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DOI: 10.1055/s-0042-116854
In memoriam
Professor Dr. med. Kurt Tittel
*19.07.1920–† 20.08.2016
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. November 2016 (online)
Am 20. August 2016 ist der Wegbereiter des funktionellen Denkens in der Anatomie des Bewegungssystems und der Sportmedizin über viele Jahrzehnte Prof. Kurt Tittel in Leipzig verstorben.
Wissenschaftlich aktiv bis ins 94. Lebensjahr veröffentlichte Prof. Tittel mehr als 500 wissenschaftliche Arbeiten, mehrere Lehrbücher und 18 Lehrbuchbeiträge.
Sein 1957 erstmals erschienenes Standardwerk Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen erreichte bis 2015 15 deutsche Auflagen, dazu italienische, griechische, japanische und brasilianische (portugiesische) Ausgaben. Kurz vor Drucklegung der 16. Auflage ist er in Leipzig verstorben. 2015 publizierte er seine „Muscle Slings in Sport“ erstmalig in Englisch.
Es war eine außerordentlich schöpferische und erfolgreiche Verbindung, – Lehrstuhlinhaber für funktionelle Anatomie an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHFK Leipzig) und ärztlicher Betreuer der DHfK-Handballmannschaft (vielfacher Landesmeister und Europa-Cup-Gewinner) sowie Leiter des wissenschaftlichen Komitees der internationalen Föderation für Sportmedizin. Dies führte schon in den sechziger Jahren dazu, dass in der Sportmedizin und Trainingswissenschaft der Bewegungsapparat zum Bewegungssystem wurde, dass Muskelfunktion und sportliche Bewegung ganzheitlich als Verknüpfung der Funktion aller Gewebe verstanden wurde und dass Anatomie und Funktion in der alltäglichen sportlichen oder beruflichen Leistung untrennbar zusammen gehören.
Ausgehend von den funktionell anatomischen und sportmedizinischen Aspekten demonstrierte er in seinem Lehrbuch der funktionellen Anatomie die muskulären Verkettungen als Funktionsprinzipien der Bewegung. Diese funktionelle Denkweise widerspiegelte sich dann auch in der Manuellen Medizin, beflügelte hier das funktionelle Denken bei der Analyse und Behandlung myoskeletaler Dysfunktionen anhand der so genannten Verkettungen.
Seit den Publikationen von Prof. Tittel wissen wir, dass es eben nicht mehr ausreicht, Antagonisten und Agonisten zu kennen, deren Kraft bzw. Dehnfähigkeiten zu testen und daraus auf Verkürzungen und Abschwächungen das Therapieregime abzustellen. Es muss genauer hingeschaut werden, wenn es darum geht, das Funktionsprinzip der muskulären und arthromuskulären Dysbalancen, welche durch sportliches Training aber eben auch im täglichen Arbeitsprozess und Tagesablauf verursacht werden, – Grundlagen in der Manuellen Medizin aber auch in der Prävention von Bewegungsstörungen und Schmerzen am Bewegungssystem.
Prof. Kurt Tittel war aber nicht nur Hochschullehrer, Autor zahlreicher Publikationen, sondern er war ein stets hoch motivierter, engagierter, aber auch kritischer Kollege, welcher trotz seiner nationalen und internationalen Anerkennung stets auf dem Boden geblieben ist. Mit allen Beteiligten, wie Sportlern, Therapeuten, Ärzten und Patienten sprach er auf Augenhöhe, menschlich integer und loyal.
Wir werden sein Andenken als Wegbereiter der modernen funktionellen Anatomie bewahren und immer wieder darauf hinweisen, dass die ganzheitliche Betrachtung und Beachtung der bindegewebigen Strukturen neben Muskeln, Sehnen und Gelenken im Wesentlichen auch auf seinen Arbeiten beruhen.
L. Beyer, Jena
E. Seidel, Weimar