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DOI: 10.1055/s-0043-100841
Qualität und Inanspruchnahme von Kindervorsorgeuntersuchungen in Deutschland
Quality of and Attendance at Healthy Child Clinics in GermanyPublication History
Publication Date:
21 April 2017 (online)
Zusammenfassung
Hintergrund Kindervorsorgeuntersuchungen sind seit vielen Jahren eine geschätzte Präventionsmaßnahme und unterliegen einer ständigen Erweiterung. Die Inanspruchnahme hängt vom sozialen Status der Familien ab. Die Dokumentation erfolgt unter anderem im sogenannten Gelben Vorsorgeheft. Derzeit werden in Deutschland die erhobenen Daten nicht epidemiologisch genutzt oder die Präventionsmaßnahmen evaluiert.
Methoden Zwischen 2011 und 2016 wurden innerhalb der populationsgestützten Kohortenstudie LIFE Child in Leipzig 3480 Probanden rekrutiert. 90,6 % der Teilnehmer legten ein Gelbes Vorsorgeheft vor. Diese Hefte wurden gescannt und in eine digitale Eingabemaske übertragen. Kenngrößen zum Sozialstatus wurden mittels Soziodemografiefragebogen erhoben, woraus der Winkler-Index berechnet wurde. Die Studienpopulation wurde aus jeweils dem ältesten Kind pro Familie mit beiden vorliegenden Datensätzen (n = 1964) gebildet.
Ergebnisse Die Erfassung der Daten aus den Gelben Heften war zeit- und kostenintensiv. Dieser Aufwand ergab sich durch große Datenmengen, uncodierte Diagnosen sowie den Einsatz geschulter Mitarbeiter zum Übertragen der oftmals unleserlichen Handschriften. Die Auswertung der Inanspruchnahme zeigte insgesamt eine hohe Akzeptanz über alle Sozialschichten hinweg. Mit zunehmendem Lebensalter sanken die Teilnahmeraten ab. Zur U9 wiesen Probanden der unteren Sozialschicht die geringste Inanspruchnahme auf (83,0 %). Die Dokumentation der Zielkrankheiten im Gelben Heft war unplausibel. Die Häufigkeit der Angaben schwankte unerklärlich zu den verschiedenen Vorsorgezeitpunkten. Besonders diskrepant zeigte sich die Dokumentation von psychosozialen Auffälligkeiten, welche im gesamten Untersuchungszeitraum bei weniger als 2 % aller Probanden dokumentiert wurden.
Schlussfolgerung Aus den Häufigkeiten der in den Gelben Heften dokumentierten Befunde lässt sich die Prävalenz der Zielkrankheiten nicht ableiten. Um die Gelben Hefte auswertbar machen zu können, muss die Dokumentation verbessert werden. Deshalb ist eine Digitalisierung der Vorsorgeuntersuchungsbefunde anzustreben.
Abstract
Background For several years the German healthy child clinics program has been a highly appreciated preventive measure and is subject to constant development. However, attendance depends on the families' sociodemographic situation. Findings are documented in a medical checkup booklet (the so-called Gelbes Heft). Currently, there is no procedure to use the data collected for epidemiological purposes nor to evaluate the pediatric prevention measures in Germany.
Methods Between 2011 and 2016, we recruited 3480 study participants for our population-based cohort study LIFE Child in Leipzig. 90.6 % submitted their check-up booklets which were subsequently scanned, the data was digitalized and transmitted to a computerized form. Furthermore, data on social status (so-called Winkler-Index) were collected for each family using a structured questionnaire. The study population consisted of the families' oldest child for whom both data sets were available.
Results The transmission of data from the check-up booklets was time-consuming and cost-intensive due to large datasets, uncoded diagnoses as well as the necessity of trained employees for transferring often illegible handwriting. Early diagnostic tests for children enjoy a high level of acceptance among all social classes. With increasing age, attendance rate decreases gradually. Only 83 % of the population with a lower social status attend the U9 test. The documentation of diagnoses in the check-up booklets was implausible because the frequency fluctuated heavily between the different check-up time points. With only less than 2 %, the documentation of psychosocial difficulties in a child was particularly surprising
Conclusion It is not possible to draw conclusions regarding the prevalence of target diseases from the frequency of documented findings in the check-up booklets. In order to make the data both comparable and evaluable, documentation must be digitalized in the future.
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