Laryngorhinootologie 2017; 96(07): 440-441
DOI: 10.1055/s-0043-103502
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Leserbrief
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Leserbrief von Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. h. c. Ralf Siegert

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Publication Date:
02 August 2017 (online)

zur Arbeit

Die Vibrant Soundbridge: Ein alternatives Hörsystem bei Vorschulkindern mit Gehörgangsatresie von Leinung et al.

Mit großem Interesse habe ich die Arbeit von Leinung et al. zur Versorgung von Kindern mit Atresie gelesen. Aufgrund unserer jahrzehntelangen schwerpunktmäßigen Versorgung dieser Kinder stimme ich den Autoren hinsichtlich der Bedeutung einer frühzeitigen audiologischen Versorgung dieser jungen Schwerhörigen uneingeschränkt zu. Ebenso unterstütze ich ihre Bemühungen zur Optimierung der Versorgung dieser Kinder.

Aber gerade wenn es um die Rehabilitation dieser jungen Hörbehinderten geht müssen wir alles unternehmen, um ihr Hörvermögen zu optimieren, den Tragekomfort und damit die Akzeptanz der Hörsysteme zu erhöhen, verbunden mit geringstmöglichem Risiko für die Patienten sowie möglichst geringem operativen und letztlich auch wirtschaftlichem Aufwand. All diese Forderungen müssen wir mit dem „State-of-the-Art“ der gegenwärtigen Versorgungsoptionen vergleichen, sowohl für deren klinisch-wissenschaftliche Einordnung als auch in der heute gebotenen umfangreichen Patientenaufklärung.

Allerdings vermisse ich in dieser Hinsicht in der Arbeit einige Aspekte, die ich hier kurz andiskutieren möchte. Wie die Autoren selber schreiben, ist die Implantation der Soundbridge insbesondere bei kleinen Kindern „bei Ohrmißbildung eine Herausforderung … und sollte somit ausschließlich sehr erfahrenen Operateuren vorbehalten sein“. In der Tat ist es keine „kleine“ Operation: In erheblichem Umfang sind Maßnahmen an fehlgebildeten und teilweise noch nicht vollständig entwickelten Knochen erforderlich. Ich brauche nicht die Binsenweisheit unterstreichen, dass größere Operationen auch mit größeren Risiken für Wundheilungsstörungen einhergehen und damit das potenzielle Nutzen-Risikoverhältnis einer operativen Entscheidung beeinflussen, insbesondere bei den 13 der 16 Kindern mit unilateraler Atresie, deren Voraussetzungen für ihre Sprachentwicklung aufgrund der kontralateralen Normakusis uneingeschränkt sind. Bedauerlicherweise finden sich in der Arbeit keine Hinweise zu den klinischen Verläufen der von den Autoren versorgten Kinder und deren Komplikationen. Aufgrund alternativer Möglichkeiten sind wir in meiner Klinik bei der Implantation aktiver Hörsysteme bei Kindern bisher sehr zurückhaltend, bekommen aufgrund der Schwerpunkte unserer Arbeit jedoch viele Patienten mit Ohrfehlbildungen überregional zugewiesen.

Daher halte ich es für die Bewertung dieser Technik für wichtig, die Kasuistik eines 8-jährigen Kindes mit unilateraler Atresie zu erwähnen, bei dem alio loco eine Soundbridge implantiert worden war, anschließend erhebliche Wundheilungsstörungen auftraten, das Gerät wieder explantiert und zusätzlich mehrere Revisionseingriffe erfolgen mussten. Dieses Kind lag kürzlich bei uns zur Vakuumtherapie liegt und steht jetzt zu einer ausgedehnte Temporalisfaszienplastik an. Vernarbungen in der Ohrregion könnten den gewünschten Ohrmuschelaufbau erheblich erschweren.

Aber abgesehen von der aus meiner Sicht fehlenden Wertung des relativ hohen operativen Aufwandes der Implantation einer Soundbridge bei der kindlichen Atresie bedaure ich, dass sich die Autoren überhaupt nicht – weder in ihrer Einleitung noch in ihrer Diskussion - mit den modernen teilimplantierbaren transkutanen Knochenleitungssystemen auseinandersetzen. Wir haben diese Systeme vor über 10 Jahren in Deutschland entwickelt und klinisch eingeführt [1–3, 5]. Inzwischen werden 2 leicht unterschiedliche Ausführungen von bekannten Herstellern angeboten und sind weltweit bei über 4 000 (!) Patienten implantiert worden. In unserer, in dieser Zeitschrift publizierten Modifikation ist überhaupt keine Knochenbohrung mehr erforderlich [4], so dass diese Systeme zügig, sicher und – rein chirurgisch betrachtet – völlig unabhängig von der Knochendicke und damit vom Patientenalter implantiert werden können. Wir selber haben es bereits bei Patienten im zweiten Lebensjahr erfolgreich einsetzen können.

Abschließend noch eine Anmerkung zu den audiologischen Ergebnissen: Die Arbeit ist zwar nicht als Vergleichsstudie angelegt, ihre Ergebnisse sind aber in dem klinisch-wissenschaftlichen Umfeld dieser Technik zu diskutieren. Die Autoren beschreiben einen Hörgewinn von 15 bis 24 dB mit der Soundbridge. Ohne an dieser Stelle in eine methodenspezifische Diskussion der Überprüfung von Hörgeräten bei Kindern mit einseitiger Atresie einsteigen zu wollen ist dieser Hörgewinn für eine angemessene Rehabilitation – insbesondere bei der einseitigen Atresie – inakzeptabel!

In unseren eigenen Publikationen zu teilimplantierbaren transkutanen Knochenleitungsversorgung erzielten wir mit den früheren Geräten Hörgewinne von über 30 dB. Zernotti et al. erreichen mit dem Sophono-System im Mittel 34 dB [6]. Denoyelle et al. [7] haben diese Systeme speziell bei Kindern bis 9 Jahre eingesetzt und einen mittleren Hörgewinn von über 40 dB erreicht. Diese Daten sollten mit den von Leinung et al. vorgestellten Ergebnissen diskutiert werden. Ohne das Bemühen, neue Wege zu gehen, kann es keinen Fortschritt und für unsere jungen Patienten mit schwerer Ohrfehlbildung keine Optimierung ihrer Rehabilitation geben. Aber sowohl aus Gründen des klinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns als auch aus der Verantwortung für unsere Patienten müssen wir jede Neuerung unter den Gesichtspunkten der zu erwartenden Nutzen-Risiko-Konstellation kritisch auf dem Boden der bereits vorhandenen Optionen analysieren und, wenn wir feststellen, dass wir das Indikationsspektrum unter Berücksichtigung dieser vergleichenden Überlegungen einschränken müssen, dies auch akzeptieren und entsprechend kommunizieren.

 
  • Literatur

  • 1 Siegert R. Die magnetische Ankopplung von Knochenleitungshörgeräten ohne offene Implantate. Laryngo-Rhino-Otologie 2010; 89: 346 -351
  • 2 Siegert R. Partially implantable bone conducting hearing aids without a percutaneous abutment (Otomag) Technique and preliminary clinical results. Advances in Oto-Rhino-Laryngology 2011; 71: 41 -46
  • 3 Siegert R, Kanderske J. A New Semi-Implantable Transcutaneous Bone Conduction Device: Clinical, Surgical, and Audiologic Outcomes in Patients With Congenital Ear Canal Atresia. Otology & Neurotology 2013; 34: 927-934
  • 4 Siegert R. Vereinfachte Implantation von Magneten für die Fixation von Knochenleitungshörgeräten. Laryngo-Rhino-Otologie 2013; 92: 378 -380
  • 5 Siegert R, Kanderske J. Teilimplantierbare transkutane Knochenleitungshörgeräte. HNO 2014; 62: 502-508
  • 6 Zernotti ME, Di Gregorio MF, Galeazzi P, Tabernero P. Comparative outcomes of active and passiv hearing devices by transcutaneous bon conduction. Acta Oto-Laryngologica 2016; 136: 556-558
  • 7 Denoyelle F, Leboulanger N, Coudert C, Mazzaschi O, Loundon N, Vicaut E, Tessier N, Garabedian EN. New Closed Skin Bone-Anchored Implant: Preliminary Results in 6 Children With Ear Atresia. Otology & Neurotology 2013; 34: 275-281