Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52(03): 220-226
DOI: 10.1055/s-0043-102813
Kasuistik
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kasuistik: Late-onset Small-Fiber-Neuropathie nach kritischer Erkrankung

Susanne Koch
,
Rabih Moshourab
,
Tobias Wollersheim
,
Claudia Spies
,
Thomas Fritzsche
,
Steffen Weber-Carstens
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 March 2017 (online)

Zusammenfassung

Eine 43-jährige Patientin, mit Z. n. schwerer Sepsis und Entwicklung einer Critical-Illness-Myopathie/Polyneuropathie, stellt sich nach 5 Monaten mit einer akut aufgetretenen Allodynie/Hyperalgesie vor. Diese betrifft alle 4 Extremitäten distal, mit deutlicher Betonung im Versorgungsgebiet der Nn. ulnarii. Nach differenzialdiagnostischer Abklärung wird die Diagnose einer „Late-onset Small-Fiber-Neuropathie nach Critical Illness“ gestellt. Small-Fiber-Neuropathien, bei kritischer Erkrankung und auch im Follow-up, einhergehend mit neuropathischen Beschwerden, konnten in einigen neueren Studien gezeigt werden. Pathophysiologisch ist am ehesten eine Dysfunktion der spannungsabhängigen Natriumkanäle, im Rahmen einer erhöhten Insulinresistenz während der kritischen Erkrankung, zu vermuten. Therapeutisch sind somit Kühlung, Carbamazepin/Oxcarbazepin, trizyklische Antidepressiva und serielle Injektionen mit Lokalanästhetika am ehesten zu empfehlen.

Abstract

A 42-year-old patient presented with acute allodynia and hyperalgesia in her distal limbs, most severe in the innervation area of the ulnar nerve. The patient developed critical illness myopathy/polyneuropathy after septic shock 5 months prior to her presentation. After exclusion of differential diagnosis, “late onset small fiber neuropathy” after critical illness was diagnosed. Recent studies showed small fiber lesions during critical illness and in follow-up exams, where additionally neuropathic pain were proved. Dysfunction of voltage-gated Sodium channels related to severe insulin resistance during critical illness might explain the pathophysiology, as seen in critical illness myopathy/polyneuropathy. Therefore we recommend cooling, pharmacotherapy with carbamazepin/oxcarbazepine, tricyclic antidepressive agents and peripheral nerve blocks to treat patients with “late onset small fiber neuropathy” after critical illness.

Kernaussagen
  • Eine Small-Fiber-Neuropathie ist eine häufige Komplikation bei kritisch kranken Patienten, meist in Begleitung einer Critical-Illness-Myopathie/Polyneuropathie; sie kann in seltenen Fällen jedoch auch unabhängig davon auftreten.

  • Die Diagnosestellung erfolgt bei sedierten Patienten mittels Hautbiopsie zur Bestimmung der intraepidermalen Nervenfaserdichte. Bei wachen Patienten ist neben der klinisch neurologischen Untersuchung/Anamnese eine quantitative sensorische Testung (QST) und ebenfalls eine Hautbiopsie durchführbar.

  • Bei akut auftretenden neuropathischen Beschwerden, 3–12 Monate nach einer kritischen Erkrankung, sollte auch an die Möglichkeit einer „Late-onset Small-Fiber-Neuropathie nach kritischer Erkrankung“ gedacht werden.

  • Pathophysiologisch ist eine Dysfunktion der spannungsabhängigen Na-Kanäle zu vermuten, entsprechend der Pathophysiologie bei Critical-Illness-Myopathie/Polyneuropathie.

  • Aufgrund der vermuteten Pathophysiologie sind primär folgende Therapien aktuell am ehesten zu empfehlen:

    • Kühlung (Eisbeutel/Kühlpacks auflegen)

    • Carbamazepin/Oxcarbazepin

    • trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin/Clomipramin)

    • serielle Injektionen mit Lokalanästhetika (Lidocain/Procain) in die Nähe der am meisten betroffenen Nerven