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DOI: 10.1055/s-0041-108633
Aktuelle Strategien zur Förderung von Alltagstransfer und Nachhaltigkeit
3. Qualitätszirkel der Mitglieder des Zentrums Patientenschulung am 26. Juni 2015 in WürzburgCurrent Strategies for Promoting the Transfer of Lifestyle Changes into Everyday Living and Improving Sustainability3rd Quality Circle of the Center of Patient Education, June 26th, 2015 in WuerzburgPublication History
Publication Date:
17 December 2015 (online)
Die Qualitätszirkel des Zentrums Patientenschulung greifen aktuelle, schulungsrelevante Themen auf, die mit Experten der jeweiligen Themen diskutiert werden. Die ersten beiden Qualitätszirkel beschäftigten sich mit neuen Berufsgruppen und Studiengängen, die potentiell Kompetenzen für Patientenschulungen vermitteln. Der 3. Qualitätszirkel stand unter dem Thema: Aktuelle Strategien zur Förderung von Alltagstransfer und Nachhaltigkeit. Zur Veranstaltung am 26. Juni 2015 in der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern in Würzburg konnten 25 Teilnehmer begrüßt werden.
Ein entscheidender Faktor für den nachhaltigen Erfolg einer Patientenschulung ist die Förderung des Alltagstransfers von Schulungsinhalten und erworbenen Bewältigungsstrategien. In den letzten Jahren wurde diesem Aspekt in vielen Reha-Forschungsprojekten, z. T. theoriegeleitet, Rechnung getragen. Insbesondere Strategien zur Motivierung und Stärkung der Volition (z. B. Handlungs- und Bewältigungspläne) wurden in Schulungsprogramme implementiert oder entsprechende Nachsorgeinterventionen entwickelt. Die eingeladenen Expertinnen stellten eine Auswahl dieser neuen Strategien vor und diskutierten mit den Anwesenden deren Praxisrelevanz und -tauglichkeit.
Dr. Susanne Dibbelt (Institut für Rehabilitationsforschung Norderney, Bad Rothenfelde) berichtete über das Projekt Partizipative Zielvereinbarung in der Rehabilitation (ParZivar II), das gemeinsam mit Dr. Manuela Glattacker durchgeführt und von der Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen e. V. gefördert wurde. Hintergrund des Projekts war, dass partizipative Zielvereinbarung in der Rehabilitationspraxis bisher nur selten stattfindet. Patienten und Ärzte sollten Ziele der Rehabilitation gemeinsam vereinbaren und weiterverfolgen. Zur Förderung dieses Ansatzes wurde daher in den Projekten ParZivar I und II eine standardisierte und leitfadengestützte Intervention zur partizipativen Zielvereinbarung entwickelt, und Behandler wurden in ihrer Umsetzung geschult. Die Überlegenheit dieser Intervention gegenüber der üblichen Praxis konnte an Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen gezeigt werden. Die Interventionsgruppe fühlte sich häufiger in die Zielvereinbarung einbezogen, empfand ihre Ziele häufiger als persönlich bedeutsam und im weiteren Verlauf der Rehabilitation besser berücksichtigt als die Kontrollgruppe. Außerdem wies die Interventionsgruppe überlegene Reha-Effekte hinsichtlich distaler Zielgrößen wie Lebensqualität und Aspekten der Schmerzverarbeitung auf. Auch bewertete sie die Kommunikation mit dem Behandler besser als die Kontrollgruppe. Das Projekt konnte somit zeigen, dass die partizipative Zielvereinbarung die Qualität der Zielarbeit erhöht und partiell zu überlegenen langfristigen Ergebnissen führt.
Ebenfalls in Kooperation der beiden Institute ist im Auftrag der DRV Bund in einem anderen Projekt das Praxishandbuch Reha-Ziele entwickelt worden, das Kliniker bei der Umsetzung patientenorientierter Reha-Zielarbeit unterstützen soll. Das Praxishandbuch Reha-Ziele ist online verfügbar unter www.reha-ziele.de und enthält zahlreiche Informationen und Materialien zum Thema Reha-Zielarbeit.
Dr. Manuela Glattacker (Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin, Universitätsklinikum Freiburg) stellte im Anschluss eine weitere Intervention zur Förderung der Selbstregulation sowie die Implementierung hemmende und fördernde Faktoren vor. Die Bedeutsamkeit der krankheitsbezogenen Selbstregulation ist empirisch belegt. Interventionen zur Umsetzung von Selbstregulation unter Nutzung subjektiver Krankheitstheorien gibt es bisher jedoch nur wenige. Mit den Projekten SubKon und SELF wurde diese Lücke geschlossen: Bei Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen oder depressiven Störungen wurden subjektive Konzepte und das Bewältigungsverhalten vor der stationären Rehabilitation erfasst und an die Einrichtung weitergeleitet. Patienten und Behandler wählten während der Rehabilitation aus diesen individuellen Konzepten gemeinsam relevante Themen aus und entwarfen Handlungspläne für den Alltagstransfer. Die Ergebnisse zeigen, dass die Patienten mit dieser Intervention die Informationen, die sie während der Rehabilitation erhielten, deutlich positiver bewerteten und ihre persönlichen Bewältigungsstrategien besser einbringen konnten. Das Projekt zeigt jedoch auch, dass bei der Implementierung in 4 Rehabilitationseinrichtungen einige Hürden entstanden, die bei einer Übernahme in die Routine ernstzunehmende Barrieren darstellen können.
Andrea Reusch (Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften, Universität Würzburg) betrachtete den Aspekt der Selbstmanagementförderung durch Handlungs- und Bewältigungspläne, wie sie u. a. in den Schulungsprojekten der Universität Würzburg erprobt wurden. Handlungs- und Bewältigungspläne stellen theoriebasierte, wirksame und patientenorientierte Methoden zur Unterstützung von Verhaltensänderungen dar. Die konkrete Planung von Lebensstiländerungen vereinfacht insbesondere den Transfer aus dem Schulungssetting einer stationären Rehabilitation in den Alltag. Die Technik wurde in den letzten Jahren in zahlreichen Evaluationsstudien der Universität Würzburg eingesetzt. Neben dem nachgewiesenen Nutzen von Schulungsprogrammen, die diese Technik einsetzen, wurden auch die Grenzen dieser Strategie deutlich. Die Rehabilitanden nehmen aus unterschiedlichen Schulungen und Behandlergesprächen typischerweise mehrere Nachsorgeempfehlungen und Veränderungspläne mit nach Hause und sind dann häufig mit der Menge an „guten Vorsätzen“ überfordert. Für die Zukunft ist es nach Ansicht von Frau Reusch daher notwendig, die Interventionen besser aufeinander abzustimmen und bereits in der stationären Einrichtung gemeinsam mit den Rehabilitanden zu entscheiden, welche Veränderungen im Alltag vorrangig angestrebt werden sollten. Hierzu wird aktuell das Projekt Selbstmanagement-Module (Faller, Meng & Reusch) durchgeführt. Frau Reusch wies zudem darauf hin, dass in bisherigen Schulungen positive Valenzen und Emotionen gegenüber der Veränderung häufig nicht ausreichend berücksichtigt werden. Diese seien aber gerade für den Alltagstransfer und die Aufrechterhaltung von Veränderungen von Bedeutung.
Diesen Gedanken führte PD Dr. Ruth Deck (Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Universität zu Lübeck) mit ihrem Beitrag „Förderung der Nachhaltigkeit durch Reha-Nachsorge“ weiter. Sie bot einen Überblick über bisherige Nachsorge-Angebote für Rehabilitanden. In einem Projekt entwickelte ihre Arbeitsgruppe ein „Neues Credo“ für die Reha-Nachsorge. Das Credo bestärkt den Gedanken, dass die Reha-Nachsorge bereits mit dem Beginn des Reha-Aufenthalts anfängt und die Rehabilitationseinrichtung weniger als Behandlungsort denn als Lernort gedacht werden sollte. Im Mittelpunkt steht die Eigenverantwortung der Patienten, die durch die Rehabilitation konkretisiert, eingeleitet und begleitet werden sollte. Dieser Leitgedanke ist Frau Dr. Deck zufolge auch auf die Patientenschulung übertragbar. Zwar war die Implementierung des Neuen Credos in der Praxis mit einigen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Dem steht jedoch gegenüber, dass eine Überprüfung der Wirksamkeit Verbesserungen in einer Vielzahl von Ergebnisparametern offenbarte, die auch noch ein Jahr nach der Rehabilitation zu erkennen waren. Zurzeit wird in Zusammenarbeit mit der DRV Bund auch eine Webseite erstellt, die einen möglichst umfassenden Überblick über die Nachsorgeangebote in Deutschland liefern soll.
Bei Vanessa Knust (Dr. Becker Klinikgesellschaft, Köln) stand die didaktische Seite der Förderung des Alltagstransfers im Vordergrund. Frau Knust gab exemplarische Methodentipps zur Transfersicherung und berichtete in diesem Zusammenhang über die Struktur der Patientenschulung in den Einrichtungen der Dr. Becker Klinikgruppe. In deren Schulungskonzepten wird der Alltagstransfer gleichermaßen als Ziel, Inhalt und als Methode betrachtet. Vor allem der letzte Blickwinkel zeigt, welch hohe Bedeutung den Kompetenzen der Dozenten bei der Durchführung von Patientenschulungen und der Sicherung des Alltagstransfers zukommt. Neben dem fachlichen Wissen und den didaktischen Grundkenntnissen benötigen die Dozenten gesundheitspsychologisches Wissen und Kompetenzen, um die Patienten zur Lebensstiländerung motivieren zu können. Praktische Tipps und Hinweise für Dozenten veranschaulichten die Inhalte dieses Vortrags und bildeten den Abschluss der Impulsreferate.
In der abschließenden Diskussion wurde noch einmal deutlich, dass Nachsorge und Alltagstransfer in den unterschiedlichen Projekten sehr facettenreich aufgegriffen wurden. Von der Ebene der grundsätzlichen Betrachtung (Neues Credo) bis hinunter zu den didaktischen Kompetenzen eines Schulungsdozenten sind verschiedene Akteure an diesem Prozess beteiligt. Auf jeder Ebene ergeben sich Chancen auf die Verbesserung der Patientenschulung im Sinne nachhaltiger Effekte. Andererseits legt jeder Blickwinkel auch Barrieren offen wie z. B. knappe Ressourcen auf Seiten der Behandler oder die Schnittstellenproblematik in den Versorgungssystemen. Es war Konsens, dass Nachhaltigkeit umso besser erreicht werden kann, je mehr Akteure gemeinsam darauf hinarbeiten und je besser die Abstimmung der einzelnen Bausteine auch in Zukunft gelingt. Weiterhin sollten die Behandler entsprechende Kompetenzen aufweisen, und es sollten bei der Weiterentwicklung von Modellen und Interventionen emotionale Faktoren stärker berücksichtigt werden.
PDF-Versionen aller Vorträge sind auf der Homepage des Zentrums Patientenschulung verfügbar: www.zentrum-patientenschulung.de/tagungen/qualitaetszirkel2015/.