Aktuelle Dermatologie 2016; 42(05): 203-204
DOI: 10.1055/s-0042-103291
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bester Rat: sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien

Prof. Dr. Christos C. Zouboulis im Gespräch mit Prof. Dr. med. habil. Hans-Dieter Göring, DessauBest Advice: Free Themselves from Self-Imposed Immaturity
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Publication Date:
03 May 2016 (online)

Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

Prof. H.-D. Göring: Weil die Dermatologie ein facettenreiches Fach und in ihrer Breite einmalig ist. In ihr sind Allergologie, Phlebologie, Chirurgie, Mikrobiologie, Histologie, Endokrinologie, Andrologie und Immunologie integriert. Es gibt Hauterscheinungen, die auf gleichzeitig bestehende Erkrankungen innerer Organe und anderer Organsysteme hinweisen. Am faszinierendsten sind in diesem Kontext paraneoplastische Hautveränderungen. Dermatosen sind häufig prima vista zu diagnostizieren, ohne größeren technischen Aufwand. Um die zunächst verwirrende Vielfalt von Hautveränderungen definierten Krankheitsbildern zuzuordnen, ist eine visuelle Begabung für den Arzt sehr hilfreich. Um es mit Goethe zu sagen: „Was ist das Allerschwerste? Was Dich das Leichteste dünkt: Mit den Augen zu sehen, was vor den Augen Dir liegt.“ Ein optisches Gedächtnis ist die eine Seite, die andere ist das Wissen über die zugrundeliegenden ätiologischen und pathogenetischen Zusammenhänge, denn man sieht nur das, was man weiß. Ich habe in den 50 Jahren als Arzt verfolgen können, wie das Faktenwissen in der Dermatologie durch klinische Beobachtung und Laborforschung quantitativ und qualitativ enorm gewachsen ist. Gegenüber meiner Studenten- und Assistentenzeit wissen wir heute viel mehr darüber, was hinter den ehemals rein deskriptiven und schwer zu merkenden Krankheitsbezeichnungen steckt, die junge Adepten der Medizin damals vor der Dermatologie zurückschrecken ließen. Die moderne Synopsis klinischer und paraklinischer Befunde ermöglicht schlüssig die Zuordnung zu definierten Hautkrankheiten. Wie eine Reihe anderer Dermatologen bin ich auf Umwegen zur Dermatologie gekommen. Ich war ursprünglich Facharzt für Gerichtliche Medizin (Rechtsmedizin), wie auch zwei andere Dermatologen: Prof. Georg Richard Lewin (1820 – 1896, Berlin) und Prof. Wilhelm Adam (1921 – 1991, Tübingen). In der Rechtsmedizin wird die genaue Beobachtung geschult. Das Wissen, das ich dort in Pathologie, Genetik, Toxikologie und Begutachtung erworben hatte, habe ich auch in der Dermatologie praktisch und wissenschaftlich nutzen können.

Sind Sie mit Ihrer Wahl zufrieden und warum?

Prof. H.-D. Göring: Ich bin gern Dermatologe geworden und habe diese Wahl nie bereut. Die eingangs genannte Breite des Faches hat mich immer wieder herausgefordert, mit meinen Mitarbeitern alle Subspezialitäten unseres Faches zu pflegen. Für die Immunologie habe ich stets ein besonderes Faible gehabt. Sie hat viel zum Fortschritt der Dermatologie beigetragen und Dermatologen haben ihrerseits das immunologische Wissen erweitert. Daher stammt auch die Ansicht, Dermatologie sei angewandte Klinische Immunologie, was aber wiederum eine zu einseitige Sicht ist. Verbesserungen in der Diagnostik von Dermatosen haben auch zu einer Optimierung und neuen Möglichkeiten der Therapie geführt. Das Schöne an der dermatologischen Therapie ist, dass sowohl der Patient wie der Arzt den Effekt sehen kann.

Sie haben in Ihrer Karriere viel erreicht. Worauf sind Sie besonders stolz?

Prof. H.-D. Göring: Ich habe im März 1986 in Dessau eine 80-Betten-Abteilung mit einem allergologischen Testlabor von meinem Vorgänger übernommen und zunächst unter schwierigsten materiellen DDR-Bedingungen mit meinen engagierten Mitarbeitern eine Hautklinik profiliert, die diesen Namen verdient. Wir haben z. B. eigene UV-Bestrahlungsgeräte gebaut, die Wände unseres OP mit Fußbodenbelag, der zufällig in Dessau produziert wurde, statt mit damals nicht verfügbaren Fliesen ausgekleidet, damit aseptische Voraussetzungen geschaffen wurden. Im Labor haben wir u. a. Antiseren selbst hergestellt, absorbiert und mit FITC markiert sowie Crithidia luciliae-Flagellaten zur Untersuchung von zirkulierenden Antikörpern gegen dsDNS in vitro selbst gezüchtet. Aus Krankenzimmern, deren Zahl reduziert wurde, sind Funktionsräume entstanden. Mit dem Rückenwind von Fördergeldern nach der politischen Wende 1989 und ab 1993 in einem kompletten Krankenhausneubau fanden alle Subspezialitäten unseres Faches in unserer modernen Hautklinik ihren Platz. Außerdem wurde ein Immunologisches Zentrum für das gesamte Städtische Klinikum der Hautklinik angegliedert. Es stand unter meiner Leitung als Facharzt für Immunologie, den ich 1978 erworben hatte. 1993 habe ich mit Kollegen anderer Fachrichtungen das überregionale Tumorzentrum Anhalt gegründet und von 1994 bis 2010 ehrenamtlich geleitet. Daneben habe ich 232 Arbeiten, darunter mehrere Bücher und Buchbeiträge, veröffentlicht und 435 Vorträge gehalten. Ich war Gründungsmitglied und über viele Jahre Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Angioödeme in Mainz, Gründungsmitglied der Deutsch-Ungarischen Dermatologischen Gesellschaft und Vorsitzender ihres Wissenschaftlichen Beirates und bin heute noch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Sarkoidose-Vereinigung. Über mehrere Amtsperioden war ich Präsident der Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie Sachsen-Anhalt.

Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Prof. H.-D. Göring: Mein außergewöhnlichster Fall war die 1995 erstmals von mir in der „Aktuellen Dermatologie“ beschriebene Koinzidenz von zirkumskripter plaqueförmiger Sklerodermie und M2-antikörperpositiver primär-biliärer Leberzirrhose. Die beiden damals führenden deutschen Hautzeitschriften lehnten eine Veröffentlichung ab, weil diese Konstellation „ein zufälliges Zusammentreffen“ sei und „damit wertlos“ bzw. „von anderen Autoren schon publiziert worden wäre, wenn es so etwas gäbe“. Ein Jahr später publizierten japanische Autoren sieben identische Fälle des von mir erstmals beschriebenen Syndroms. Andere bemerkenswerte Beobachtungen von mir betrafen zwei Fälle von Sister Joseph’s Nodule bei Pankreaskarzinom, eine syphilitische Hepatitis, den Übergang von Fremdkörpergranulomen der Haut in eine Multiorgansarkoidose, eine ulzerierte Sarkoidose unter dem Bild eines Ulcus cruris sowie ein extragenitales Lymphogranuloma venereum.

Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

Prof. H.-D. Göring: Meine wichtigsten dermatologischen Lehrer waren Dozent Dr. Hans-Joachim Cramer (Erfurt), Prof. Dr. Miklos Simon (Szeged) und Prof. Dr. Tadeusz Chorzelski (Warschau).

Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

Prof. H.-D. Göring: Der beste Rat lautete, die Oberarztfunktion an einer Hochschulklinik gegen die Chefarztposition an einem großen Krankenhaus zum richtigen Zeitpunkt zu tauschen, um eigene Vorstellungen umsetzen zu können. Es war, wenn Sie so wollen, die Aufforderung, mich im Kantschen Sinne aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Wo ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

Prof. H.-D. Göring: Es gibt ständig neue Erkenntnisse, die die Dermatologie voranbringen. Als Immundermatologe bin ich davon begeistert, dass es heute über 20 Therapieformen mit monoklonalen Antikörpern, den sog. Biologika, gibt. Vor 15 Jahren waren es erst fünf. Sie stehen für häufige wie für seltene Dermatosen zur Verfügung. Grundlage dieser erfolgreichen und zukunftsträchtigen Entwicklung ist die Erkenntnis, dass Immunreaktionen nicht nach einem starren Schema verlaufen, sondern biologisch flexibel sind, wie detailliert bei der schweren Psoriasis und deren Ansprechen auf TNF-Antagonisten erkannt wurde. Dermatologen befinden sich damit auf gleicher Augenhöhe mit Forschern anderer Fachrichtungen wie Neurologen mit ähnlichen Erkenntnissen bei multipler Sklerose. In den letzten 5 Jahren wurde die klassische Chemotherapie des malignen Melanoms zugunsten der Immuntherapie zur Beeinflussung von Signalwegen und Immun-Checkpoints (PD1-Antikörper u. CTLA-4-Inhibitor) sowie mutationsgerichteter (BRAF V600-) Therapien und PD-1-Antikörper verlassen, die höhere Ansprechraten besitzen. Auch die Entwicklung der Auflichtmikroskopie hin zu einer In-vivo-Histologie ist beeindruckend.

Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?

Prof. H.-D. Göring: Ungeachtet bahnbrechender neuer Erkenntnisse auf einzelnen Gebieten der Dermatologie vollziehen sich seit Jahren negative Veränderungen, die das Fach in seiner bisherigen Bandbreite und seine Außenwirkung auf Patienten und Vertreter anderer Fachrichtungen betreffen. Dies trifft auch eigentlich unverzichtbare zentrale Bereiche unseres Faches wie die Venerologie, die bisher noch in unserer Fachgebietsbezeichnung verankert ist und sowohl für die Facharztweiterbildung wie auch in der Satzung der DDG relevant ist. Ebenso gehören zu den bedrohten Teilgebieten die von Nachbarfächern bereits weitestgehend annektierten Teilgebiete Allergologie, Andrologie und Proktologie. Die Wahrnehmung unseres Faches in der Öffentlichkeit hat erheblich gelitten, wie zwei Forsa-Umfragen von 2002 und 2014 gezeigt haben. So wird eine rückläufige Kompetenz von Dermatologen bei Hautkrankheiten von Kindern, Allergien und Heuschnupfen, Genital- und Geschlechtskrankheiten des Mannes und der Frau, Venenerkrankungen, Hämorrhoidal- und anderen Enddarmerkrankungen sowie männlicher Infertilität registriert. Dafür wird eine Kompetenzstärkung der Dermatologen für kosmetische Behandlungen betont, die ich mit gemischten Gefühlen betrachte. Wenn hier von Seiten der DDG und des BVDD keine Konsequenzen gezogen werden, sieht es mit dem Fortbestand unseres Faches in der bisherigen Form schlecht aus.

Was raten Sie jungen Kollegen?

Prof. H.-D. Göring: Jungen Kollegen, die Dermato-Venerologen werden möchten, wünsche ich eine Ausbildung, die die klinische Vielfalt von Dermatosen vermittelt und alle Teilgebiete unseres Faches umfasst. Ich empfehle ihnen auch dringend eine Zusatz-Weiterbildung in den Disziplinen, die zu Recht noch zu unserem Fach gehören, aber z. T. schon von Nachbarfächern heftig begehrt werden (Dermatohistologie, Allergologie, Andrologie, spezielle Infektiologie, Proktologie). Wie kaum ein anderes Fach lässt sich Dermatologie auch in der Niederlassung auf höchstem Niveau betreiben. Das bringt mehr Anerkennung bei Patienten und Vertretern von anderen Disziplinen und mehr eigene Zufriedenheit als der zweifelhafte Ruf eines kosmetisch tätigen Schmalspur-Dermatologen.

Was machen Sie nach Feierabend als Erstes?

Prof. H.-D. Göring: Als ich noch berufstätig war, bin ich nach Feierabend mit meinem Hund zu Fuß oder mit dem Fahrrad in der reizvollen Umgebung Dessaus unterwegs gewesen.

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