Transfusionsmedizin 2017; 7(02): 86
DOI: 10.1055/s-0043-102599
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief: Kommentar zu „Ist die nicht-AB0-identische EK-Transfusion unbedenklich?“

Christoph Frohn
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Publikationsdatum:
30. Mai 2017 (online)

In dem in der Transfusionsmedizin erschienenen Artikel [1] wird eine Originalarbeit aus Transfusion [2] zusammengefasst, welche zu dem Ergebnis kommt, die Gabe von 0-EK an A-Patienten, also die Gabe AB0-kompatiblen anstatt identischen Blutes, führe zu einer Steigerung der Patientensterblichkeit um das 1,87-Fache. Für die Subgruppe der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhe sich die Sterblichkeit sogar auf das 2,8-Fache. Es handelt sich bei der zitierten Arbeit um eine retrospektive Analyse. Die Ursachen der erhöhten Sterblichkeit werden nicht genannt, ein denkbarer biologischer Mechanismus ebenfalls nicht.

Auf die sehr erstaunliche Beobachtung, dass die 0-auf-B-Transfusion im Gegensatz zur 0-auf-A-Transfusion die Sterblichkeit bei bestimmten Patienten signifikant und deutlich senkt, wird nicht weiter eingegangen.

Die logische Konsequenz wäre, dass AB0-ungleiche Bluttransfusionen zu Millionen vermeidbarer Todesfälle geführt haben und dass wir unsere Praxis dringend den neuen Erkenntnissen anpassen müssen.

Allerdings überzeugt mich die Arbeit an mehreren Punkten nicht, was ich im Folgenden begründen möchte. Zunächst ist die Interpretation fremder und auch eigener Daten an entscheidenden Stellen nicht immer nachvollziehbar:

In der Einleitung wird dargelegt, frühere Arbeiten hätten bereits den Schaden durch AB0-ungleiche Transfusion gezeigt („Emerging data over the past decade has raised concerns that transfusion of ABO-compatible, non ABO-identical blood products can lead to adverse outcomes“). Das dazu zitierte Paper von Inaba et al. [3] (Nummer 4 aus dem Literaturverzeichnis von Transfusion), das einzige, welches sich mit der Tranfusion von Erythrozytenkonzentraten beschäftigt, hat aber die „Ungekreuzt-Transfusion“ im Allgemeinen zum Thema. Die AB0-Konstellationen werden dort nirgendwo direkt analysiert. Damit kann die zitierte Arbeit die These der Autoren nicht unterstützen.

Im Hinblick auf die Interpretation der eigenen Daten bleibt unklar, wie die Autoren zu der mehrfach in der Diskussion erwähnten Schlussfolgerung am Ende des Resultate-Teils kommen, es ergebe sich ein signifikant erhöhtes Sterblichkeitsrisiko für die Untergruppe der Patienten mit Kreislauferkrankungen („Figure 3 depicts … in patients with group A blood, there is a significant hazard associated with nonidentical blood in individuals with circulatory disease …“). Die erwähnte Fig. 3 zeigt für die genannte Patientengruppe einen OR-Balken, der deutlich in den Bereich < 1 hineinreicht und dazu korrespondierend einen p-Wert von 0,95. Demnach ist die Erhöhung nicht signifikant auf dem 95%-Niveau.

Neben diesen Ungereimtheiten bei der Dateninterpretation wiegt aber aus meiner Sicht fast noch schwerer der methodische Einwand, dass die relevanten Patientengruppen im Hinblick auf mögliche „Confounder“ nicht verglichen werden. Es handelt sich wie erwähnt um eine retrospektive Analyse – falsche Schlussfolgerungen aufgrund nicht zutreffender Kausalitätsannahmen sind dabei nie auszuschließen. Zumindest aber müssen die zu vermutenden „Confounder“ der verglichenen Gruppen gegenübergestellt werden, in diesem Fall also Patienten mit AB0-gleicher versus ungleicher Transfusionskonstellation. Was aber lediglich gezeigt wird (Tabelle 1), ist eine Gegenüberstellung der Patienten mit den verschiedenen Blutgruppen ohne Berücksichtigung der Transfusionskonstellation. Dies ist irrelevant für die Schlussfolgerungen.

Es ist also nicht möglich, Anzahl der Transfusionen, Alter der Patienten (und Blutkonserven), Diagnosen etc. der Patienten mit AB0-gleicher und AB0-ungleicher Transfusion zu vergleichen.

Damit ist zu vermuten, dass die beobachtete Sterblichkeitserhöhung kausal mit anderen Faktoren als AB0-ungleichen Transfusionen zusammenhängt. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die ungleiche Transfusion eher bei massivem Transfusionsbedarf und besonders im Notfall benötigt wurde, also bei Patienten mit schweren Erkrankungen und dramatischen Verläufen. Die Untersuchung von Untergruppen mit verschiedenen Diagnosen löst das Problem nicht, der allgemeine Hinweis auf die Anwendung einer Regressionsanalyse nach Cox bleibt ohne nachvollziehbare Daten nebulös. Die behauptete Kausalität (AB0-ungleiche Transfusion führt zu erhöhter Mortalität) ist somit nicht belegt.

Aufgrund von Unklarheiten der Dateninterpretation und aufgrund der dargelegten methodischen Probleme sind die Schlussfolgerungen der Arbeit nicht überzeugend. Wegen der erheblichen Relevanz wäre es von größtem Nutzen für Patienten und Ärzte, wenn die Daten noch einmal in adäquater Weise präsentiert würden.

 
  • Literatur

  • 1 Ruchalla E. Transfusionspraxis – Ist die nicht ABO-identische EK-Transfusion unbedenklich?. Transfusionsmedizin 2016; 6: 108
  • 2 Pai M, Cook R, Barty R. et al. Exposure to ABO-nonidentical blood associated with increased in-hospital mortality in patients with group A blood. Transfusion 2016; 56: 550-557
  • 3 Inaba K, Teixeira PG, Shulman I. et al. The impact of uncross-matched blood transfusion on the need for massive transfusion and mortality: analysis of 5,166 uncross-matched units. J Trauma 2008; 65: 1222-1226