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DOI: 10.1055/s-0043-112189
Gewalt in der Notfallmedizin – gegenwärtiger Stand in Deutschland
Violence in the Emergency Medicine (Emergency Rescue Service and Emergency Departments) – Current Situation in GermanyPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
15. Februar 2019 (online)

Zusammenfassung
Hintergrund In den letzten Jahren werden Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Notaufnahmen immer häufiger Opfer von gewalttätigen Übergriffen während ihres Dienstes. Jedoch wird die Erfassung von Häufigkeiten, Arten, Ursachen, Täterprofilen sowie möglichen Lösungsansätzen und Schutzmaßnahmen in Deutschland bisher – im Vergleich zum angloamerikanischen Sprachraum – eher stiefmütterlich behandelt.
Ziel Das Ziel dieser Arbeit war eine weitgehende Erfassung der bisher vorliegenden aktuellen Daten der letzten Jahre, um einen zusammenfassenden Überblick über die Situation in Deutschland geben zu können.
Ergebnisse Es liegen nur sehr wenige Arbeiten aus Deutschland zu diesem Thema vor. Die gefundenen Arbeiten zeigten, dass Gewalt im Rettungsdienst und in der Notaufnahme nicht nur ein Problem im angloamerikanischen Sprachraum ist. Bis zu 90% der Studienteilnehmer einer Befragung von Rettungsdienstmitarbeitern und 75% der teilnehmenden Mitarbeiter aus Notaufnahmen gaben an, in den letzten Monaten vor der Befragung Opfer von verbaler und/oder physischer Gewalt geworden zu sein. Die Mehrheit der Studienteilnehmer (je nach Studie zwischen 60 und 80%) fühlt sich gar nicht bis unzureichend auf aggressives und gewalttätiges Verhalten vorbereitet und wünscht sich professionelle regelmäßige Weiterbildung in Deeskalationstechniken und Selbstverteidigung. Auch die ständige Anwesenheit von Sicherheitsdiensten wurde zur Verminderung gewaltsamer Übergriffe auf Mitarbeiter durch Studienteilnehmer als sinnvoll erachtet. Um konkretere Aussagen treffen zu können, bedarf es weiterer prospektiver Multicenterstudien.
In den letzten Jahren werden Mitarbeiter von Rettungsdiensten und Notaufnahmen immer häufiger Opfer von gewalttätigen Übergriffen während ihres Dienstes. Dieser Beitrag beleuchtet auf dem gegenwärtigen – noch sehr unzureichenden – Stand der Literatur Häufigkeit, Art und Ursachen dieser gewalttätigen Übergriffe in Deutschland. Darüber hinaus werden mögliche präventive Maßnahmen aufgezeigt und diskutiert.
Abstract
Background During the last years healthcare personnel is more often faced with different degrees of violence and aggression while doing their jobs. However, systematic data with respect to offender profiles, reasons, frequency and types of violence in emergency medicine in Germany has not been systematically analyzed.
Aim The aim of this article is to overview the data of present German studies.
Results Only a few German studies could be included. Data suggest that violence in emergency medicine is an underreported but ubiquitous, persistent problem. 90% of the participants in the surveyed rescue staff and 75% of the participants in the surveyed emergency departments had experienced occasional verbal or physical violence within the last months before survey started. Most participants felt poorly prepared to react on aggressive situations. There is a need for appropriate training in de-escalation skills and self defence. Moreover a constant presence of security services was demanded to reduce violence in emergency departments.
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Gewalt gegenüber Mitarbeitern des Rettungsdienstes und von Notaufnahmen ist in Deutschland noch sehr unzureichend untersucht.
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Die Datenlage zeigt, dass die Übergriffe häufig nachts durch alkoholisierte oder intoxikierte Männer verübt werden – meistens sind es die Patienten selbst. Ein nicht unerheblicher Teil der gewaltsamen Übergriffe wird von Patienten mit vermutetem Migrationshintergrund ausgeführt.
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In Notaufnahmen fördern zusätzlich noch überfüllte Warteräume, lange Wartezeiten und stark beanspruchtes Pflegepersonal gewalttätige Übergriffe.
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Die Mehrheit der Studienteilnehmer fühlte sich nicht oder nur unzureichend auf diese Situationen vorbereitet. So wünschten sich etwa 70% Schulungen und Weiterbildungen in Deeskalation, Eigensicherung und Selbstverteidigung.
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Dagegen wurden – trotz steigender Anzahl von Übergriffen durch Patienten mit vermutetem Migrationshintergrund – Weiterbildungen über kulturelle Unterschiede im Krankheitsverständnis und Fremdsprachenkurse nur von etwa 40% der Studienteilnehmer gewünscht.
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Dass es sich um ein ernst zu nehmendes Problem handelt, zeigt auch die Verschärfung des Strafmaßes bei Übergriffen gegenüber Mitarbeitern im Rettungsdienst.
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Es sind weitere große Studien nötig, um das Problem näher zu untersuchen und die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen wie auch der Strafmaßerhöhung zu überprüfen.
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