Gesundheitswesen 2019; 81(04): 351-360
DOI: 10.1055/s-0043-109860
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Morbiditätskompression bei Schlaganfall? Langzeitanalysen zur Veränderung des Auftretens von Schlaganfall

Morbidity Compression in Stroke: Longitudinal Analyses on Changes in the Incidence of Stroke
Lena Bachus
1   Medizinische Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Sveja Eberhard
2   Stabsbereich Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung, AOK Niedersachsen, Hannover
,
Karin Weißenborn
3   Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Denise Muschik
1   Medizinische Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Jelena Epping
1   Medizinische Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
Siegfried Geyer
1   Medizinische Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Juni 2017 (online)

Preview

Zusammenfassung

Ziel der Studie Nach Fries liegt Morbiditätskompression dann vor, wenn das Alter des Eintretens von Krankheit und chronischer Behinderung und Tod über die Zeit ansteigt oder wenn Erkrankungsraten über die Zeit stärker oder im gleichen Maße sinken wie die standardisierten Sterberaten. In beiden Fällen wird gesunde Lebenszeit gewonnen. Die Befunde der bisher durchgeführten Studien sind uneinheitlich, und es gibt nur wenige zu spezifischen Erkrankungen. Am Beispiel des Schlaganfalls wird untersucht, ob über den untersuchten Neunjahreszeitraum Morbiditätskompression stattgefunden hat. Dies bezieht sich auf Veränderungen der Raten von Schlaganfall und Tod. Zusätzlich wird untersucht, ob sich das Alter bei Manifestation von Schlaganfall und das Sterbealter wie von Fries angenommen bei Frauen und Männern nach oben verschieben.

Methodik Die Analysen basieren auf den pseudonymisierten Daten einer gesetzlichen Krankenversicherung der Jahre 2006–2014. Die Analysen wurden für alle Schlaganfälle sowie differenziert nach Hirninfarkten und Blutungen (ICD 10: I60-I62) durchgeführt. Für jedes Jahr standen die Daten von ca. 2 Mio. Versicherten zur Verfügung. Die Berechnungen wurden mit Survivalanalysen sowie mit multivariater Regression durchgeführt.

Ergebnisse Die Raten reduzierten sich bei beiden Geschlechtern, jedoch nur für blutungsbedingte Schlaganfälle. Die Veränderungen des Eintrittsalters waren schwer interpretierbar. Das Sterbealter sowie die standardisierten Sterberaten veränderten sich nur bei Männern.

Schlussfolgerung Belege für die Kompressionsthese wurden nur für Änderungen in den Raten blutungsbedingter Schlaganfälle gefunden. Diese Befunde beziehen sich auf eine einzige Erkrankung, die relativ spät im Lebensverlauf eintritt. Eine abschließende Beurteilung über das Vorliegen von Morbiditätskompression ist erst nach der Untersuchung einer breiten Spanne von Erkrankungen möglich.

Abstract

Summary According to Fries, morbidity compression occurs if age at onset of disease/disability and age at death increase. Morbidity compression is also present if disease/disability rates decrease to the same or to a larger extent than standardized death rates. In all cases, healthy lifetime is gained. Not many studies on morbidity compression are available, and only a small number of them refer to specific diseases. Stroke is used as an example for examining whether morbidity compression has occurred over an observation period of 9 years.

Methods The study was based on pseudonymized data of a statutory health insurance covering 2006–2014 with 2 million insured per year. Analyses were performed for all types of stroke, separately for cerebral infarction, and for hemorrhages (ICD 10: I60-I62). Calculations were performed by means of survival analyses and with multiple regression.

Results In women and in men, rates decreased only for hemorrhagic strokes, while changes of onset age were difficult to interpret. Standardized death rates dropped only in males.

Conclusions Evidence in favor of morbidity compression was found only for decreasing rates of hemorrhagic strokes. It has, however, to be kept in mind that the findings refer to a single disease occurring relatively late in the life course. Comprehensive assessments of morbidity compression are only possible taking into consideration a broader spectrum of diseases.