Laryngorhinootologie 2017; 96(03): 150
DOI: 10.1055/s-0043-101420
Sehen und Verstehen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transplantatgewinnung zur Trommelfellrekonstruktion

Harvesting Grafts for Reconstruction of the Tympanic Membrane
Jan Peter Thomas
1   Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital, Bochum
,
Alexander Siedhoff
1   Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital, Bochum
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Christian Wrobel
1   Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital, Bochum
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Tobias Dombrowski
1   Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital, Bochum
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Stefan Dazert
1   Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Ruhr-Universität Bochum, St. Elisabeth-Hospital, Bochum
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Publication History

Publication Date:
18 April 2017 (online)

Zur Rekonstruktion des Trommelfells im Rahmen einer Tympanoplastik werden heutzutage nahezu ausschließlich Faszie, Perichondrium und/oder Knorpel verwendet, die im deutschsprachigen Raum vornehmlich in der „underlay“-Technik zum Einsatz kommen. Vorteile dieser Gewebe sind die hiermit erzielbaren niedrigen Raten an Residual- und Rezidivdefekten, günstigen audiologischen Eigenschaften und die gute Erreichbarkeit der Gewebe im Rahmen der chirurgischen Zugänge zur Tympanoplastik. Die Wahl des im jeweiligen Fall verwendeten Materials wird unter anderem durch die zugrundeliegende Pathologie und Belüftungssituation der Pauke sowie die Größe des Defektes bestimmt. Nur bei sehr kleinen Trommelfelldefekten kann ein Defektverschluss auch mit autologem Fett mittels Pfropftechnik Anwendung finden. Früher beschriebene Materialien wie Voll- und Spalthaut und Venengewebe wurden vor allem aufgrund hoher Rezidivdefektraten verlassen. Homografts von Trommelfellen sind mittlerweile aus infektiologischen Gründen obsolet.

Üblicherweise bietet es sich an, die Transplantatentnahme über den für die Exposition des Operationsgebietes gewählten chirurgischen Zugang durchzuführen. Hierdurch kann eine zusätzliche Inzision vermieden werden. Sowohl über den enauralen wie auch retroauriculären Zugang lassen sich meist alle 3 Transplantatgewebe ohne wesentliche zusätzliche Verletzung des umgebenden Gewebes problemlos erreichen und gewinnen. Im Falle von Rezidiveingriffen muss evaluiert werden, inwieweit hochqualitatives Transplantatmaterial im jeweiligen Bereich noch in ausreichendem Maße zur Verfügung steht.

Bei Faszie handelt es sich um das weltweit am häufigsten verwendete Material zur Trommelfellrekonstruktion. Ihre Verwendung wurde erstmals 1961 von H. Heermann beschrieben. Vorteile dieses Materials sind die einfache und rasche Erreichbarkeit von Faszie des M. temporalis in großem Umfang sowohl über den enauralen als auch retroauriculären Zugang. Die Rate an Residual- bzw. Rezidivdefekten wird mit 19% in der Literatur (Mohamad SH et al. Otol Neurotol 2012; 33: 699–705) höher angegeben als bei der Verwendung von Knorpel, wobei mitberücksichtigt werden muss, dass die dem Trommelfelldefekt zugrundeliegenden Ursachen bei der Prognose eine relevante Rolle spielen. Insbesondere bei einer zufriedenstellenden Belüftungssituation der Pauke lassen sich mit diesem Material gute Ergebnisse erzielen. Aufgrund der erheblichen Schrumpfungstendenz ist zu berücksichtigen, dass das Transplantat deutlich größer als der zu verschließende Trommelfelldefekt gewählt werden muss. Um das bei großen Trommelfelldefekten im feuchten Zustand gelegentlich schwierig zu implantierende Material besser positionieren zu können, kann es hilfreich sein, das Transplantat zuvor etwas antrocknen zu lassen. Eine vollständige Austrocknung des Gewebes sollte jedoch vermieden werden.


Quality:

Die Gewinnung von Perichondrium gestaltet sich nur geringfügig aufwendiger als die von Faszie. Jedoch erscheint die Schrumpfungstendenz dieses Materials geringer und die Positionierung des stabileren Gewebes lässt sich etwas einfacher durchführen als bei Faszie. Die angegebene Rate von 15–20% Residualperforationen bei alleiniger Verwendung von Perichondrium (Haisch A et al. HNO 2013; 61: 604–608 und Dabholkar JPO et al. Indian J Otolarygol Head Neck Surg 2007; 59: 116–119) entspricht der von Rekonstruktionen des Trommelfells mit Temporalisfaszie. In den meisten Fällen erfolgt der Einsatz von Perichondrium in Kombination gemeinsam mit Knorpel.

Knorpel bzw. Knorpel-Perichondrium-Transplantate finden ihren Einsatz vor allem bei Revisionstympanoplastiken aufgrund von Rezidivdefekten, sehr großen Trommelfelldefekten und eingeschränkten Belüftungssituationen der Pauke. Da letztere sehr häufig chronisch entzündlichen Mittelohrentzündungen zugrunde liegen, werden „composite grafts“ aus Knorpel mit anhängendem Perichondrium von uns in diesen Fällen favorisiert. Als Entnahmestellen für Knorpel eignen sich vor allem der Tragus beim enauralen sowie das Cavum conchae beim retroauriculären Zugang. Die audiologischen Ergebnisse, die mit Knorpel erzielt werden, sind denen mit Faszie vergleichbar (Kim JY et al. J Craniofac Surg 2012; 23: e605–e608). Aus audiologischen Gründen sollte bei der Verwendung von Knorpel dieser ausgedünnt werden. Die Residual-/Rezidivperforationsrate wird mit 10% (Mohamad SH et al. Otol Neurotol 2012; 33: 699–705) angegeben. Für die Art der Rekonstruktion des Trommelfells mit Knorpel bzw. Knorpel-Perichondrium existieren zahlreiche Möglichkeiten. Exemplarisch sind hier insbesondere die Prinzipien der Knorpel-Perichondrium-Insel und die Knorpelpalisadentechnik zu nennen. Bei ersterer sollte die Größe der Knorpelinsel dem zu verschließenden Trommelfelldefekt entsprechen, die umgebende zum Trommelfell gerichtete Perichondriumschürze gewährleistet eine glatte Anlagerung von medial an das noch vorhandene Trommelfell. Die Knorpelpalisadentechnik eignet sich besonders für große Trommelfelldefekte. Hierbei werden entsprechend dünn präparierte Palisaden aus Knorpel in unmittelbarem Kontakt zueinander parallel zum Hammergriff angeordnet.