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DOI: 10.1055/s-0043-100911
Antibiotikaresistenzen, Homöopathie und die „Symptomenzuverlässigkeit“
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
15. Mai 2017 (online)
Die WHO warnt seit Jahren, dass in Zukunft antibiotikaresistente Bakterien das größte Gesundheitsrisiko darstellen werden. Nach Hochrechnungen werden im Jahr 2050 zehn Millionen Menschen pro Jahr durch resistente Erreger sterben. Inzwischen wird in vielen Bereichen versucht gegenzusteuern: Dazu zählt beispielsweise die Initiative „Choosing Wisely“ (www.choosingwisely.org) oder der deutsche Ableger „Klug entscheiden“, welche Ärzten Tipps zur Vermeidung von Antibiotikaverschreibungen geben.
Beim 15. Internationalen Symposium Homöopathie im Dezember 2016 in München sprach Prof. Dr. Johannes Hübner, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Infektiologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital, vom „postantibiotischen Zeitalter“: Neue Antibiotika seien nicht in Sicht, auf die bisherigen Substanzen nehmen die Resistenzen zu. Derzeit werde daran gearbeitet, Vakzine gegen multiresistente Erreger herzustellen. Das in der Klinik angewandte „Antibiotic Stewardship“ – eine konsequente Überprüfung jeder einzelnen Antibiotikaverordnung – trage bereits Früchte und habe die Zahl der Verordnungen drastisch reduziert. Auch im ambulanten Bereich gebe es große Einsparpotenziale, beispielsweise bei Otitis media und Halsschmerzen. Wichtig sei eine ausschließliche Behandlung von Infektion, nicht von Kolonisation – und zwar so kurz wie möglich. Cephalosporine und Azithromycin gehörten „in den Giftschrank“, so Hübner wörtlich.
Nun hat sich die Homöopathie auf die Fahnen geschrieben, durch konsequente Therapie infektiöser Erkrankungen Antbiotikaverordnungen vermeiden zu helfen. Es gibt dazu einige wissenschaftliche Studien, die diesen Ansatz bestätigen. Ob tatsächlich auch eine effektive Immunmodulation – somit eine Verbesserung der Disposition zur Infektion – durch Homöopathika zu erreichen ist, ist im Rahmen der Grundlagenforschung allerdings noch kaum verstanden. Aus dem alten Praxiswissen heraus hingegen erscheint dies eigentlich selbstverständlich, wenn von „konstitutioneller Behandlung“, „Antipsorika“ oder „Miasmen“ die Rede ist. Speziell im Bereich der HNO-Erkrankungen möchten wir im vorliegenden Heft an konkreten Beispielen zeigen, wie beiden Aspekten – sowohl der Vermeidung von Antibiotika wie auch der Verbesserung der individuellen Infektabwehr – durch klassische Homöopathie Rechnung getragen werden kann. Klaus Holzapfel untersucht die Behandlung der Pharyngitis/Tonsillitis samt zugehöriger Rubriken im Synthesis und selbst angefertigter Lochkartei. Bernhard Zauner nähert sich anhand einer Kasuistik der Behandlung rezidivierender Anginen mittels Symptomenlexikon. Mein eigener Beitrag zeigt den Einsatz von Kalium-Salzen bei verschiedenen Problemen im HNO-Bereich auf.
Heiner Frei trägt mit seinem Artikel in besonderer Weise zur Verbesserung der Verordnungssicherheit bei: Im Rahmen der Polaritätsanalyse unter Verwendung von Bönninghausens Therapeutischem Taschenbuch hat er Kriterien erarbeitet, die die sogenannte „Symptomenzuverlässigkeit“ erfassen und damit zur Steigerung der Trefferquote seiner Verschreibungen führen. Erstaunlicherweise reduzieren sich dadurch die 2539 Rubriken des Taschenbuchs auf 162, wenn nur noch „hochzuverlässige“ Symptome verwendet werden. Überraschenderweise führt diese drastische Reduktion zu einer deutlichen Qualitätssteigerung. Man muss dabei wohl voraussetzen, dass alle im Taschenbuch vertretenen Arzneimittel ideal ausgeprüft und ideal über die Rubriken verteilt worden sind. Wenn man die Sortierung der Symptome verallgemeinern würde, könnte man die Gruppierungen letztlich auf alle Repertorien beziehen: Empfindungssymptome, Hautsymptome u. a. wären generell als weniger zuverlässig einzustufen – und damit auch die korrespondierenden Rubriken. Jedenfalls ist die Untersuchung der Zuverlässigkeit von Rubriken in dieser Form ein Novum in der Homöopathie und ein echter Meilenstein!
Christian Lucae