Pneumologie 2016; 70(12): 782-812
DOI: 10.1055/s-0042-102939
Leitlinie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

S2k-Leitlinie nach AWMF-Schema der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin „Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)[1] der Berufskrankheitenverordnung“

Guideline (S2k, AWMF) of the Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin and the Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin “Diagnostics and Expert Opinion in the Occupational Disease No. 4101 Silicosis (Including Coal Worker’s Pneumoconiosis)”
X. Baur
1   Institut für Arbeitsmedizin, Charité Universitätsmedizin Berlin
,
M. Heger
2   Landesanstalt für Umwelt- und Arbeitsschutz Saarland, Saarbrücken
,
R. M. Bohle
3   Institut für Pathologie, Universität des Saarlandes, Homburg (Saar)
,
K. G. Hering
4   Deutsche Röntgengesellschaft e. V.
,
K. Hofmann-Preiß
5   BDT – Institut für bildgebende Diagnostik und Therapie – MVZ, Erlangen
,
D. Nowak
6   Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Klinikum der Universität München
,
A. Tannapfel
7   Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum und Deutsches Mesotheliomregister – Georgius Agricola Stiftung Ruhr, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil
,
H. Teschler
8   Abteilung für Pneumologie Universitätsklinik, Ruhrlandklinik, Westdeutsches Lungenzentrum, Universitätsklinikum Essen
,
T. Voshaar
9   Klinik für Pneumologie, Allergologie, Klinische Immunologie, Zentrum für Schlaf- und Beatmungsmedizin, Lungenzentrum (DKG), Moers
,
T. Kraus
10   Institut für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin, Uniklinik, RWTH Aachen
,
Unter Mitwirkung von M. Duell, B. Heise, S. Palfner› Institutsangaben
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Dezember 2016 (online)

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Zusammenfassung

In den vergangenen 1,5 Jahren erfolgte die Aktualisierung der Silikose-Leitlinie durch eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe. Neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse sowie die zwischenzeitlich in der Begutachtungspraxis gewonnenen Erfahrungen wurden berücksichtigt.

Stand bei der Entwicklung der Erstfassung noch die Standardisierung der Diagnostik sowie die Überarbeitung der nicht dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechenden Maßgaben der „Moerser Konvention“ im Vordergrund, ging es beim Update um Feinkorrekturen und Ergänzungen, insbesondere der MdE-Kriterien (mit Angleichung an die MdE-Tabelle der Reichenhaller Empfehlung [DGUV 2012]).

Die Diagnose Silikose basiert – neben einer eingehenden Arbeitsanamnese – auch weiterhin ganz überwiegend auf dem typischen radiologischen Befund. Allerdings kommt bei der Erstdiagnose auch der standardisierten LD-HRCT-Aufnahme wegen der im Vergleich mit der konventionellen Röntgenaufnahme hohen Sensitivität und Spezifität eine zentrale Rolle zu. Ausnahmen stellen charakteristische, im Längsschnitt dokumentierte Befunde in der Röntgen-Thoraxaufnahme dar. Entsprechend heißt es im Leitlinien-Update: „Für die standardisierte Befundung der Low-Dose-Volumen-HRCT ist die Anwendung der CT-Klassifikation (ICOERD = International Classification of Occupational and Environmental Respiratory Diseases) zwingend erforderlich. Um die Diagnose einer Silikose in der CT-Untersuchung zu stellen, ist der Nachweis scharf berandeter Verdichtungen in beiden Oberlappen, die im Lungenkern und Lungenmantel lokalisiert sein können, erforderlich. Beim Vergleich mit dem Referenzfilm muss mindestens die Streuungskategorie 1 im rechten wie auch im linken Oberfeld erreicht sein (Gesamtstreuung mindestens 2).“

Neu sind die bislang kontrovers diskutierten Mindestanforderungen für eine in tabula erstmals festgestellte Silikose. Hierzu wird in Anlehnung an Hnizdo et al. ausgeführt: „Als insignifikant sind Befunde anzusehen, wenn weniger als 5 Silikoseknötchen pro Lungenflügel palpatorisch erfasst und histologisch bestätigt werden können.“ Hierbei handelt es sich um eine Konvention und nicht um eine durch eingehende medizinisch-wissenschaftliche Untersuchungen und statistische Auswertungen belegte Grenzziehung; diese basiert allerdings auf den umfangreichen Erfahrungen, die im untertägigen südafrikanischen Goldbergbau gewonnen werden konnten.

In der aktualisierten Fassung wird auch auf den Befall der Hilus- und gelegentlich der Mediastinallymphknoten bei der Silikose eingegangen, wobei aus Sicht der LL keine enge Korrelation mit der Schwere des Lungenbefalls besteht. Ausgedehntere konglomerierende und indurierende Lymphknotenprozesse können zu Dislokationen der Hili mit Rückwirkungen auf die großen Bronchien und Gefäßstämme führen. Vorwiegend randständige schalenförmige Verkalkungen stellen sich radiologisch als „Eierschalenhilus“ dar.

Die Ausführungen zur Belastungsuntersuchung wurden ergänzt: Wenn weder Ergometrie noch Spiroergometrie durchführbar sind, soll ein 6-Minuten-Gehtest mit Pulsoxymetrie erfolgen.

Außerdem kann bei der Silikose-Begutachtung eine (nicht mitwirkungspflichtige) Rechtsherzkatheter-Untersuchung in Einzelfällen empfohlen werden, wenn die Echokardiografie Hinweise auf erhöhte Druckwerte ergibt oder eine Differenzierung zwischen rechts- und linkskardialer Insuffizienz Schwierigkeiten bereitet. Eine pulmonale Hypertonie ist bei der Beurteilung der MdE zu berücksichtigen und auch prognostisch relevant.

Bei der Spirometrie-Beurteilung sind die neuen GLI-Referenzwerte maßgeblich. Bei der Graduierung der Einschränkungen folgt die Silikose-LL der Leitlinie Spirometrie der DGP.

Nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand bleibt offen, ob bestimmte Krankheitsbilder des rheumatischen Formenkreises wie die Sklerodermie und das Caplan-Syndrom, die bei Silikose-Patienten in Einzelfällen gefunden werden, in toto als BK-Nr. 4101 (Silikose) anzusehen sind. Es braucht weiterer Studien, die die Rolle der beruflichen Quarz-Exposition im Kontext anderer Risikofaktoren untersuchen.

Die Mitglieder der Leitliniengruppe hoffen, mit dem Update der Silikose-LL und diesem Beitrag weiterhin zur optimierten Diagnostik und Begutachtung der Silikose-Erkrankungsfälle beizutragen.

Abstract

During the last 1.5 years an update of the guideline on silicosis was made by an interdisciplinary working group. New medical and scientific knowledge and the experience in expert opinion practice were taken into account.

By preparing the initial guideline in 2010 standardization of diagnostics and adaption of the “Moers convention” which was not based on medical knowledge was in the focus, whereas the current update deals with fine emendation and extension, especially of the compensation rate (adaption with the Reichenhall recommendation).

The diagnosis of silicosis (including mixed dust pneumoconiosis) is based on a detailed occupational history, and predominantly on the typical radiological findings. However, at initial diagnosis the standardized LD-HRCT takes an important role because of its high sensitivity and specificity. Exceptional cases are those with characteristic findings in chest X-ray follow-up. Correspondingly, it is mentioned in the guideline: “The standardized appraisal of the Low-Dose-Volume HRCT requires application of the CT classification (ICOERD, International Classification of Occupational and Environmental Respiratory diseases). In order to diagnose silicosis in CT scan opacities with sharp borders in both central upper lung fields and their circumferencies have to be documented. By comparing with ILO standard radiographs at least profusion category 1 in the right and left upper lung fields has to be reached (total profusion category 2).”

The pathologic minimal requirement for the diagnosis of silicosis which has undergone controversial discussion has now also been defined. Corresponding to Hnizdo et al. 2000 it is now mentioned: “Finding of less than 5 silicotic granuloma per lung lobe by palpation is regarded as insignificant.” This is a convention and not a threshold based on detailed medical scientific and statistical studies; it is based on extended experience in the South African gold mines.

This guideline also deals with silicotic hilar (and sometimes mediastinial) lymph nodes; according to the guideline working group they do not closely correlate with the degree of pulmonary involvement. Extended conglomerating and enduring lymph-node processes may lead to dislocation of the hili with impairment of large bronchi and vessels. Shell-like calcifications dominating in the periphery of lymph nodes produce so-called egg-shell hili.

The paragraph on exercise testing is now extended: if neither ergometry nor spiroergometry can be performed a 6 minute walking test by measuring oxygen saturation should be done.

Furthermore, in individual expert opinion examinations right heart catheterization (the patient is not obliged to give informed consent) may be recommended, if echo cardiography gives evidence for pulmonary hypertension or if it is difficult to differentiate between right and left heart failure. The presence of pulmonary hypertension which is of prognostic relevance has to be considered when grading reduction in earning capacity.

For interpretation of spirometry values the new GLI reference values has to be applied. Grading of impairment is due to the recommendation of the DGP.

According to current medical scientific knowledge it is unclear, whether certain disorders of the rheumatic group such is scleroderma or Caplan syndrome which are sometimes associated with silicosis (or coal workers’ pneumoconiosis) belong in toto to the occupational disease number 4101 (silicosis). Within this context, additional studies are needed to clarify the role of occupational quartz exposure and other risk factors.

The guideline working group hopes that this update will help to optimize diagnostics and expert opinion of silicotic patients.

1 Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV [1]), zuletzt geändert am 22.12.2014