Z Sex Forsch 2016; 29(01): 42-47
DOI: 10.1055/s-0042-102712
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wissen(schaft)spolitik an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit

Ein Tagungsbericht
Smilla Ebeling
a   Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
,
Katharina Emilia Cremer
,
Anthony Clair Wagner
b   Linnaeus Universität, Växjö (Schweden)
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Publication History

Publication Date:
23 March 2016 (online)

Die Tagung Wissen(schaft)spolitik an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit fokussierte disziplinen- und institutionenübergreifende Forschung zu Inter* und Trans* und hinterfragte damit die Dominanz medizinisch-psychologischer Forschung im Feld. Sie fand vom 17. – 19. September statt. Angesiedelt war die vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur finanzierte und vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, dem Helene-Lange-Kolleg, dem Institut für Kunst und visuelle Kultur und dem Institut für Anglistik und Amerikanistik unterstützte Tagung an der Fakultät III der Carl von Ossietzky Universität. Ein Ausgangspunkt der Tagung war das 2012 gegründete Netzwerk Inter_Trans_Wissenschaft (ITW), das durch die Tagung ausgebaut und gestärkt werden sollte, obwohl es sich ausdrücklich nicht um eine Tagung dieses Netzwerkes handelte. Organisiert und durchgeführt wurde sie von Michael_a Koch und Josch Hoenes mit Unterstützung von Marianne Hamm (Helene-Lange-Kolleg).

Im Zentrum der Tagung stand die Frage nach angemesseneren gesellschaftlichen, kulturellen, medizinischen und juristischen Umgangsformen mit Trans*- und Inter*Personen sowie das Ausloten von Potentialen nicht-objektivierender und nicht-pathologisierender Wissensproduktion. 21 engagierte Referent_innen stellten ihre Arbeiten zur Diskussion, entwickelten neue Fragestellungen, theoretische Konzepte und wissenschaftliche Methoden für das Forschungsfeld, von denen hier nur ausgewählte vorgestellt werden können. Die transdisziplinäre Zusammensetzung der Referent_innen ermöglichte es nicht nur, mehrere Expertisen und Wissensformen aus einem breiten Disziplinenspektrum (Soziologie, Kunstwissenschaft, Psychologie, Politikwissenschaft, Geschlechterforschung, Film-, Literatur- und Medienwissenschaften) zusammen zu bringen, vielmehr betätigen sich die meisten Referent_innen sowohl wissenschaftlich als auch aktivistisch und positionierten sich ebenso wie die Mehrzahl der 35 Teilnehmenden als inter*, trans* oder solidarische Mitstreiter_innen mit den Emanzipationsbestrebungen von Trans*- und Inter*Aktivist_innen. Die Verwobenheit von Wissenschaft, Aktivismus und Politik spiegelte sich also in den Anwesenden und machte die Tagung zu einer nachahmenswerten Wissen(schaft)spolitik an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit.

Den Auftakt machte die Session Verstricktes Wissen. Sie rückte die Notwendigkeit, den Zugewinn und die Schwierigkeiten einer (Re-)Politisierung wissenschaftlichen Arbeitens in den Fokus. Die Vorträge dieser Session führten in einen theoretischen Hintergrund des Tagungsthemas ein, lieferten Erfahrungswerte aus der Forschungspraxis und stellten damit einen hervorragenden Einstieg in die Tagungsthematik dar. Zunächst erläuterte Robin Bauer (DHBW Stuttgart) in seinem Vortrag Donna Haraways Konzept des Situierten Wissens: Wissensproduktion als verkörpert und verortet anhand des epistemologischen Konzepts des situierten Wissens, wie eine ethisch und politisch verantwortliche Wissensproduktion in der Inter*- und Trans*Forschung gestaltet werden kann. Vor dem Hintergrund, dass weder Angehörige privilegierter und normenvertretender noch ausgeschlossener, marginalisierter und nicht-normierter Positionen unpolitisch oder neutral seien, betonte Bauer die Notwendigkeit der Entwicklung einer machtsensiblen Forschung, zu der die Verortung und Situierung der Forschenden und die Transparenz der Forschungstätigkeiten gehört. Uta Schirmer (Universität Göttingen) reflektierte in ihrem anschließenden Vortrag Positionierungen zwischen wissenschaftlicher Distanz und Nähe/Betroffenheit: Zum Umgang mit spezifischem Verwickeltsein die Erkenntnismöglichkeiten und Problemlagen des Verwickeltseins von Forschenden mit ihrem Forschungsthema. Am Beispiel ihres eigenen Forschungsprojekts zu trans*-queeren Geschlechterpraxen im Kontext von Drag Kinging und einer Abschlussarbeit über Cross-Dressing Women in der Frühen Neuzeit diskutierte Schirmer Praktiken der Positionierung, die zu einer transemanzipatorischen Forschung beitragen können. Dabei sprach sie sich gegen eine Festlegung verbindlicher Kriterien aus und forderte den Einbezug einer Vielfalt partialen Wissens.

Die zweite Session Gegenwissen widmete sich der Analyse und Kritik des institutionellen/hegemonialen Umgangs mit Trans*- und Inter*Personen. Zu Beginn beschrieb Adrian de Silva (Humboldt Universität Berlin) sein diskursanalytisches Dissertationsprojekt, Negotiating the Borders of the Gender Regime, in welchem er sexualwissenschaftliche und rechtliche Diskurse und Praktiken daraufhin analysiert, wie Trans*Subjekte seit den 1960er-Jahren in Sexualwissenschaft, Recht, sozialer Bewegung und Politiken in Relation zu gesellschaftlich akzeptierten Geschlechtern konstruiert werden. De Silva untersucht dabei Dynamiken zwischen Medizin, Recht und Politik. Er zeigte nicht nur, wie Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität die Minorisierung, Objektivierung und Homogenisierung von Trans*Subjekten bedingen, sondern auch allmähliche Veränderungen dieser Prozesse. Tamás Jules Fütty (Humboldt Universität Berlin) kombinierte seinen Vortrag, Systemisch-normative sowie intersektional verstärkte Gewalt gegen Trans*Menschen im Kontext von Biopolitik, mit einer Spoken Word Performance. Fütty argumentierte auf der Basis seiner Analyse deutscher und internationaler Gewaltstudien und Diskriminierungsberichte, des deutschen Transsexuellengesetzes (TSG), sowie der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) der Amerikanischen Psychiatrie-Vereinigung (APA) für ein erweitertes Gewaltverständnis, das biopolitische Zwangseingriffe in die Bevölkerung als normativ-systemische Gewalt, im Sinne einer Verlagerung der historischen Kriminalisierung und Pathologisierung Homosexueller, hin zur Pathologisierung von Trans*(gender) und Inter*(sex) Menschen durch spezifische medizinische und rechtliche Regulierung versteht. Am Beispiel der bis 2011 legalen Zwangssterilisation von Trans*(sexuellen) Menschen und der so genannten geschlechtsvereindeutigenden Operationen von Inter*(sex) Menschen entwickelte Fütty einen systemisch-normativen Gewaltbegriff.

Fünf Beiträge behandelten den Themenbereich Partizipatives Wissen. René_ Hornstein (Universität Osnabrück) stellte in dem Vortrag Was wünschen sich Trans*personen von Menschen in ihrer Umgebung? erste Ergebnisse der eigenen Diplomarbeit vor. Hornstein ermittelte in qualitativen Interviews die Wünsche von Trans*Personen an ihre Umgebung. Da eine Trans*Person die Studie entwickelt und die Interviews durchführt, vermeidet das Forschungsdesign die Reproduktion üblicher Machtverhältnisse von Interviewsituationen, in denen cisprivilegierte Personen Trans*personen befragen. Damit, so Hornstein, können negative Erlebnisse in Interviewsituationen eher vermieden werden, Wissen aus Trans*Perspektive generiert werden und das Empowerment der Trans*Community zum selbstverständlichen Ziel der Studien werden. Für ein verbessertes Konzept einer partizipativen Trans*Forschung setzt sich die AG Partizipative Trans* Gesundheitsforschung ein. Der Ausgangspunkt dieser AG ist die unzureichende psychosoziale Gesundheitsforschung, Pathologisierung und Diskriminierung von Trans*Personen in Deutschland. Das Anliegen der Gruppe ist es unter anderem, für zukünftige Überarbeitungen der voraussichtlich im Jahr 2017 erscheinenden medizinisch-psychologischen Leitlinie zur Behandlung der Geschlechtsdysphorie Daten zu erheben, die den Gesundheitsbedarfen von Trans*Personen eher entsprechen als das bei bisherigen, einschlägigen Forschungsprojekten bislang der Fall war. Zudem sollte eine solche Forschung nach Forderung vieler Aktivist_innen unter Beteiligung von Trans*Personen erfolgen. Adrian de Silva, Erik Meyer, Arn Sauer und Uta Schirmer beschrieben in diesem Zusammenhang partnerschaftliche Forschungsansätze, in denen Beforschte die Position von Co-Forscher_innen, Mitgestalter_innen und Handelnden erhalten und mit Entscheidungsmacht ausgestattet sind. Ziel dieses partizipatorischen Ansatzes ist das Verständnis und die Veränderung sozialer Wirklichkeit und ein deutlicher Nutzen für Trans*Personen.

In der vierten Session Archäologisches Wissen stellte Michael_a Koch (Universität Oldenburg) in dem Vortrag Vielgestaltige Allianzen: N.O. Body und Magnus Hirschfeld ein Teilergebnis ihres Dissertationsprojektes vor, in dem sie Überschneidungen von sexualwissenschaftlichen, aktivistischen und literarischen Diskursen um Hermaphroditismus und Homosexualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts analysierte. Am Beispiel der Kooperation von Karl M. Baer, der unter dem Pseudonym N.O. Body seine Memoiren veröffentlicht hat, und des Arztes und Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld arbeitete Koch die Konstruktionsprozesse in autobiographischen und medizinischen Texten heraus und spürte dabei der Verwobenheit der Kategorien Geschlecht, Sexualität, Klasse und Weißsein nach. Weitere Beiträge dieser Session entfielen kurzfristig.

Drei Vorträge fokussierten in der Session Kollektives Wissen auf sehr unterschiedliche Weise Diskurse um Identitätspolitiken, Communities, Interessensvertretungen und Beratungseinrichtungen. In dem Vortrag Zwischen Identitätspolitik und Aufgehen in Zweigeschlechtlichkeit – Betrachtung von politischen Strategien von Trans*Bewegung in Deutschland in den 1980er Jahren stellte Elaine Lauwaert (Universität Bochum) die Entwicklung von Trans*Interessensvertretungen ab Anfang der 1990er an Hand einer Analyse der beiden Zeitungen EZKU und TS Journal vor. Dabei arbeitete Lauwaert Divergenzen zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der Trans*Bewegung heraus, in denen Fragen zu Identitätspolitiken im Zentrum stehen. Erik Meyer (Trans*Beratung Nord) gab mit seinem Vortrag, Trans*beratung zwischen Selbsthilfe und Professionalisierung, einen systematischen Überblick über das Angebot und die Entwicklung von Hilfestrukturen innerhalb der Trans*Community. Einen besonderen Fokus legte Meyer dabei auf das Aufkommen von trans*affirmativer Beratung durch Fachleute des psychosozialen Bereichs, bei denen es sich entweder um Allies oder Personen mit eigenem Trans*Hintergrund handelt. Im Sinne einer Erhöhung der Transparenz der Hilfsstrukturen für Ratsuchende beschrieb er die voranschreitende Professionalisierung von Selbsthilfe nach dem Peer-to-peer-Ansatz mit Hilfe von Weiterbildungsangeboten für die qualifizierte Laienhilfe. Meyer sieht in dem Ineinandergreifen der Unterstützungsmaßnahmen für Trans*Personen eine Perspektive mit Zukunft.

Anthony Clair Wagner (Linnaeus Universität, Växjö, Schweden) leitete die abschließende Session Ästhetisches Wissen ein und führte in dem Vortrag (Un)Be(Com)ing Others: Eine Trans* Film Kritik Monstrosität als empowerndes Paradigma im Zusammenhang mit einer Trans*Filmkritik an den bekannten Alien-Filmen ein. Einerseits untersuchte er die Konstruktion der Kategorie Monster und deren inhärente Ko-Konstruktion des normalen Selbst, andererseits aber auch, in Anlehnung an Susan Stryker, die Möglichkeit der Wendung und Aneignung des Monster-Begriffes als Paradigma der Subversivität. Zentrale Schnittstelle dieser Diskussionsthemen ist Wagners Weiterentwicklung der Theorie der Somatechniken von Sullivan und Murray. Durch eine Analyse der Somatechniken der Monstrosität, unter anderem Pathologisierung und Entmenschlichung, können verschiedene Formen von (diskriminierenden) Otherings für subversive Lesarten geöffnet und somit hegemoniale Denkkonzepte dekonstruiert werden.

Zwei Plenumssitzungen ermöglichten es zudem, verschiedene Perspektiven zur Trans*Forschung am Beispiel von Tagungspraxen zu diskutieren und – nach einem Input-Vortrag zur Geschichte des Netzwerks von Arn Sauer (Bundesverband Trans* e. V.) die Arbeit des ITW-Netzwerks fortzuführen. Bereichert wurde die Tagung mit der Performance (Un)zusammenhängende Wörter – Privilège Oblige?, in der sich die Künstler_innen René_ Hornstein und Katharina Emil*ia Cremer mit dem Thema von Privilegien/Privilegierungen künstlerisch auseinandersetzten.