Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(S 01): e89
DOI: 10.1055/s-0041-1739903
Abstracts | DGPM

Na klar, jetzt spricht jeder über Corona. Aber wir sprechen nicht darüber was Corona für geflüchtete Mütter bedeutet. – Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Versorgungssituation von geflüchteten Frauen während Schwangerschaft und Geburt

M Engelhardt
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
,
A Krautstengel
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
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L Patzelt
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
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M Gaudion
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
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J Kamhiye
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
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T Borde
1   Alice Salomon Hochschule, Berlin, Deutschland
› Institutsangaben
 

Hintergrund In Krisen wie der Covid-19 Pandemie werden Schwachstellen in der Gesundheitsversorgungs sichtbar. Besonders häufig trifft dies marginalisierte Gruppen. Anhand der Erfahrungen von geflüchteten Frauen sowie von Fachkräften in der Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt wird deren Situation während der Pandemie in das Blickfeld gerückt werden.

Methodik Im Rahmen einer mixed-method Studie (PROREF) wurden qualitative Interviews mit 69 Fachkräften sowie 15 geflüchteten Müttern mit Neugeborenen (bis zu 3 Monaten nach der Geburt) durchgeführt. Geschulte weibliche Dolmetscherinnen begleiteten die Interviews bei Bedarf, um die Erfahrungen von Müttern aus unterschiedlichen Herkunftsländern abzubilden. Die Interviews wurden in Berlin, Brandenburg und NRW durchgeführt und interdisziplinär anhand der Framework-Methode ausgewertet.

Ergebnisse Insgesamt verschlechterte sich die Versorgungssituation während Schwangerschaft und Geburt. Niedrigschwellige und aufsuchende Angebote, die vor Covid-19 von zahlreichen geflüchteten Müttern in Anspruch genommen wurden fielen in großen Teilen weg (z.B. Hebammenarbeit in Unterkünften, Mütter-Cafés, mehrsprachige Workshops zu Frauengesundheit, offene Sprechstunden). Die Umstellung auf telefonische oder digitale Angebote bedeutete häufig einen Kontaktabbruch, sodass Mütter verunsichert waren und erst spät in der Schwangerschaft vorstellig wurden, Risikoschwangerschaften nicht ausreichend betreut und eine adäquate Betreuung im Falle eines Schwangerschaftskonflikts erschwert war. Besuchseinschränkungen in Geburtskliniken verhinderten, dass auf Sprachmittlung durch eine dritte Person (professionelle Dolmetscher:in, Bekannte oder Partner:innen) zurückgegriffen werden konnte und das Tragen der Maske schränkte den Beziehungsaufbau zusätzlich ein. Väter, die außerhalb der Unterkünfte lebten, durften Mutter und Kind teilweise nur außerhalb der Unterkunft treffen. Fachkräfte beschrieben außerdem Vorbehalte im Kolleg: innenkreis, wonach Geflüchtete als Infektionsrisiko wahrgenommen wurden oder Gemeinschaftsunterkünfte als „Moloch“ für Covid-19. Dies führte in der Versorgung teilweise zu mehr Distanz zu geflüchteten Frauen. Gleichzeitig berichteten freiberufliche Hebammen über fehlende Schutzausrüstung, die ihnen aufsuchende Arbeit in Unterkünften unmöglich machte.

Diskussion Die soziale und medizinische Versorgung von geflüchteten Frauen während der Schwangerschaft kommt nicht ohne niedrigschwellige und aufsuchende Angebote vor Ort aus. Frauen, die kein Deutsch sprechen, sollte in Geburtskliniken eine dritte Begleitperson zur Übersetzung erlaubt oder qualifizierte Telefondolmetscherinnen als Mindeststandard zur Verfügung gestellt werden. Da mittlerweile ausreichende Möglichkeiten des Infektionsschutzes existieren, müssen angemessene Maßnahmen nicht nur in Bezug auf die Ansteckungsgefahr, sondern auch in Bezug auf weiter gefasste Auswirkungen für die perinatale Gesundheit von Mutter und Kind diskutiert werden.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. November 2021

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