Z Geburtshilfe Neonatol 2017; 221(03): 130-131
DOI: 10.1055/s-0043-106947
Kommentar
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Gastkommentar zur AWMF-S2k Leitlinie 024/020 „Prophylaxe der Neugeborenensepsis – frühe Form – durch Streptokokken der Gruppe B“

Reinhard Berner
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Publikationsdatum:
30. Juni 2017 (online)

Die Leitlinie zur Prophylaxe der frühen Form der Neugeborenensepsis durch Streptokokken der Gruppe B (GBS) in Deutschland aus dem Jahr 2008 ist aktualisiert worden [1]. Inhaltlich ist dabei die Vorgängerversion in ihren Grundzügen übernommen worden. Dennoch hat es eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, eine nun gültige Leitlinie zu dieser Frage vorliegen zu haben, auf die im klinischen Alltag, aber auch ggfs. in juristischen Auseinandersetzungen oder in Diskussionen mit Kostenträgern Bezug genommen werden kann. Insofern ist den Autoren und den beteiligten Fachgesellschaften für die Aktualisierung sehr zu danken. Das Thema ist wichtig!

In Deutschland – und weltweit – bleibt GBS der führende Erreger der Neugeborenensepsis [2]. Dabei ist daran zu erinnern, dass GBS als humanpathogener Erreger überhaupt erst in den 70er Jahren beschrieben wurde und somit als „emerging infectious disease“ gelten kann. Eine aktuelle Studie aus den USA bestätigt, dass GBS den nach wie vor häufigsten Erreger der Neugeborenensepsis darstellt; in den Jahren 2005 bis 2014 wurden insgesamt – über alle Gestationsalter hinweg – 1484 Sepsisfälle registriert, davon waren 36% (n=532) auf GBS und 25% (n=368) auf den zweithäufigsten Erreger E. coli zurückzuführen. Etwas mehr als die Hälfte aller Sepsisfälle (n=858) entfiel auf die Gruppe der reifen Neugeborenen; hier war der Unterschied von GBS mit 44% (n=380) zu E. coli mit 14% (n=120) noch deutlicher. Über 90% aller GBS-Sepsisfälle traten in den ersten 48 Lebensstunden, etwa 80% in den ersten 24 Lebensstunden auf. Die Letalität der GBS-Sepsis betrug 7%, eine Meningitis trat in 4,9% der Fälle auf [3]. In der deutschen ESPED-Studie lag die Sterblichkeit bei 4,3%, die Meningitisrate (Frühsepsis) bei 16% [4].

Seit vielen Jahren ist bekannt und überwiegend in US-amerikanischen Studien gut dokumentiert, dass ein rektovaginaler Screeningabstrich bei der Schwangeren zum Nachweis einer Kolonisierung mit GBS und der nachfolgenden Implikation einer intrapartualen Antibiotikaprophylaxe (IAP) bei positivem Befund die Inzidenz der „early onset“ GBS-Sepsis des Neugeborenen um wenigstens zwei Drittel zu reduzieren vermag [5]. Es gibt deutliche Hinweise, dass das sog. „screeningbasierte“ Verfahren einem alleine „risikobasierten“ Verfahren, das eine Antibiotikaprophylaxe nur bei Vorliegen maternaler Risikofaktoren vorsieht, überlegen ist. Auch die aktualisierte AWMF-Leitlinie stellt auf ein „universelles Screening“ aller Schwangeren zwischen der 35+0 und 37+0 Schwangerschaftswoche ab und orientiert sich damit an dem in den US-amerikanischen Leitlinien seit vielen Jahren empfohlenen Vorgehen. Fehlt der Abstrichbefund, wird die IAP bei Vorliegen von Risikofaktoren empfohlen. Zusätzlich wird die Prophylaxe empfohlen bei Müttern mit bekannter GBS-Bakteriurie oder einem Geschwisterkind mit GBS-Sepsis, da hier a priori von einem signifikant erhöhten Sepsisrisiko ausgegangen werden muss; in diesem Fall kann auf das Screening verzichtet werden.

Ein wesentliches Dilemma allerdings bleibt auch mit dieser Empfehlung bestehen; in Deutschland ist das GBS-Screening in der Schwangerschaft weiterhin keine Kassenleistung. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen den Test lediglich bei Verdacht auf eine mütterliche Infektion. Dies stellt eine fatale Fehleinschätzung dar, denn bei Verdacht auf Infektion der Mutter besteht ohnehin die Indikation zur mikrobiologischen Erregerdiagnostik, die sich dann allerdings nicht nur auf GBS beschränken sollte. Im Kontext der Prävention der neonatalen GBS-Sepsis geht es hingegen um die Frage der Übertragung des Erregers von der gesunden Mutter auf das Neugeborene. Dem an einer GBS-Sepsis erkrankten Neugeborenen hilft es wenig, dass die Mutter als Trägerin vorher selbst gesund gewesen ist. Insofern ist zu fürchten, dass auch die aktualisierte Empfehlung eine Wunschvorstellung bleibt, die so lange nicht flächendeckend umgesetzt werden wird, so lange nicht die gesetzlichen Krankenkassen den Screening-Test endlich in die Regelleistungen übernehmen, wie es etliche Ersatzkassen bereits getan haben.

Die weltweite Verhinderung der GBS-Sepsis ist ein prioritäres Ziel auch der WHO. Ob die IAP, wie sie in der aktuellen Leitlinie empfohlen wird, langfristig global erfolgreich sein kann, ist zweifelhaft. Die Limitationen liegen auf der Hand; naturgemäß kann die IAP nicht wirksam werden für vor der 35. Schwangerschaftswoche geborene Kinder; das Problem der „late-onset“-Sepsis wird durch die IAP ohnehin nicht berührt. Insofern wird von der WHO nachdrücklich die Entwicklung und klinische Prüfung von Impfstoffen unterstützt [6]. Konzepte für eine Prävention durch Impfung sind seit vielen Jahren in der Diskussion. Bereits Anfang der 80er Jahre wurden erste Versuche unternommen, eine auf Polysaccharid-Antigenen basierende Impfung zu entwickeln, die jedoch nicht ausreichend immunogen war. Ende der 90er Jahre wurden erste Konjugatvakzinen in Phase 1-Studien getestet [7]. Seither allerdings herrschte in der GBS-Impfstoffentwicklung im Wesentlichen Stillstand. Erst im vergangenen Jahr wurden nun Ergebnisse einer Studie aus Malawi und Südafrika publiziert, in der eine trivalente Konjugatvakine bestehend aus den Kapselpolysaccharid-Antigenen der drei häufigsten GBS-Serotypen Ia, Ib, III konjugiert an das Trägerprotein CRM197 bei HIV-positiven und HIV-negativen Schwangeren geprüft wurde [8]. Es konnte nachgewiesen werden, dass der Impfstoff spezifische Antikörper induzierte und diese diaplazentar auf das Neugeborene übertragen wurden. Die Impfung wurde ohne relevante Nebenwirkungen vertragen. Da der Schutz des Neugeborenen nachgewiesenermaßen abhängt von ausreichend hohen spezifischen Antikörperspiegeln der Mutter [9], ist mit dieser Studie die Vision einer maternalen GBS-Vakzine zum Schutz des Neugeborenen einen deutlichen Schritt näher gerückt [10]. Die WHO und andere globale Initiativen sind jetzt gefragt, der weiteren Entwicklung den notwendigen Nachdruck zu verleihen [6]. Die Intensität deren Bemühungen wird wesentlich die Frage bestimmen, ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, die Morbidität und Mortalität der neonatalen GBS-Sepsis nachhaltig und global zu reduzieren. Eine wirksame Impfung scheint nun dafür zur Verfügung zu stehen. Bis dahin wird es allerdings die Aufgabe von Fachgesellschaften und engagierten Geburtshelfern, Perinatalmedizinern und Neonatologen bleiben, trotz der ignoranten Haltung der Kostenträger der nun aktualisierten Leitlinie zur Umsetzung zu verhelfen und die Neugeborenen vor dieser oftmals desaströs verlaufenden Infektionskrankheit zu schützen [4] [11].

Die Leitlinie bezieht ebenfalls Stellung zum Vorgehen beim Neugeborenen, insbesondere der Frage nach dem diagnostischen Umfang und der Dauer der Nachbeobachtung. Da die frühe Form der Neugeborenensepsis sich ganz überwiegend in den ersten 48 Lebensstunden manifestiert, scheint es angemessen, diesen Zeitraum auch als Frist für eine engmaschige klinische Überwachung vorzusehen. Was unter engmaschiger Überwachung zu verstehen ist, wird dankenswerter Weise in der aktualisierten Version nun präzisiert. Die Empfehlung wird darüber hinaus ergänzt um einen sehr wichtigen Abschnitt zur Information der Eltern. Es ist von großer Bedeutung, Eltern mit positivem mütterlichen Screeningbefund darauf hinzuweisen, dass auch nach Ablauf der ersten 48 Stunden eine invasive GBS-Infektion auftreten kann und zwar einerseits als „späte“, d. h. nach wenig mehr als 48 Stunden auftretende „Frühinfektion“, andererseits aber auch als echte „Spätinfektion“ bis zum Ende der ersten drei Lebensmonate. Nicht in die Leitlinie aufgenommen wurde die – vielleicht nicht ganz unwichtige – Information, dass eine solche Spätinfektion gleichermaßen bei denjenigen Neugeborenen auftreten kann, bei denen der mütterliche Screeningbefund negativ ausgefallen ist, wie auch bei denjenigen, die postnatal eine (ggfs. auch mehrtägige) antibiotische Therapie aufgrund eines Infektionsverdachts oder einer nachgewiesenen Infektion erhalten hatten. Weder ein negativer Screeningbefund noch die IAP noch eine postnatale Antibiotikatherapie des Neugeborenen schützen vor der Entstehung einer Late-Onset-Sepsis. Aus diesem Grund bleibt ein Impfstoff zur Prävention der neonatalen GBS-Sepsis ein umso wichtigeres Ziel.

 
  • Literatur

  • 1 Franz A, Härtel C, Herting E. et al. Prophylaxe der Neugeborenensepsis – frühe Form – durch Streptokokken der Gruppe B. Leitlinie des BVF, BVDfK, der DGGG, DGHM, DGPI, DGPM und GNPI. (S2k-Level, AWMF-Registernummer 024/020, März 2016). Z Geburtsh Neonatol 2017; 221: 122-129
  • 2 Edmond KM, Kortsalioudaki C, Scott S. et al. Group B streptococcal disease in infants aged younger than 3 months: systematic review and meta-analysis. Lancet 2012; 379: 547-556
  • 3 Schrag SJ, Farley MM, Petit S et al. Epidemiology of invasive early-onset neonatal sepsis, 2005 to 2014. Pediatrics 2016; 138: pii: e20162013
  • 4 Fluegge K. Supper S, Siedler A, Berner R. Serotype distribution of invasive Group B Streptococcal isolates in neonates: results from a nationwide active laboratory surveillance study over 2 years in Germany. Clin Infect Dis 2005; 40: 760-763
  • 5 Schrag SJ, Zywicki S, Farley MM. et al. Group B streptococcal disease in the era of intrapartum antibiotic prophylaxis. N Engl J Med 2000; 342: 15-20
  • 6 Kobayashi M, Schrag SJ, Alderson MR et al. WHO consultation on group B Streptococcus vaccine development: report from a meeting held on 27-28 April 2016. Vaccine 2016 pii: S0264-410X(16)31236-1
  • 7 Schuchat A. Group B streptococcal disease: from trials and tribulations to triumph and trepidation. Clin Infect Dis 2001; 33: 751-756
  • 8 Heyderman RS, Madhi SA, French N. et al. Group B streptococcus vaccination in pregnant women with or without HIV in Africa: a non-randomised phase 2, open-label, multicentre trial. Lancet Infect Dis 2016; 16: 546-555
  • 9 Fabbrini M, Rigat F, Rinaudo CD. et al. The protective value of maternal group B streptococcus antibodies: quantitative and functional analysis of naturally acquired responses to capsular polysaccharides and pilus proteins in European maternal sera. Clin Infect Dis 2016; 63: 746-753
  • 10 Berner R. En route towards prevention of neonatal group B streptococcal disease. Lancet Infect Dis 2016; 16: 509-510
  • 11 Libster R, Edwards KM, Levent F. et al. Long-term outcomes of group B streptococcal meningitis. Pediatrics 2012; 130: e8-e15