Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2019; 47(04): 266-267
DOI: 10.1055/s-0039-1692754
Was kann moderne Tierzucht leisten?
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zucht auf Krankheitsresistenz beim Schwein und Wiederkäuer

G Reiner
1   Klinikum Veterinärmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. August 2019 (online)

 

Vorkommen und Nutzung

Resistenzunterschiede kommen praktisch bei allen Erreger-Wirts-Beziehungen vor. Häufig können Tiere oder Populationen gegenüber spezifischen Erkrankungen als tolerant angesehen werden, d.h. sie werden zwar infiziert, reagieren aber nicht empfindlich und bleiben weitgehend gesund. Seltener zeigen sich die Tiere resistent und können eine Infektion vollends verhindern, beispielsweise weil modifizierte Rezeptoren dem Erreger den Zutritt zur Zelle verwehren. Oft werden beide Möglichkeiten als Resistenz zusammengefasst und es ist eine quantitativ verteilte, relative Resistenz gemeint. Wenige ökonomisch bedeutsame Erkrankungen werden mithilfe phänotypischer Selektion der Zuchttiere auf Resistenz kontrolliert. Hierzu zählen beim Schaf die Resistenz gegen Magen-Darm-Nematoden und Mastitis, beim Rind die Resistenz gegen Zecken und Trypanosomen sowie gegen Mastitis. Die Zahl der Eier im Kot oder der Zecken auf der Körperoberfläche sowie die Zellzahlen der Milch werden dabei seit vielen Jahren erfolgreich zur Selektion eingesetzt, insbesondere an Standorten mit Anthelminthikaresistenz. Beim Schwein spielt die phänotypische Selektion auf Krankheitsresistenz bislang keine Rolle. Das Hauptproblem: Sie ist aufwendig und ungenau. Daher ist es von großer Bedeutung, den ungenauen, weil extrem umweltabhängigen Phänotyp langfristig durch Genmarker zu ersetzen, die bereits bei den Zuchttieren eine Aussage über die bei deren Nachkommen zu erwartende Resistenzlage zulassen.

Nur wenige Resistenzen werden durch Hauptgene bestimmt

Doch hier entsteht ein neues Problem: Die meisten Resistenzunterschiede sind polygene Merkmale. Das heißt, die günstige Variante eines Gens muss nicht immer mit dem resistenten Tier assoziiert sein, weil deren Wirkung durch mehrere andere Genvarianten, die man nicht einmal kennt, überlagert wird. Dieses erschwert nicht nur die Identifikation beteiligter Gene, sondern relativiert auch deren Zuverlässigkeit im praktischen Einsatz. Beispiele für die Existenz und Nutzung von Resistenzen mit Hauptgeneffekten sind Scrapie beim Schaf sowie F4- und F18-Rezeptoren beim Schwein zur Kontrolle von Saugferkel- und Absetzerdurchfällen und der Ödemkrankheit. Beim Rind steht bislang keine Resistenz gegen Infektionskrankheiten mit monogenem Erbgang zur Verfügung.

Selektion bei polygenem Erbgang

Resistenzen mit polygenem Erbgang wurden bislang, wenn überhaupt, phänotypisch, quantitativ-genetisch bearbeitet. Heute versucht man, die assoziierten Gene zu identifizieren, auch wenn sie nur einen Teil der phänotypischen Varianz erklären, und die Marker in der genomischen Selektion synchron zu nutzen. Zuchtunternehmen setzen beim Schwein oft auf anonyme Marker mit Kopplung zur Resistenz, z.B. gegenüber Haemophilus (H.) parasuis und PRRSV. Doch die Wirkung ist unsicher, weil die Gesamtresistenz nur in Teilen erfassbar ist und weil sich spontan, durch Crossing over zwischen der funktionellen Variante und dem Marker, eine Selektion in die falsche Richtung ergeben kann. Dennoch wird mit Hochdruck an der Identifizierung von Resistenzgenen gearbeitet, insbesondere an solchen gegen PRRSV, Influenza A, Afrikanische Schweinepest (ASP), Actinobacillus pleuropneumoniae, H. parasuis, Mycoplasma hyopneumoniae und Ascaris suum beim Schwein, Magen-Darm-Nematoden, Kokzidien, Moderhinke und Mastitiden beim Schaf sowie Magen-Darm-Nematoden, Mastitiden, Ektoparasiten, Moraxella bovis (Pinkeye), Erkrankungen des Respirationstrakts, Tuberkulose, Brucellose, Paratuberkulose, Maul- und Klauenseuche und BSE beim Rind.

Vom Kandidatengen zum Gene Editing

Um die Chance auf nutzbare Resistenzen zu erweitern, werden Informationen aus der Grundlagenforschung genutzt, um z.B. Rezeptoren für bestimmte Erreger per Gene Editing auszuschalten oder den Embryonen genetische Informationen zur Neutralisierung von Erregern einzubauen. So kann genetische Variation induziert werden, die natürlicherweise nicht vorkommt oder noch nicht entdeckt wurde. Das Paradebeispiel hierfür ist die Erzeugung PRRS-resistenter Schweine durch Modifikation des CD163-Rezeptors. Ähnliche Konzepte werden hinsichtlich der ASP beim Schwein sowie der Mastitis und der Tuberkulose des Rindes verfolgt. Milchdrüsen werden zum Impfstofflabor umfunktioniert.

Das Gene Editing erlebt derzeit eine Entwicklung, die ihresgleichen sucht. Dennoch bleiben noch viele Fragen offen, bis solche Verfahren im Einzelnen gefahrlos und ohne Nebenwirkungen angewandt werden können – und dürfen. Es steht jedoch zu erwarten, dass die klassische Methodik der Tierzucht, mit oder ohne Marker, mittelfristig von einem Gen-Baukasten-System überholt wird mit kaum auszumalenden Folgen. Begrenzend ist dann allein noch das Wissen um die geeigneten Kandidatengene.