Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0042-1755964
Verhaltenssüchte: Herausforderungen für Theorien, Modelle und Mechanismen
Einleitung Die Aufnahme der Computerspielstörung und der Glücksspielstörung als Störungen durch süchtiges Verhalten in die ICD-11 basierte auf Studien, die Parallelen zwischen diesen Verhaltenssüchten und stoffgebundenen Süchten nahelegen. Auch die theoretischen Konzeptionen dieser und weiterer (online) Verhaltenssüchte (z.B. Shoppingstörung, problematische Nutzung sozialer Netzwerke) gehen weitgehend von den Störungen zugrundeliegenden Mechanismen aus, wie sie für stoffgebundene Süchte beschrieben wurden. Vor dem Hintergrund der aktuellen empirischen Befunde zu (online) Verhaltenssüchten sollen die Herausforderungen für die zukünftige Forschung zu psychologischen und neurobiologischen Mechanismen abgeleitet werden.
Material und Methodik Narrativer Überblick über aktuelle empirische Befunde mit Fokus auf Meta-Analysen zu psychologischen und neurobiologischen Mechanismen verschiedener Verhaltenssüchte, insbesondere Computerspielstörung, Pornographie-Nutzungsstörung, Shoppingstörung und problematische Nutzung sozialer Netzwerke.
Ergebnisse Die breiteste Befundlage gibt es für die Computerspielstörung und für unspezifische Internetnutzungsstörungen. Für die anderen (online) Verhaltenssüchte ist die Befundlage überschaubar und Meta-Analysen fehlen weitgehend. Die bislang vorhandenen Ergebnisse demonstrieren, dass Reizreaktivität und Verlangen in Kombination mit reduzierter Inhibitionskontrolle dem süchtigen Verhalten zugrunde liegen. Zudem gibt es Evidenz für eine Beteiligung zwanghafter Prozesse, insbesondere in späteren Phasen des Suchtprozesses. Auf neuraler Ebene zeigen sich Hyperaktivitäten in belohnungsverarbeitenden Hirnregionen (z.B. ventrales Striatum) und in mit Kompulsivität assoziierten Schaltkreisen (inklusive dorsalem Striatum). Ebenso zeigen sich Reduktionen präfrontal vermittelter Kontrollprozesse.
Zusammenfassung Die Befunde lassen sich in theoretische Modelle integrieren, die eine Imbalance zwischen Antriebsfaktoren (positive und negative Verstärkung, Kompulsivität) und Selbstkontrolle bei Verhaltenssüchten annehmen. Die Herausforderungen für die zukünftige Forschung liegen in einem besseren Verständnis kausaler Wirkmechanismen inklusive der Rolle spezifischer Vulnerabilitäts- und Resilienzfaktoren in Kombination mit potenziell akzelerierenden verhaltens- und onlinespezifischen Prozessen. Dazu bedarf es breit angelegter Longitudinalstudien.
Publication History
Article published online:
30 August 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany