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DOI: 10.1055/s-0043-100353
Nicht infektiöse Ursachen für digitale Knochenmarködeme
Non-infectious Causes for Digital Bone Marrow EdemaPublication History
Publication Date:
07 June 2017 (online)
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Einem Knochenmarködem (engl. bone marrow edema; BME) in den Fingern und Zehen können verschiedene Pathomechanismen zugrunde liegen. Deshalb kann es bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen sowie bei mechanischen oder thermischen Traumata beobachtet werden. Eine eingehende Kenntnis über mögliche Ursachen kann seine Deutung erheblich verbessern und so die diagnostische Aussagekraft erhöhen ([Tab. 1]).
CRMO = chronisch rekurrierende multifokale Osteomyelitis; NOMID = Neonatal Onset Multisystem Inflammatory Disease; TRAPS = Tumornekrosefaktor-Rezeptor-1-assoziiertes periodisches Syndrom; DIRA = Deficiency of the interleukin-1-receptor antagonist; CRPS = complex regional pain syndrome.
Der mit Abstand häufigste Pathomechanismus für ein digitales BME dürfte die mechanische Schädigung sein. Frakturen entstehen durch eine Gewalteinwirkung, welche die Festigkeit und Elastizität der Knochenstruktur überschreitet ([Abb. 1a]). Dies kann bei geschwächter Knochenstruktur bereits bei inadäquaten Traumata eintreten (Insuffizienz-Frakturen). Trabekuläre Mikroinfraktionen werden oft nur indirekt durch den Nachweis von BME, z. B. bei der MRT, erkannt. Sie sind Folge von repetitiver Überbelastung, z. B. im Zusammenhang mit sportlicher oder berufsbedingter Aktivität (Marsch-Fraktur) ([Abb. 1b]).
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Bei den nicht traumatischen Ursachen eines digitalen BME steht die nicht infektiöse Inflammation im Vordergrund, die durch diverse Erkrankungen hervorgerufen werden kann. Die weltweit häufigste Ursache für eine Arthritis ist die Gicht, die bekannter Weise die Finger und Zehen (Podagra) befallen und dabei ein ausgedehntes inflammatorisches BME verursachen kann ([Abb. 2]). Weitere häufige Auslöser eines inflammatorischen digitalen BME sind autoimmune-rheumatologische Erkrankungen, bei denen das Knochenmark in unterschiedlichem Maße mitbeteiligt wird. So werden Knochenmarködeme bei der rheumatoiden Arthritis (RA) im hoch-floriden Stadium häufig beobachtet, allerdings hauptsächlich im Bereich der Handwurzelknochen und nur selten an den Fingern und Zehen ([Abb. 3]). Hier ist die Entzündung über eine lange Zeit auf die Synovia beschränkt. Erst mit der Zunahme der Entzündung und nach Destruktion der anatomischen Barrieren (z. B. Knorpel) greift die Inflammation auf den Knochen über, jedoch ist dies aufgrund der geringen Gelenkgröße der PIP- und DIP-Gelenke nur in seltenen Fällen zu sehen. Die Knochenmarkinflammation stellt in diesen Fällen eine Vorstufe einer Knochendestruktion (Usur) dar. Bei der fortgeschrittenen Arthrose mit inflammatorischer (erosiver) Komponente findet sich dagegen in der MRT häufig ein periartikuläres BME, das Folge einer gestörten Kongruenz im Gelenk ist ([Abb. 4]). Im Gegensatz zu der RA ist das BME beim peripheren Befall im Rahmen der Spondylarthritiden häufiger ([Abb. 5]). Das Knochenmark kann hier primär oder sekundär angegriffen werden. Dies tritt nicht nur in Begleitung einer Synovitis auf, sondern auch angrenzend an Synchondrosen und manchmal sogar auch fern vom Knorpel. Am häufigsten wird es bei der Psoriasis-Arthritis (PsA) beobachtet, bei der die Entzündung auf die umgebenden Weichteile (manchmal der ganzen Extremität) sowie auf den Knochen übergreift. Ganze Phalangen sowie Metacarpalia können davon betroffenen sein ([Abb. 6a]), oft von einer Dactylie (Wurstfinger) begleitet ([Abb. 6b–c]). Eine Periostitis kann zusätzlich zum BME oder unabhängig davon vorkommen. Auch bei anderen Spondyloarthritiden, wie der reaktiven Arthritis, beim M. Crohn und der ankylosierenden Spondylitis (M. Bechterew) ist das digitale BME ein häufiger Befund. Eine seltenere, nicht gänzlich verstandene Erkrankung stellt die chronisch rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO) dar, die vorwiegend im Kindesalter vorkommt ([Abb. 7]). Hier tritt das BME an verschiedenen Stellen (inklusive den Fingern und Zehen), hauptsächlich metaphysär auf. Es migriert häufig durch das ganze Skelett, um dann oft spontan (mit oder ohne Sequelen zu hinterlassen) auszuheilen (Moussa T et al. Int J Rheum Dis 2016; doi: 10.1111/1756 – 185X.12 940). Noch seltenere Erkrankungen mit Potenzial für ein ausgedehntes BME sind autoinflammatorische Krankheiten wie NOMID (Neonatal Onset Multisystem Inflammatory Disease), Tumornekrosefaktor-Rezeptor-1-assoziiertes periodisches Syndrom (TRAPS) oder Deficiency of the interleukin-1-receptor antagonist (DIRA) ([Abb. 8]).
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Einer dritten Gruppe von Ursachen liegt für die Entstehung eines digitalen BME ein vaskulärer Pathomechanismus zugrunde. Während bei den oben genannten Autoimmunerkrankungen das BME Ausdruck einer Inflammation ist, wird es bei anderen Autoimmunerkrankungen, wie z. B. beim systemischen Lupus erythematodes (SLE), eher als Folge einer Durchblutungsstörung im Rahmen einer Begleitvaskulitis hervorgerufen. Selten können dann Nekrosen resultieren ([Abb. 9]). Ein typisches Beispiel für eine Finger- und/oder Zehenbeteiligung bei einer Autoimmunerkrankung ist die systemische Sklerose (Sklerodermie, (SSc) ([Abb. 10]). Hier sind die dafür verantwortlichen Pathomechanismen eher in der gestörten Vasomotorik der digitalen Gefäße zu finden, welche ein sogenanntes sekundäres Raynaud-Syndrom ([Abb. 11]) zur Folge haben kann. Die Vasospasmen treten anfallsartig meist an den Fingern, seltener an den Zehen auf und führen temporär zu erheblichen Zirkulationsstörungen (Bakst R et al. J Am Acad Derm 2008; 59: 633 – 653).
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Eine weitere Gruppe von Erkrankungen, die ein BME auslösen können, sind vaskuläre Dysfunktionen (z. B. bei peripherer venöser Insuffizienz oder arterieller Minderdurchblutung). Insbesondere die venösen Insuffizienzen können ein fokales oder diffuses BME bedingen. Interessanter ist allerdings eine andere Gruppe von Erkrankungen, denen eine intermittierend auftretende Zirkulationsstörung zugrunde liegt und die mit einer unterschiedlich ausgeprägten Symptomatik einhergehen können. Dazu gehören außer dem Raynaud-Syndrom ([Abb. 11]), die Akrozyanose ([Abb. 12]), die Erythromelalgie ([Abb. 13]), Perniones ([Abb. 14]) bis hin zu Erfrierungsschäden, Hitzeeinwirkung oder Stromschläge. Das Raynaud-Syndrom ist mit einer Prävalenz von bis zu 20 % (w > m) eine häufige Gefäßerkrankung, die an Fingern und Zehen paroxysmale Vasospasmen und folglich eine Minderdurchblutung verursacht. Die typische Klinik ist ein anfallsweise auftretendes, in der Regel mehrere Minuten andauerndes und evtl. schmerzhaftes Trikolore-Phänomen an Fingern und Zehen (1. weiß – Ischämie 2. blau – Zyanose 3. rot – Hyperämie). Diese Anfälle können durch Faktoren wie Kälte und Stress ausgelöst werden, aber auch ohne erkennbaren Auslöser ablaufen. Unterschieden wird zwischen primärem Raynaud-Syndrom unbekannter Ätiologie und sekundärem Raynaud-Syndrom. Letzteres wird z. B. bei Autoimmunerkrankungen wie Polymyositis, SSc, Gefäßerkrankungen wie pAVK oder Thrombangiitis obliterans, Vibrationstraumata und einigen Medikamenten beobachtet (Bakst R et al. J Am Acad Derm 2008; 59: 633 – 653; Linnemann B, Erbe M. Vasa 2015; 44: 166 – 177; Heidrich H. Vasa 2010; 39: 33 – 41). In der MRT findet sich ein von distal nach proximal ausbreitendes digitales BME.
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Der selteneren Akrozyanose liegt eine aton-hypertone Dysregulation des Kapillarbettes zugrunde, bei der die Venolen/efferente Kapillaren eine Dilatation und die Arteriolen/afferente Kapillaren eine Konstriktion aufweisen. Junge Frauen sind häufiger betroffen. Es zeigt sich eine zumeist persistierende, blau-rote bis zyanotische, in der Regel symmetrische schmerzlose Verfärbung der Akren und in der MRT korrespondierend ein distales, oft asymmetrisches digitales BME. Zudem liegt eine lokale Hypothermie und kutane Feuchte vor (Heidrich H. Vasa 2010; 39: 33 – 41). Die Erythromelalgie ist eine sehr seltene periphere neurovaskuläre Gefäßdysregulation, die durch eine anfallsweise auftretende schmerzhafte Rötung, Überwärmung und Schwellung der Extremitäten gekennzeichnet ist. Sie wird durch Wärme ausgelöst. Sie kann eigenständig als autosomal dominant vererbte primäre Erytromelalgie auftreten. Die sekundäre Erythromelalgie wird als Begleitstörung einer anderen Erkrankung gesehen, u. a. möglich bei myeloproliferativen Erkrankungen, Diabetes mellitus und Neuropathien (Heidrich H. Vasa 2010; 39: 33 – 41; Tang Z et al. Orphanet J Rare Dis 2015; 10: 127; Berlin AL, Pehr K. J Am Acad Dermatol 2004; 50: 456 – 460; Cohen JS. J Am Acad Dermatol 2000; 43: 841 – 847). In der MRT findet man in der Regel nahezu symmetrische, intermittierend auftretende BMEs der Phalangen und Metacarpalia (Metatarsalia). Perniones (Frostbeulen) sind livide, ödematöse, teil schmerzhafte, knotige entzündliche Hautveränderungen, die bei disponierten Personen bei bereits mäßiger Kälteeinwirkung auftreten können. Sie sind typischerweise an den Dorsalseiten der Finger, Zehen, Unterschenkel und im Kniebereich lokalisiert. Betroffen sind überwiegend Frauen und (beruflich) kälteexponierte Menschen. Den Perniones liegt pathogenetisch meist eine vegetativ gestörte Gefäßfunktion zugrunde (Altmeyer P. Die Online Enzyklopädie der Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Umweltmedizin. http://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/artikel?id=2999. Zugriff vom 28.12.2016). Die schwerste Form der Kälteschädigung stellt die Erfrierung dar, welche in vier Schweregrade eingeteilt wird und je nach Tiefe und Schwere der Gewebeschädigung von erythematös, bullös, nekrotisch bis gangränös verlaufen kann. In mehr als 90 % der Fälle sind Erfrierungen an Händen und/oder Füßen lokalisiert. Pathophysiologisch ist für ihre Entstehung eine extreme Kälteeinwirkung notwendig. Zunächst kommt es während der Kälteexposition zur Ausbildung von Eiskristallen auf zellulärer Ebene und folglich zu Zellschäden wie Membrandefekten oder Proteindenaturierungen. Danach entstehen durch die Aufwärmung Reperfusionsschäden (wie Endothelschäden, Vasokonstriktion, Ödeme und Thrombusbildung). Der Zusammenbruch der Mikrozirkulation ist die Folge (Altmeyer P. Die Online Enzyklopädie der Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Umweltmedizin. http://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/artikel?id=2999. Zugriff vom 28.12.2016; Goertz O et al. Unfallchirurg 2011; 114: 634 – 638).
Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist eine chronische Erkrankung, die nach Weichteil- und Nervenverletzungen (z. B. nach Fraktur oder Operation) auftreten kann. Die obere Extremität ist häufiger betroffen als die untere Extremität. Klinisch zeigt sich ein polymorphes Bild mit sensorischen (Allodynie, Schmerz), autonomen (Ödem, Hyperhidrose, ↑/↓Hauttemperatur), motorischen (Muskelschwäche, Bewegungseinschränkungen) und trophischen Störungen (livides Kolorit, verändertes Haar-/Nagelwachstum). In fortgestrittenen Stadien können eine Osteoporose, Ankylosen und Dystrophien der betroffenen Extremität folgen. Im ersten Stadium des CRPS (akutes Stadium) kann ein BME beobachtet werden ([Abb. 15]). In den beiden späteren Stadien (2. Dystrophisches Stadium 3. Atrophisches Stadium) ist ein BME unüblich. Die genaue Pathogenese ist noch ungeklärt. Es handelt sich wahrscheinlich um eine vegetative (sympathische) Fehlreaktion mit vaskulärer Fehlsteuerung. Eine neuronale Inflammationsreaktion wird aktuell ebenfalls diskutiert (Altmeyer P. Die Online Enzyklopädie der Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Umweltmedizin. http://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/artikel?id=2999. Zugriff vom 28.12.2016; Crozier F et al. Joint Bone Spine 2003; 70: 503 – 508). CRPS Symptome sind meistens unilateral und können sowohl proximal als auch distal auftreten. Die MRT zeigt ein charakteristisches BME-Muster um die betroffene Extremität, predomonierend subchondral, subkortikal, und an den Enthesen.
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Das Spektrum von Differenzialdiagnosen eines nicht infektiösen BME ist breit. Hier sollte man in erster Linie an Erkrankungen des Knochenmarks, z. B. im Zusammenhang mit hämatologischen Erkrankungen (Leukämien, Lymphomen, myeloproliferativen Syndromen), primäre und sekundäre Knochen- und Knochenmarktumoren wie auch Hystiozytosen, Sarkoidose, etc. denken, bei denen das Knochenmark in erster Linie von Tumor- oder sonstigen Zellen durchsetzt wird und wo das BME meistens nur eine Begleiterscheinung darstellt. Viel seltenere Erkrankungen, die mit einem BME-ähnlichen MRT-Bild unter anderem digital einhergehen können, stellen die seröse Knochenmarktransformation sowie die paraneoplastische oder therapie-assoziierte Osteomalazie, phosphaturische mesenchymale Tumoren, etc. dar.
Zusammengefasst ist das Spektrum der nicht infektiösen Erkrankungen, die mit einem digitalen Knochenmarködem einhergehen, sehr breit. Dabei führt die Zusammenschau mit Klinik und Labor in der Regel zur richtigen Diagnose. Kenntnisse über die Inzidenz und Manifestationsformen führen außerdem zur Eingrenzung der Differenzialdiagnosen.