Hamostaseologie 2019; 39(S 02): S01-S10
DOI: 10.1055/s-0039-3400718
Pädiatrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe Schädigung der Gelenke bei Kindern mit Hämophilie trotz moderner Substitutionstherapie – Ergebnisse der Energie-Studie

Susan Halimeh
1   Coagulation Treatment Centre, Rheinruhr and Coagulation Research Centre GmbH, Duisburg, Germany
,
Günther Kappert
1   Coagulation Treatment Centre, Rheinruhr and Coagulation Research Centre GmbH, Duisburg, Germany
,
Hannelore Rott
1   Coagulation Treatment Centre, Rheinruhr and Coagulation Research Centre GmbH, Duisburg, Germany
,
Manuela Siebert
1   Coagulation Treatment Centre, Rheinruhr and Coagulation Research Centre GmbH, Duisburg, Germany
,
Sylvia von Mackensen
2   Department of Medical Psychology, University Medical Centre Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Germany
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. November 2019 (online)

 

Hintergrund: Die prophylaktische Substitution von Gerinnungsfaktorkonzentraten bei Hämophilie- Patienten, beginnt heutzutage bereits in der Kindheit und ist der Goldstandard in den Industrieländern. Dieses Behandlungsregime reduziert im Vergleich zur Bedarfsbehandlung die Häufigkeit von Blutungen und Gelenkschaden. Das Auftreten von Blutungen, insbesondere von Gelenkblutungen, kann bei Hämophilie-Patienten auch in jungen Jahren zur Arthropathie verschiedener Gelenke fuhren.

Ziele der Studie: Vergleich des Gelenkstatus von Kindern mit Hämophilie unter moderner Prophylaxe mit dem gesunder Kinder. Damit lasst sich abschätzen, in wieweit die hämophile Arthropathie trotz dieser Maßnahme weiterhin auftritt.

Methoden: Kinder mit Hämophilie, jeden Schweregrades und Behandlungsregimes, im Alter von 0 bis 17 Jahren aus dem Gerinnungszentrum in Duisburg wurden mit gesunden Kindern aus der Umgebung verglichen. Der Gelenkstatus wurde unter Verwendung von Ultraschall, Behandler-berichteten Outcomes (ClinRO) und Patientenberichteten Outcomes (PRO) gemessen. Physische Struktur und Gelenkfunktion wurden mit dem ClinRO Hemophilia Joint Health Score (HJHSv2.1) gemessen. Die subjektive körperliche Funktionsfähigkeit wurde mit dem PRO HEP-Test-Q erfasst. Für die Ultraschalluntersuchung wurde das JADE-Protokoll (Joint Tissue Examination and Damage Exam) verwendet. Die Ultraschallbilder wurden mit einem Fujifilm Sonosite Edge II Ultraschallgerat unter Verwendung einer 13,6 MHz-Sonde erfasst. Die Ultraschalluntersuchung und die Auswertung der Bilder wurde bei allen Kindern von derselben Person durchgeführt, die Erfahrung in der Ultraschalluntersuchung nach dem JADE-Protokoll hat. Die klinischen Daten der Hämophilie-Patienten in Bezug auf Behandlungsregime, Gesamt- und Gelenkblutungsraten in den letzten 12 Monaten und Zielgelenke wurden den Patientenakten entnommen. Die Unterschiede im Median bzw. im Mittelwert wurden zwischen Kindern mit Hämophilie und gesunden Kontrollen und zwischen Hämophilie-Patienten für verschiedene Subgruppen auf Signifikanz getestet.

Ergebnisse: Sechsundvierzig Kinder mit Hämophilie (mittleres Alter 9,1 } 5 Jahre) und 59 gesunde Kinder (mittleres Alter 8,5 } 4,7 Jahre) nahmen an der Energie-Studie teil. Die Mehrzahl der hämophilen Kinder hatte Hämophilie A (91,3%), mit schwerer Hämophilie (60,9%) und erhielten eine prophylaktische Behandlung (69,6%), die meisten von ihnen bekamen Sekundarprophylaxe (53,1%). Die Hämophilie-Patienten hatten im Durchschnitt 1,57 } 1,9 Gesamtblutungen (Bereich 0–9) und 0,65 } 1,2 Gelenkblutungen (Bereich 0–6) in den letzten 12 Monaten, einen HJHS von 2,39 } 3,8 (Bereich 0–13). 43,5% hatten ein Zielgelenk, hauptsachlich in den Sprunggelenken. Die meisten Kinder mit Hämophilie nahmen am Sportunterricht in der Schule teil (58,7%), die meisten 1x/Woche (72,4%). Fast ein Viertel erhielt Physiotherapie (23,9%); nur 2 Patienten hatten eine eingeschränkte Mobilität. Nur Kinder im Alter von ≥ 6 Jahren füllten den selbstberichteten HEP-Test-Q aus, insgesamt 33 Hämophilie-Patienten und 45 Kontrollen. Patienten mit Prophylaxe (p<0,015), mit einer schweren Verlaufsform (p<0,001), Gelenkbeeinträchtigungen im HJHS ≥ 1 (p<0,022), Gelenkblutungen ≥ 1 (p<0,029), Gesamtblutungen ≥ 2 (p<.0001), zeigten im HEP-Test-Q eine schlechtere Gesamtpunktzahl als Kinder mit Bedarfsbehandlung, mit mittelschwerer/milder Hämophilie, ohne Beeinträchtigung im HJHS, ohne Gelenkblutungen, weniger als 2 Gesamtblutungen. Es gab keinen Unterschied zwischen Art der Prophylaxe und Zielgelenken. Im Vergleich zu den Kontrollen berichteten die Patienten über eine signifikant schlechtere subjektive körperliche Leistungsfähigkeit (MP = 77,16 } 9,5 vs. MC = 86,0 } 7,1; p <0,0001), hatten einen schlechteren HJHS (p<0,0001) und zeigten in den Ultraschalluntersuchungen einen signifikanten Unterschied (p<0,02) der Längsfuge von Tibia und Talus. Andere Gelenke wiesen in der Ausmessung mittels Ultraschall keine signifikanten Unterschiede auf.

Schlussfolgerung: Kinder mit Hämophilie zeigten trotz Prophylaxe immer noch eine höhere Verschlechterung ihres Gelenkstatus im Ultraschall im Bereich des Sprunggelenkes und berichteten über höhere Beeinträchtigungen ihrer subjektiven körperlichen Funktionsfähigkeit im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Obwohl 96,4% der Kinder mit schwerer Hämophilie eine regelmäßige Prophylaxe erhielten, wurden frühe Anzeichen einer Synovitis im Sprunggelenk festgestellt. Hämophilie-Patienten sollten frühzeitig auf Arthropathie mittels Ultraschalluntersuchungen und standardisierten ClinROs und PROs beobachtet werden.

Ausblick: Hoffnungen machen die neuen Fortentwicklungen der Prophylaxe mit langwirksamen Faktorenkonzentraten, Faktor VIII simulierenden Antikörpern oder mittels Reduktion der Wirkung von Gerinnungsinhibitoren. Eine dauerhafte Erhöhung der Talspiegels bzw. wirkung konnte hier zu einer Besserung des Status der Sprunggelenke fuhren. Daher wäre unsere Studie dann mit diesen Patienten noch einmal zu wiederholen.