Zeitschrift für Phytotherapie 2016; 37(05): 211-214
DOI: 10.1055/s-0042-113475
Praxis
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Einführung eines integrativen Therapiekonzeptes in die akutmedizinische Versorgung

Erfahrungen aus 2 Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin
Catharina Amarell1
,
Melanie Anheyer2
,
Dennis Anheyer3
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. November 2016 (online)

Was ist integrative Pädiatrie?

Die integrative Medizin stellt eine Weiterentwicklung der konventionellen Medizin unter Einbezug komplementärer Verfahren dar [1]. Entsprechend der integrativen Medizin im Erwachsenenalter beruht die integrative Pädiatrie auf einem gesundheitsbezogenen, ganzheitlichen Konzept, welches den Säugling, das Kind oder den Jugendlichen in all seinen Lebensbereichen betrachtet. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die ­Beziehung zwischen Arzt und Patient bzw. dessen Eltern gelegt. Ziel ist es, unter Einbeziehung der entsprechenden wissenschaftlichen Evidenz, alle geeigneten therapeutischen Verfahren, Gesundheitsexperten und Disziplinen zu vereinen, um bestmögliche Gesundheit und Heilung zu erreichen [2], [3].

Vorreiter sind USA und Kanada

Insbesondere Nordamerika fällt in den letzten Jahrzehnten bei der Etablierung und Einbindung von integrativmedizinischen Angeboten in die pädiatrische Routineversorgung eine Vorreiterrolle zu. So existieren in den USA und Kanada bereits 16 universitäre Kinderkliniken mit integrativmedizinisch-pädiatrischen Programmen [4]. Von diesen behandeln 64 % onkologische Erkrankungen, 50 % chronische Schmerzen, 28,5 % gastrointestinale oder andere chronische Erkrankungen stationär und 57 % onkologische Erkrankungen sowie je 43 % chronische Schmerzen, Bauch- oder Kopfschmerzen ambulant.

In Europa und insbesondere in Deutschland sind bisher nur sehr wenige vergleichbare Angebote in der pädiatrischen Routineversorgung zu finden und das, obwohl die Nachfrage und Anwendung komplementärer Verfahren bei pädiatrischen Patienten in Deutschland hoch ist [Abb. 1]. Je nach Studie wird eine Nutzungsprävalenz zwischen ca. 50 und 80 % angegeben. Genutzt werden vor allem Phytotherapie, Homöopathie, anthroposophische Medizin, Vitamine und Akupunktur [5]-[7]. In über 50 % der Fälle wenden Eltern komplementäre Verfahren in Kombination mit konventioneller Medizin an, fast die Hälfte jedoch, ohne dies mit dem behandelnden Arzt abzusprechen [6].

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Abb. 1 Die Einbindung integrativmedizinischer Angebote in den pädiatrischen Klinikalltag ist bisher in Deutschland die Ausnahme. © Sabine Hauptmann; Baum: istock

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Geringes Angebot - unbefriedigende Studienlage

Dieser hohen Nachfrage von Eltern und Kindern nach komplementären Therapien stehen gerade im stationären Bereich ein sehr geringes Angebot sowie eine oft unbefriedigende Studienlage gegenüber. Bei vielen Verfahren gibt es kaum evidenzbasierte Empfehlungen für die sichere Anwendung bei Kindern und Jugendlichen, was die Implementierung solcher Therapieverfahren in die Pädiatrie vor besondere rechtliche, ethische und klinische Herausforderungen stellt [8]. Diesen Herausforderungen kann nur im Rahmen ­integrativer Programme, die komplementäre und konventionelle Verfahren mit­einander kombinieren und aufeinander abstimmen, begegnet werden. Modellhaft sollen hier zwei Akutkliniken für Kinder- und Jugendmedizin vorgestellt werden, die in enger Kooperation seit 2015 integrative Therapiekonzepte etablieren. Unterstützt werden sie dabei von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung. Die wissenschaftliche Evaluation des Projektes erfolgt in Zusammenarbeit mit der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin des Knappschafts-Krankenhauses in Essen.


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1 Kinderkrankenhaus St. Marien Landshut, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin


2 Elisabeth-Krankenhaus Essen, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin


3 Kliniken Essen-Mitte, Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin


 
  • Literatur

  • 1 Academic Consortium for Integrative Medicine and Health. http://www.imconsortium.org/about/about-us.cfm (Zugriff 18.09.2016)
  • 2 Kemper KJ, Vohra S, Walls R. The use of complementary and alternative medicine in pediatrics. Pediatrics 2008; 122: 1374-1386
  • 3 Culbert TP, Olness K, Vohra S. Introduction to Integrative Pediatrics. In: Culbert TP, Olness K, ed. Integrative Pediatrics. New York: Oxford University Press; 2010: 3-12
  • 4 Vohra S, Surette S, Mittra D et al. Pediatric integrative medicine: pediatrics‘ newest subspecialty?. BMC Pediatr 2012; 12: 123
  • 5 Gottschling S, Gronwald B, Schmitt S et al. Use of complementary and alternative medicine in healthy children and children with chronic medical conditions in Germany. Complement Ther Med 2013; 21 (Suppl. 1): 61-69
  • 6 Weissenstein A, Straeter A, Villalon G et al. High frequency of CAM use among children in Germany. J Altern Complement Med 2012; 18: 729-730
  • 7 Hümer M, Scheller G, Kapellen T et al. Phytotherapie in der Kinderheilkunde - Prävalenz, Indikationen und Motivation. Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 959-964
  • 8 Gilmour J, Harrison C, Cohen MH, Vohra S. Pediatric use of complementary and alternative medicine: legal, ethical, and clinical issues in decision-making. Pediatrics 2011; 128 (Suppl. 4): 149-154
  • 9 Lee A, Chan SK, Fan LT. Stimulation of the wrist acupuncture point PC6 for preventing postoperative nausea and vomiting. Cochrane Database Syst Rev 2015; (11): CD003281
  • 10 Schilcher H, Kammerer S, Wegener T. Leitfaden Phytotherapie. 4. Aufl München: Elsevier; 2010: 324-326
  • 11 Timmer A, Günther J, Motschall E et al. Pelargonium sidoides extract for treating acute respiratory tract infections. Cochrane Database Syst Rev (10): CD006323
  • 12 Evans S, Tsao JC, Zeltzer LK. Paediatric pain management: using complementary and alternative medicine. Rev Pain 2008; 2: 14-20
  • 13 McClafferty H. Complementary, holistic, and integrative medicine: mind-body medicine. Pediatr Rev 2011; 32: 201-203