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DOI: 10.1055/s-0042-106802
Normen- und Anreizkonflikte für die gesetzlichen Krankenkassen in Gesundheitsförderung und Prävention
Conflicting rules and incentives for health promotion and prevention in the german statutory health insurance (GKV)Publication History
Publication Date:
24 May 2016 (online)
Zusammenfassung
Ziel der Studie: Es wird untersucht, welche Aufgaben die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in der Prävention hat, ob diese konsistent in Rechtsnormen und mit konsistenten Anreizinstrumenten umgesetzt wurden und ob die politisch beabsichtigte Stärkung der Prävention eingetreten ist.
Methoden: Aus dem Sozialgesetzbuch V werden synoptisch die Aufgaben, Rechtsnormen und Anreizinstrumente zusammengestellt und in ihren Wirkungen und Interaktionen untersucht. Aus den Jahresrechnungen der GKV wird die Entwicklung der Ausgaben insgesamt und in den einzelnen Präventionsfeldern gegenübergestellt.
Ergebnisse: Die Aufgabenzuschreibungen der GKV in der Prävention folgen keinem klaren wissenschaftlichen Leitbild. Sie scheinen vielmehr das sich historisch wandelnde Verständnis von den Möglichkeiten der Prävention und zeitgenössige Politikansätze ihrer Förderung abzubilden. Gegenwärtig führen unterschiedliche Rechtsnormen sowie eine Vielzahl verschiedener Anreizinstrumente zu inkonsistenten Wirkungen und Zielkonflikten. Die Präventionsausgaben der GKV haben nur einen Anteil von 2 % an allen Leistungsausgaben, wovon der größere Teil auf medizinische Leistungen wie Vorsorge, Schutzimpfungen und Früherkennungsuntersuchungen fällt. Während die Leistungsausgaben der GKV kontinuierlich steigen, haben sich die Präventionsausgaben seit 2009 sogar verringert.
Schlussfolgerung: Die derzeitigen Regelungen der Präventionsaufgaben der GKV bedürfen einer Vereinheitlichung und Bereinigung inkonsistenter Anreize. Es ist nicht erkennbar, weshalb die Maßnahmen der Gesundheitsförderung, Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention bei vergleichbarer Evidenzbasis unterschiedlich behandelt werden sollten. Bei den Anreizinstrumenten sollte beachtet werden, dass die Ziele von Krankenkassen und Versicherte nicht deckungsgleich sein müssen. Anreize zur Förderung der Präventionsausgaben der Krankenkassen dürften dort besonders wirksam sein, wo ein betriebswirtschaftlicher Nutzen der Prävention nicht besteht.
Abstract
Objectives: This study examines what role the German statutory health insurance (GKV) has in health promotion and prevention, if regulations and incentives are consistent, and if the politically-intended strengthening of prevention has been achieved.
Methods: We compiled the regulations and incentives of the German Sozialgesetzbuch V as the legal basis for health promotion and prevention of the GKV and studied their effects and interactions. Using annual financial reports of GKV we determined how the spending in prevention overall and in specific fields of prevention has developed.
Results: The responsibilities of the GKV in health promotion and prevention lack a clear scientific foundation. Regulations have been incrementally added following changing ideas in prevention and health promotion policies. Currently, different norms and a variety of incentives lead to inconsistent and conflicting aims. Only 2 % of all expenditures of the GKV are for health promotion and prevention, mainly spent for medical measures like preventive medical check-ups or vaccination. While spending of the GKV in general is rising, expenditures for prevention have decreased since 2009.
Conclusions: There is a need to harmonise the different regulations in health promotion and prevention and to correct currently inconsistent incentives in the GKV. Given the similar evidence base there seems to be no reason why responsibilities for health promotion and primary, secondary or tertiary prevention should be regulated by different normative constructs. Incentives should account for the different aims of health insurers and their members. Financial incentives to increase spending in prevention may be particularly effective when there is no short-term financial interest for the health insurer.
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