Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(09): 633-634
DOI: 10.1055/s-0043-105325
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Genetische Erkrankungen und ihre Diagnostik

Diagnostic Procedures in Hereditary Diseases
Joachim Mössner
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Publication Date:
28 April 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

nur eine exakte Charakterisierung einer Erkrankung bezüglich Ätiologie, Pathogenese, Morphologie, Funktion ermöglicht eine stadiengerechte Therapie. Die genetische Diagnostik, auch aufgrund der Möglichkeit des Next Generation Sequencing, ist integraler Bestandteil der personalisierten Medizin. Die Rolle genetischer und epigenetischer Veränderungen in der Pathogenese verschiedenster Erkrankungen zu verstehen ist allerdings sehr komplex geworden. Ein Gendefekt, der autosomal dominant oder rezessiv vererbt wird und eine 100 %ige Genotyp-Phänotyp-Korrelation aufweist, ist bezüglich genetischer Diagnostik und Beratung weniger herausfordernd. Schwierig wird es beim Nachweis krankheitsassoziierter genetischer Polymorphismen, die bei einer bestimmten Erkrankung nur in geringem Prozentsatz gehäuft vorkommen, aber auch bei Gesunden gefunden werden. Hier ist es einerseits schwierig, die molekulare Pathogenese der Erkrankung zu verstehen, andererseits ist eine prädiktive Diagnostik bei Gesunden eher abzulehnen.

Bei einer Vielzahl von Erkrankungen spielt ein noch unzureichend verstandenes Zusammenspiel zwischen genetischer Konstellation und Umweltfaktoren eine Rolle. Ich möchte zwei Beispiele nennen:

  • Ein bestimmter Polymorphismus des PNPLA3-Gens, der eine Lipase kodiert (Patatin-like phospholipase domain-containing protein 3), ist mit dem Risiko einer nichtalkoholischen Fettleber-Erkrankung (NAFLD) assoziiert [1].

  • Eine verminderte Sekretion des pankreatischen Enzyms Chymotrpysin C, das Trypsin degradiert, erhöht das Risiko, eine chronische Pankreatitis zu bekommen [2].

  • Das Krankheitsbild der chronischen Pankreatitis ist mit unterschiedlichsten genetischen Veränderungen assoziiert. Bei der hereditären chronischen Pankreatitis, einer autosomal dominant vererbten Erkrankung, werden Mutationen im kationischen Trypsinogen gefunden. Es entwickelt sich bei Vorliegen dieser Mutationen aber nur in 80 % eine chronische Pankreatitis. Mutationen des CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator, ein transmembranöser Chloridkanal), die zum Funktionsverlust dieses Ionenkanals führen, bedingen das Krankheitsbild der Mukoviszidose (Cystic Fibrosis). Mutationen des CFTR, die noch eine Restfunktion des Proteins ermöglichen sind mit einem gering erhöhten Risiko, eine chronische Pankreatitis zu bekommen, assoziiert. Bei der sogenannten tropischen Pankreatitis, einer Erkrankung, die zum Beispiel in Süd-Indien bereits bei Kindern zur chronischen Pankreatitis später mit ausgedehnten Verkalkungen und Diabetes mellitus führt, werden in bis zu 50 % Mutationen des SPINK gefunden (Serine Protease Inhibitor, Kazal Type-1). Bei idiopathischer und auch bei alkoholischer Pankreatitis können weitere Mutationen und Polymorphismen in unterschiedlichen Genen, in niedrigem Prozentsatz aber höher als bei Gesunden, gefunden werden. Zu diesen Mutationen zählt das bereits genannte Chymotrypsin C, ferner Carboxypeptidase A1 und CEL (Carboxyl Ester Lipase). Bis auf CEL sprechen diese Mutationen dafür, dass, wie bereits vor mehr als hundert Jahren von Hans Chiari vermutet, die Selbstverdauung des Organs durch aktives Trypsin eine wichtige Rolle in der Pathogenese spielt. Die pathogenetische Rolle der Lipase CEL ist noch unklar.

Genetische Analysen gehören bei zahlreichen onkologischen Erkrankungen bereits zur Routine. Am Beispiel des häufigen kolorektalen Karzinoms lässt sich aber auch zeigen, dass es „das“ kolorektale Karzinom nicht gibt. Das Kolonkarzinom wird aktuell molekulargenetisch in 4 Subtypen unterteilt [3]. Diese Charakterisierung bestimmt bereits das medikamentöse Vorgehen in der Palliativtherapie.

Epigenetische Veränderungen entscheiden, ob ein Tumorsuppressor-Gen oder ein Onkogen abgelesen wird. Ererbte oder erworbene Mutationen von Onkogenen und Tumorsuppressor-Genen spielen in der Onkogenese eine Rolle, aber auch Fehlregulationen der Expression von mikroRNAs. MikroRNAs sind konservierte, nichtkodierende RNAs, die das Netzwerk der Genregulation beeinflussen, insbesondere schalten sie Gene aus (Gene-Silencing). Andrew Zachary Fire und Craig C. Mello erhielten für diese Entdeckung des Verfahrens, mit dem sich Gene gezielt stummschalten lassen (RNA-Interferenz), 2006 den Nobelpreis für Medizin [4].

Diese Beispiele zeigen, dass es keinesfalls möglich ist, mit einer schon jetzt im Ausland kommerziell erhältlichen Analyse des eigenen Genoms vorherzusagen, welche Erkrankung man wann bekommt und wie ihr klinischer Verlauf sein wird. Eine gesetzliche Regulierung der genetischen Diagnostik ist daher sinnvoll. Das deutsche Gendiagnostikgesetz regelt genetische Untersuchungen bei Menschen und die Verwendung der Daten. Das Gesetz trat am 1. Februar 2010 in Kraft.

Im Dossier dieses Hefts führt uns Witt, München, in die Problematik der genetischen Diagnostik ein. Der Beitrag von Czepluch et al., Göttingen, zur genetischen Diagnostik bei Kardiomyopathien veranschaulicht exemplarisch deren Komplexizität – eine Lehrstunde zum Verständnis der genetischen Basis von Kardiomyopathien. Die Einteilung der Kardiomyopathien nach dem MOGE-System sollte man kennen. Das Beispiel der Kardiomyopathien zeigt, dass ein bestimmter Genotyp auch deutlich gehäuft vorkommen, aber zu verschiedenen Phänotypen führen und bei noch Gesunden gefunden werden kann. Hier ist bei „genotype positive, phenotype negative“ eine prädiktive Gendiagnostik angezeigt, wenn das Risiko zu erkranken hoch ist. Unger et al., Essen, beschreiben am Beispiel der seltenen endokrinen Tumorsyndrome die Wichtigkeit der molekularen Diagnostik, insbesondere auch bezüglich der Notwendigkeit der Überwachung sowie der therapeutischen Konsequenzen. Als Beispiel sei die prophylaktische Thyreoidektomie bei MEN2A-Erkrankung vor Entwicklung eines C-Zellkarzinoms genannt.

Ich wünsche diesem Thema einen großen Leserkreis.

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Prof. Dr. med. Joachim Mössner