Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2016; 23(06): 268-271
DOI: 10.1055/s-0042-120835
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wichtige luftfahrtmedizinische Publikationen 2016

Aktuelle Daten zu Flugunfallanalysen
Jochen Hinkelbein
1   Köln, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin
,
Franziska Merzbach
1   Köln, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. Dezember 2016 (online)

Kommentar

Die Autoren konnten zeigen, dass technische Ursachen in diesem speziellen Luftfahrtbereich zunehmend relevant werden, der „Faktor Mensch“ aber nach wie vor den Hauptanteil ausmacht. Die Autoren empfehlen, dass Hersteller die technische Sicherheit erhöhen sollten und die Hubschrauber auch für IFR-Flüge ausgestattet sein sollen. Wenngleich das US-amerikanische HEMS-System nicht ohne Weiteres mit Deutschland vergleichbar ist, zeigt die Studie eine gute Korrelation mit deutschen Daten auf [2].


Für Deutschland wurde kürzlich der Einfluss des Wetters beziehungsweise IFR-Bedingungen als ein wichtiger und entscheidender Faktor für Flugunfälle mit Rettungshubschraubern aufgezeigt [3]. Hindernisberührungen und Kollisionen weisen ebenfalls für deutsche HEMS-Unfälle eine sehr große Bedeutung auf [1, 4]. Hinsichtlich Verletzungsschwere und resultierende Verletzungen ergibt sich für HEMS-Unfälle ein inhomogenes Bild und Vergleiche sind oftmals problematisch [5].

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Abb. 1 Verletzungsschwere in Abhängigkeit des Zeitraums.Quelle: modifiziert nach Boyd DD et al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 26–31

Literatur

  1. Hinkelbein J, Schwalbe M, Neuhaus C et al. Incidents, accidents and fatalities in 40 years of German helicopter emergency medical system operations. Eur J Anaesthesiol 2011; 28: 766–773

  2. AG Notfallmedizin, Spelten O, Genzwürker HV, Hinkelbein J. Flug- und notfallmedizinische Forschung zur Luftrettung Ergebnisse und Tätigkeitsbericht. 2011; 18: 168–173

  3. Hinkelbein J, Schwalbe M, Wetsch WA et al. Application of the FIA score to German rescue helicopter accidents to predict fatalities in Helicopter Emergency Medical Systems (HEMS) crashes. J Emerg Med 2012; 43: 1014–1019

  4. Hinkelbein J, Dambier M, Viergutz T, Genzwürker H. A 6-year analysis of German emergency medical services helicopter crashes. J Trauma 2008; 64: 204–210

  5. Hinkelbein J, Spelten O, Neuhaus C et al. Injury severity and seating position in accidents with German EMS helicopters. Accid Anal Prev 2013; 59: 283–288

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Die Zunahme von nachgewiesenen Medikamenten in postmortalen humanen Proben ist auffällig und kann einerseits durch eine vermehrte Verschreibungspraxis, aber auch durch die illegale Einnahme dieser Medikamente verursacht sein. Des Weiteren bleibt unklar, ob die Zunahme an Fällen nicht vielleicht durch eine intensivierte Suche, verbesserte Analysemethoden oder durch eine Zunahme des Luftverkehrs verursacht sein kann.


Die vorliegende Untersuchung stützt sich nur auf postmortale Ergebnisse fataler Flugunfälle. Für die korrekte Einschätzung des Risikos wäre es allerdings wichtig, auch die Ergebnisse von Piloten miteinzubeziehen, die in nicht tödlichen Unfällen involviert waren oder aber auch keinen Unfall hatten. Diese Ergebnisse werden leider in absehbarer Zeit nicht zu erheben sein, wären aber für die Verbesserung der Flugsicherheit von immensem Wert.

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Abb. 2 Anteil an Substanzen in Abhängigkeit des Zeitraums.EtOH = Alkohol; CS = Medikamente (controlled substances); R = Verordnete Medikamente (prescription); OTC = freiverkäufliche Medikamente (over the counter)Quelle: modifziert aus Chaturvedi AK et al. Aerosp Med Hum Perform 2016; 87: 470–476
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In den allermeisten Fällen war die letzte Radarposition ein sehr guter Prädiktor, um das Luftfahrzeug aufzufinden. Allerdings wurden 5 % der Luftfahrzeuge mehr als 45,4 NM entfernt von der letzten Radarposition gefunden. Für zukünftige Suchstrategien ist es daher von sehr großer Bedeutung entsprechende Algorithmen zu verwenden, um Luftfahrzeuge und Insassen möglichst schnell zu finden. Wenngleich sich in vielen Fällen eine gute Überschneidung zwischen Radardaten und tatsächlicher Auffindeposition ergibt, existieren dennoch unzählige Faktoren (z. B. Tiefflug, fehlende Radarabdeckung u. a.), die zu einer relevanten Diskrepanz führen. Ob diese mit entsprechenden Algorithmen wirklich zuverlässig vorhergesagt werden können, bleibt leider fraglich.

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Suizide und erweiterte Suizide durch Piloten sind schlagartig in den letzten 2 Jahren bekannt und relevant geworden. Nicht zuletzt auch wegen der Unglücke von Malaysia Airlines MH370 und Germanwings 4U9524 haben diese vergleichsweise seltenen Ereignisse auch überaus großes Medieninteresse erfahren. Trotz nun deutlich verschärfter Maßnahmen (Aufenthalt im Cockpit) und Kampagnen (z. B. Mental Health) wird man derartige Ereignisse zukünftig wahrscheinlich niemals verhindern können. Von daher sollten Piloten nach wie vor gut medizinisch und psychologisch untersucht werden und bei Auffälligkeiten (z. B. Beziehungsproblemen) möglichst optimale psychologische Hilfe angeboten bekommen. Komplett verhindern kann man solche Ereignisse leider niemals.

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Die Autoren beschreiben in ihrem Übersichtsbeitrag interessante und wichtige Punkte zu den sogenannten „in-flight medical emergencies“. Die Bedeutung von Notfällen an Bord von Luftfahrzeugen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ursächlich sind hierfür unter anderem größere Flugzeuge, längere Flugstrecken und eine höhere Anzahl an älteren und kränkeren Passagieren [2]. Die Publikation von Nable et al. zeigt zwar eine interessante Übersicht über mögliche Erkrankungen und Traumata auf, enttäuscht aber hinsichtlich der Tiefe der dargestellten Informationen.

Für eine zielführende Analyse sollten IFME nicht nur von einer einzelnen Fluggesellschaft, sondern idealerweise übergreifend in einem nationalen oder internationalen Register erfasst werden [1]. Nur so ist es möglich, verlässliche Schlussfolgerungen zu ziehen und Trends zu identifizieren, die sich wiederum in veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen (z. B. zur notfallmedizinischen Ausstattung) wiederfinden sollten. Zukünftig ist ein verlässliches, internationales Register für Notfälle an Bord von Luftfahrzeugen notwendig, um qualitativ hochwertige und belastbare Informationen abzuleiten und um die medizinische Versorgungsmöglichkeit während des Fluges zu verbessern [1].

Literatur

  1. Hinkelbein J. Significant More Research Required: No Further Progress Without Sound Medical Data and Valid Denominators for In-Flight Medical Emergencies. J Travel Med 2015; 22: 355–356

  2. Silverman D, Gendreau M. Medical issues associated with commercial flights. Lancet 2009; 373: 2067–2077

  3. Peterson DC, Martin-Gill C, Guyette FX et al. Outcomes of medical emergencies on commercial airline flights. N Engl J Med 2013; 368: 2075–2083

  4. Hinkelbein J, Neuhaus C, Wetsch WA et al. Emergency medical equipment on board German airliners. J Travel Med 2014; 21: 318–323

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Die Daten dieser Untersuchung lassen den Schluss zu, dass das Vorhandensein eines FAA-Medicals das Risiko für einen tödlichen Flugunfall vermindert. Dies wäre eine der ersten Studien, welche die Sinnhaftigkeit flugmedizinischer Tauglichkeitsuntersuchungen auf wissenschaftlicher Basis klar darstellen. Bei der Analyse und Interpretation der Daten ist jedoch Vorsicht angesagt! In der Studie werden 403 FAA-zertifizierte Piloten mit nur 64 nicht zertifizierten Führerscheinbesitzern vergleichen. Das ist eine recht magere Datenbasis für eine solch relevante Bewertung. Die Studie ist, nichtdestotrotz, ein wichtiger Impuls für weitere Forschungsprojekte, die zukünftig zu diesem Thema folgen sollten!

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Die Studie zeigte eindrücklich, dass viele Piloten aus der allgemeinen Luftfahrt moderne meteorologische Hilfestellungen regelmäßig nutzen, mit deren Anwendung allerdings oftmals große Probleme haben. Mittels des Kurses konnte die Performance deutlich verbessert werden. Hieraus kann potenziell auch eine Verbesserung der Flugsicherheit postuliert werden. Moderne APPs oder Smartphones/Tablets bieten dem Piloten heute ganz andere Möglichkeiten im Vergleich zu früheren analogen Zeiten. Dies führt einerseits zu Verbesserungen, andererseits sind aber viele Piloten in der Anwendung überfordert, machen Fehler in der Bedienung oder nutzen nicht alle notwendigen Möglichkeiten. Diese Problematik trifft aber andererseits auch auf weitere Bereiche in der Luftfahrt zu, beispielsweise die Nutzung von modernen Glascockpits.