufsform vor. Bei pädiatrischen Patienten kommt es meist zu leichten bis mittleren Haut- und/oder Schleimhautblutungen. Schwere und lebensbedrohliche Blutungskomplikationen treten selten auf und kommen vor allem bei persistierender Thrombozytopenie < 20 Gpt/l vor. Allerdings ist gerade im Kindes- und Jugendalter die Thrombozytenzahl nur sehr eingeschränkt mit der Blutungssymptomatik korreliert. Daher muss der Entscheid zur Behandlung individuell getroffen werden.

Die intrazerebrale Hämorrhagie (ICH) stellt die schwerwiegendste Blutungskomplikation der ITP dar und tritt mit einer geschätzten Inzidenz von 0,2 – 0,8% selten auf. Laut Literatur ist die ICH häufig mit der Entwicklung neurologischer Defizite (30%) und einer hohen Mortalität (25%) assoziiert. Neben Glukokortikoiden und i.v.-IgG (IVIG) sind in den letzten Jahren zunehmend Thrombopoetin-Rezeptoragonisten (TRA) als Therapie der chronischen ITP in den Fokus gerückt. Mit Romiplostim und Eltrombopag sind aktuell zwei TRA von der US Food and Drug Administration (FDA) bei Kindern ab dem 1. Lebensjahr mit ITP > 6 Monate und unzureichendem Ansprechen auf Glukokortikoide, IVIG oder Splenektomie zugelassen. In Placebo-kontrollierten Studien kam es bei 40 – 50% der Patienten zu einem dauerhaften Anstieg der Thrombozyten auf ≥50 Gpt/l. Unter Eltrombopag oder Romiplostim kam es allerdings nicht zu einer signifikanten Reduktion lebensbedrohlicher Blutungsereignisse. Trotz neuer Therapieansätze stellt das Management der chronischen ITP weiterhin eine Herausforderung dar, da das individuelle Blutungsrisiko nicht vorherzusagen ist, nur einige Patienten relevant bluten und auf die bestehenden Therapiemöglichkeiten nicht oder nur unzureichend ansprechen. Wir präsentieren den Fall eines 15-jährigen Jungen mit chronischer ITP, der unter laufender Eltrombopag-Therapie bei einem plötzlichen Thrombozytenabfall eine letal verlaufende Hirnblutung entwickelte.

Kasuistik:

Im 8. Lebensjahr kam es erstmalig bei isolierter Thrombozytopenie (< 2 Gpt/l) zum Auftreten von Petechien. In einer auswärtigen Kinderklinik erfolgte die Therapie mit Prednisolon über 12 Tage mit 4 mg/kgKG/d und nachfolgendem Tapering über 3 Wochen, welche nach 10 Tagen zunächst zum Thrombozytenanstieg und danach zur dauerhaften Normalisierung der Thrombozytenwerte führte. 4 Jahre nach Erstmanifestation entwickelte der Junge erneut 2 thrombozytopenische Episoden (4 – 6 Gpt/l), Haut- und Schleimhautblutungen, sowie eine Mikrohämaturie. Unter der Therapie mit Prednisolon und IVIG stiegen die Thrombozyten jeweils in den Normbereich an.

Im Verlauf entwickelte der Junge intermittierend eine leichte Granulozytopenie mit Absolutwerten von 1,2 – 1,3 Gpt/l (normal: 1,8 – 7,9 Gpt/l). Zu einem späteren Zeitpunkt ließen sich erstmals granulozytäre Antikörper und thrombozytäre Glykoprotein-IIB/IIIA- sowie Glykoprotein-IbIX-Antikörper nachweisen. Das differenzialdiagnostische Vorliegen einer von-Willebrand-Erkrankung, thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP), eines Lupus erythematodes oder eines Immundefektes wurde bereits vorher ausgeschlossen.

Bei rezidivierendem Auftreten ausgeprägter Thrombozytopenien wurde im Alter von 14 Jahren eine Therapie mit Eltrombopag 25 mg/d begonnen. Darunter kam es zu einer raschen Normalisierung der Thrombozytenzahlen über 6 Monate. Unter unveränderter Behandlung mit Eltrombopag fiel dann Infekt-assoziiert der Thrombozytenwert auf 4 Gpt/l ab. Bei Normalisierung der Thrombozytenwerte (161 Gpt/l) innerhalb 1 Woche wurde die Eltrombopag-Dosis zunächst beibehalten. Nach weiteren 2 Monaten kam es erneut zum plötzlichen Thrombozytenabfall auf 5 Gpt/l, Epistaxis und ausgeprägten Haut- und Mundschleimhautblutungen. Nach stationärer Aufnahme in ein externes Krankenhaus und dortiger IVIG-Gabe über 5 Tage (kumulativ 2 g/kgKG) sowie Erhöhung der Eltrombopag-Dosis auf 50 mg/d kam es zwar nicht zu einem Anstieg der Thrombozytenzahl, jedoch zu einer rückläufigen Blutungssymptomatik, so dass die Entlassung erfolgte.

Am Morgen danach erbrach der Patient rezidivierend und wurde zunehmend somnolent. Bei Übernahme in unsere Klinik bestanden bereits lichtstarre Pupillen. In der Schädel-CT zeigte sich eine ausgeprägte intrazerebrale Blutung infratentoriell gelegen mit Zeichen des Liquoraufstaus. Es erfolgte die sofortige operative Hämatomausräumung und die Einlage einer externen Ventrikeldrainage. Nach initial nicht messbaren Thrombozytenwerten kam es auch im weiteren Verlauf nach Substitution von Thrombozytenapheresekonzentraten (insgesamt 36), der Gabe von Eltrombopag 50 mg/d, Dexamethason und nachfolgend hochdosiertem Methylprednisolon zu nur über einige Stunden anhaltenden Thrombozytenanstiegen. Trotz strikter neuroprotektiver und hirndrucksenkender intensivmedizinischer Maßnahmen trat eine progrediente untere und obere Einklemmung auf, woraufhin im Konsens mit der Familie die Therapie beendet wurde und der Junge verstarb.

Als Auslöser der ICH kommt wahrscheinlich ein intrakranieller Druckanstieg unter starkem Pressen beim Toilettengang in Betracht. Ein Kopftrauma, eine vaskuläre Malformation oder ein Aneurysma bestanden nicht.

Schlussfolgerung:

Diese Kasuistik zeigt das schwierige Management bei einer chronischen ITP, welche nur in sehr seltenen Fällen mit einer lebensbedrohlichen Blutungskomplikation assoziiert ist. Bei dem Patienten bestanden zuvor keine bedrohlichen Blutungen und die ICH entwickelte sich bei einem plötzlichen Thrombozytenabfall mit Therapierefraktärität. Ein grundsätzlich aggressives therapeutisches Vorgehen bei einer chronischen ITP bei Kindern und Jugendlichen kann aus diesem Fall aus unserer Sicht nicht abgeleitet werden. Wichtig ist das rechtzeitige Identifizieren der besonders blutungsgefährdeten und somit auch therapiebedürftigen Patienten. Dazu ist die Entwicklung eines Risikoscores möglichst unter Verwendung bereits vorhandener Registerdaten und weiterführender Untersuchungen wünschenswert. Das kombinierte Vorliegen spezifischer thrombozytärer Antikörper, wie bei unserem Patienten, könnte dabei einen der Risikofaktoren darstellen.