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DOI: 10.1055/s-0039-1696304
Psychometrische Diagnostik in der Versorgung von SuchtpatientInnen – Anwendung einer digitalisierten Testbatterie für die individualisierte Behandlung
Publication History
Publication Date:
03 September 2019 (online)
Einleitung Suchterkrankungen weisen ein heterogenes, multifaktoriell bedingtes Störungsbild auf, dass durch die gängige Klassifikation in meist dichotome Diagnosen nicht ausreichend abgebildet wird. Das vom US-amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) initiierte RDoC-Projekt (Research Domain Criteria) schlägt eine Ätiologie-basierte Nosologie für psychische Erkrankungen unter Einbeziehung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse vor. Durch eine multidimensionale Diagnostik sollen individualisierte Behandlungsansätze ermöglicht werden. Auf Grundlage dieses Konzepts wurde ein Instrumentarium zur Bedarfs- und Verlaufsdiagnostik entwickelt und in die Routineversorgung einer Suchtklinik im Rahmen des Qualifizierten Entzugsprogramms implementiert.
Methode PatientInnen in stationärer und teilstationärer Behandlung zum Qualifizierten Entzug wurde wöchentlich eine Batterie aus etablierten, evidenzbasierten Fragebögen per Tablet oder PC administriert und die Ergebnisse im elektronischen Krankenblatt (ORBIS) dargestellt. Die Testbatterie umfasst suchtspezifischen Merkmale (Craving, Abhängigkeitsschwere), psychopathologische Belastung (Depressivität, Ängstlichkeit, Schlafstörungen, traumatische Lebensereignisse) und neuropsychologische Funktionen (Impulskontrolle, Persönlichkeitsmerkmale). Die Erhebung erstreckt sich über fünf Zeitpunkte, wobei Instrumente für Craving, Depressivität und Angst wöchentlich ausgefüllt werden. Die PatientInnen erhalten Rückmeldung und die Ergebnisse fließen in die Therapiegespräche und Visiten ein.
Ergebnis Seit 2016 nahmen etwa 900 Patienten an der routinemäßigen Befragung in Quer- und Längsschnitt teil. Die Selbstauskünfte wurden zusammen mit klinischen Befunden (Anamnese, Diagnosen, Therapieverlauf) ausgewertet. Erste Analysen zeigen erwartbareZusammenhänge der psychosozialen Belastung mit suchtspezifischen Merkmalen, sowie allgemein verbesserte Affektivität und reduziertes Craving im Verlauf der Behandlung. Patienten mit initial sehr hohen Werten in den Craving- und Depression-Skalen haben ein erhöhtes Risiko für Rückfall oder Therapieabbruch.
Diskussion Eine standardisierte Erfassung ätiologie-basierter Merkmale lässt sich ohne großen personellen und technischen Aufwand in die Routineversorgung bei Suchterkrankungen einsetzen. In Kombination mit standardisierter klinischer Diagnostik können Subgruppen von Suchtpatienten identifiziert und der Versorgungsbedarf abgeleitet werden und im weiteren individueller Behandlungsansätze entwickelt werden.