Zeitschrift für Palliativmedizin 2017; 18(02): 53-54
DOI: 10.1055/s-0043-101442
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Palliativmedizin in Zeiten des Populismus

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Publication Date:
08 March 2017 (online)

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Heiner Melching

Derzeit blicken viele Menschen mit Sorgen auf die USA und den neuen Präsidenten, der aus einem Wahlkampf als Sieger hervorging, der in hohem Maße von Populismus geprägt war. Nicht viel anders war die Diskussion in Großbritannien, die zum Brexit führte, und auch uns steht in diesem Jahr ein Wahlkampf bevor, bei dem Inhalte und Fakten nicht immer an erster Stelle stehen werden. Am Ende werden Menschen in den Bundestag einziehen, die neue Feindbilder aufgebaut und irrationale Ängste dergestalt geschürt haben, dass die Furcht vor dem Verfall von Werten, guten Sitten und Kultur weniger zählt als die Angst vor dem „Untergang des Abendlandes“; und zwar sogar bei denen, die nicht in der Lage wären, auf einer Weltkarte die Grenzen des Abend- und Morgenlandes einzuzeichnen.

Mit Feindbildern lässt sich gemeinhin gut leben und das Geschäft mit der Angst hat schon immer bestens funktioniert.

Warum sollte es da in der Palliativmedizin anders sein? Auch in unserer so lange heilen palliativen Welt hat der Populismus längst Einzug gehalten. So war kürzlich im Fokus zu lesen: „Palliativmediziner hält Behandlung Todkranker für eine ans Kriminelle grenzende Fachrichtung.“ Was werden Fokusleser/innen dabei denken? Die Behandlung Todkranker wird sicherlich in vielen Fällen mit Palliativmedizin assoziiert, welche nun also einer kriminellen Tätigkeit nachgeht. Aber selbst wer sich die Mühe macht, den Hintergrund dieser Angstmeldung zu verstehen, wird feststellen, dass Palliativmediziner/innen (zumindest einige) zwar zu den „Guten“ gehören, alle anderen aber als Raubritter der Pharmaindustrie durch die Lande ziehen und Sterbende mit unnützen Therapien quälen. Und das alles angeblich nur aus Geldgier. Warum wird z. B. jemandem aus der Onkologie, der/die eine aus palliativmedizinischer Sicht zweifelhafte Behandlung anstrebt, nicht zunächst unterstellt, dabei das Beste für die Patienten im Sinn zu haben, und eher von eigenem Ehrgeiz als von Geldgier getrieben zu sein? Ließe sich so nicht viel zielführender die Diskussion und Auseinandersetzung darüber führen, was sinnvoll und was schädlich ist, als dies durch die pauschale Diffamierung einer ganzen Gruppe möglich ist?

Anscheinend geht es Einigen weniger um die Lösung eines Problems als um die Produktion von Schlagzeilen oder den Verkauf von Büchern.

Mit der Angst vor dem Sterben lassen sich wirkungsvolle Schlagzeilen erzeugen, und so wundert es nicht, dass kürzlich in der Stuttgarter Zeitung unter der Überschrift: „Wenn ein Gespräch schon strafbar ist – Palliativmediziner legen Verfassungsbeschwerde ein“ zu lesen war: „Wenn ein Patient fragt, ob die gehortete Medikamentendosis tödlich für ihn sei, darf der Arzt streng genommen nicht antworten. Dieses Gespräch kann geschäftsmäßige Sterbehilfe sein.“ Man muss schon Vieles vom neuen § 217 StGB nicht verstanden haben, um solche Sätze zu schreiben, und es muss einem auch ziemlich egal sein, welche Auswirkungen solche Schlagzeilen auf das Arzt/Ärztin-Patienten-Verhältnis haben. Hauptsache die Headline stimmt und der eigene Name lässt sich in der Zeitung finden.

Nun ist also auch die Ruhe, die nach dem Gesetz zur geschäftsmäßigen Suizidhilfe eingetreten war, dahin, und es ist zu befürchten, dass die Diskussion zu diesem Thema mittels Schlagzeilen fortgeführt wird. Wieder werden Schreckensszenarien durch die Medienwelt gejagt und Ängste jedweder Couleur aufgekocht. Die Angst vor der „Verpflichtung zum Leben“, einem leidvollen Sterben an Maschinen, vor dem Verlust von Würde, Autonomie und Selbstbestimmung oder vor Dammbrüchen. Das alles wird dann bunt durcheinandergewürfelt, wodurch Unsicherheiten und Ängste sicherlich nicht verringert werden.

Manch gut gemeinter Schuss geht halt auch mal nach hinten los, wie z. B. auch bei der Parole vom „Fallpauschalverträglichen Frühableben“, die so musikalisch in den Ohren der Politiker/innen hängen blieb, dass am Ende die Öffnung für Palliativstationen zum Ausstieg aus dem DRG-System im HPG stand. Mit dem Erfolg, dass viele Palliativstationen nun umsteigen, weil sich mit der neuen Regelung (dort, wo es keine Qualitätssicherung gibt) Personalkosten sparen lassen. Nun geht es also auch ohne qualifizierte Pflegekräfte und weitere Berufsgruppen. Und die Patienten? Die werden in einigen Häusern nun nicht mehr auf der Palliativstation aufgenommen, sondern zunächst auf einer anderen Station, um dort zunächst die Fallpauschale zu erlösen; am besten noch eine Komplexpauschale dazu, und dann, ab auf die Palliativstation, um Tagessätze einzusammeln. Somit sind sie nicht mehr nur noch eine Fallpauschale, sondern Fall-, Komplex- und Tagespauschale. Aus einer pauschalen Verurteilung des DRG-Systems sind nun also dreifach pauschalierte Patienten hervorgegangen. Und das alles im Namen der Würde.

Ich bin überzeugt davon, dass die großen Erfolge der Palliativmedizin der letzten Jahre in großem Maße auch der seriösen und sachlichen Arbeit der DGP zu verdanken sind, auch wenn dies auf Kosten einer breiteren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit ging. Noch nie ist es einer Fachgesellschaft gelungen, so prominent und explizit in einem Gesetz genannt zu werden, wie der DGP beim HPG, in dem z. B. festgelegt wurde, dass die Kriterien für Palliativdienste im Einvernehmen mit der DGP definiert werden müssen. Und auch der Chartaprozess hat gezeigt, dass sich sachliche Arbeit lohnen kann, sofern man eine Verbesserung für Betroffene im Blick hat und nicht die eigne Huldigung in den Medien.

Dennoch kann auch diagnostiziert werden, dass manch medienwirksamer Aufschrei einen gehörigen Handlungsdruck auf die Politik ausüben kann. Vermutlich wäre das HPG nicht so schnell entstanden, wäre nicht die Sterbehilfediskussion vorausgegangen. Wesentlich sollte aber das langfristig zu verfolgende Ziel sein, welchem durch platten Populismus oft geschadet wird. Somit gilt es immer wieder nachzudenken, bei dem was man von den Medien vorgesetzt bekommt, und ebenso nachzudenken, bei dem, was und wie man es von sich gibt.

Auch wenn ich mich in diesem Editorial ebenfalls den Methoden des Populismus bedient habe, hoffe ich, dass es nicht als Aufruf zur Verschärfung der Fronten zwischen Menschen mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen verstanden wird, sondern als Denkanstoß, der eine Versachlichung und ein wertschätzendes Miteinander derer zum Ziel hat, die alle das gleiche Ziel verfolgen: Eine Verbesserung der Versorgung von Betroffenen.

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Heiner Melching
Geschäftsführer der DGP