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DOI: 10.1055/s-0043-119004
Sportphysio Research
Publication History
Publication Date:
02 November 2017 (online)

Hamstring-Muskeln


FRAGE NACH DER BESTEN ÜBUNG Hamstring-Verletzungen bereiten sowohl Athleten als auch Sportphysiotherapeuten und -medizinern stets großes Kopfzerbrechen. Außerdem haben Verletzungen der hinteren Oberschenkelmuskulatur eine Rezidivrate von 30 % innerhalb der nächsten zwölf Monate nach der Erstverletzung. In den letzten Jahren bewies die Nordic-Hamstring-Übung, dass sie eine präventive Wirkung auf Hamstring-Verletzungen hat. Deren Umsetzung im Sport und in der klinischen Praxis ist mittlerweile weit verbreitet.
Aber ist diese Übung die beste? Neuere Forschungen mit EMG und Functional MRI ermöglichen uns, verschiedene Übungssituationen besser nachzuvollziehen.
Wenn man die drei Hauptmuskelanteile M. semitendinosus (ST), M. semimembranosus (SM) und M. biceps femoris (BF) betrachtet, dann betreffen die meisten Hamstring-Verletzungen (80 %) den BF, v. a. weil dieser Muskel in der Schwungphase (z. B. beim Rennen oder Sprinten) die exzentrische Bremsaktivität vor dem Fersenkontakt gewährleistet. In dieser Situation befindet sich der BF in seiner maximalen Länge und erreicht seine höchste Kraftentwicklung: Meistens passieren zu diesem Zeitpunkt die Hamstring-Verletzungen. Forschungen präsentierten, wie die verletzte Hamstring-Muskulatur trotz Heilung und Training über Monate hinweg eine mangelhafte Aktivierung und Schwäche aufweisen kann. Die Wiederherstellung der neuronalen Aktivierung und des Kraftpotenzials im betroffenen Muskel (BF) ist von großer Bedeutung. In der Rehabilitation verwendet man eine Vielzahl von Hamstring-Übungen, aber beanspruchen verschiedene Übungen auch die Hamstring-Muskeln anders?


Ein Team von australischen Forschern um Matthew N. Bourne untersuchte 24 Sportler und ihre Hamstring-Muskelaktivität während zehn Übungen mit dem Oberflächen-EMG (Amplitude der Kontraktionen, Verhältnis lateraler vs. medialer Hamstring). Bei zehn Probanden bewerteten die Forscher ebenfalls zwei Übungssituationen mithilfe des funktionellen MRI, quasi um das räumliche Verhalten der Muskeln während der Kontraktion zu objektivieren ([ s. Tab. 1 ]).
Die Muskulatur wurde sowohl während der konzentrischen als auch während der exzentrischen Phasen der Kontraktionen analysiert. Dabei legte man besonderen Wert auf das exzentrische Aktivierungsmuster, da hier die meisten Hamstring-Verletzungen auftreten.
Der Schwerpunkt der Studie war es zu analysieren, welche Übungen selektiv den BF im Vergleich zu den medialen Muskeln (SM, ST) am besten ansprechen konnten und umgekehrt. Im Allgemeinen zeigten die Ergebnisse, dass die Knieflexionsübungen eher die SM/ST und die Hüftextensionsübungen eher den BF rekrutierten. Die EMG- und die funktionellen MRI-Daten zeigten, dass während der exzentrischen Kontraktion die 45°-Hüftextensionsübung selektiv den BF am meisten aktiviert. Die Nordic-Hamstring-Übung konnte am wenigsten den BF selektiv rekrutieren, zeigte jedoch eine deutlich höhere BF-Aktivierung als alle anderen Übungssituationen. Anders ausgedrückt, konnte die 45°-Hüftextensionsübung am besten gezielt den BF beanspruchen, wobei die Nordic-Hamstring-Übung den BF am besten aktiviert.
Forschungen wiesen nach, dass die Nordic-Hamstring-Übung eine effiziente Präventionsübung ist. Die Resultate dieser Studie zeigen, dass, obwohl diese Übung den SM und ST mehr als den BF rekrutiert, die Beanspruchung des BF ausreichend für seinen „Schutz“ im präventiven Sinn sein soll.


Die Frage lautet dennoch: Können wir es besser machen? Ist es z. B. am besten, selektiv auf den BF (falls verletzt) am Anfang der Rehabilitation mit Lunges (Ausfallschritte, größte konzentrische Aktivierung) zu fokussieren, dann weiter mit der 45°-Hüftextensionsübung und zuletzt mit der Nordic-Hamstring-Übung zu trainieren?
Bisher ist bewiesen, dass Asymmetrien von Aktivierung und Kraft zwischen linkem und rechtem Oberschenkel ein Risikofaktor sind – aber was passiert zwischen medialer und lateraler Muskulatur in der gleichen Extremität? Weitere Forschungen sind hier erforderlich.
Die Studie von Matthew N. Bourne und Kollegen bringt uns auf die nächste Stufe in der Behandlung von Hamstring-Verletzungen. Es ist zwar eine „kleine“ Studie, aber die Ergebnisse sind faszinierend und werden zweifellos die Forschung und die sportphysiotherapeutische Praxis der nächsten Jahre prägen. mb
BJSM Published Online First: 13. Mai 2016; doi: 10.1136/bjsports-2015–095739
DESIGN Querschnittsstudie
TEILNEHMER 24 aktive Männer (Durchschnittsalter: 24,4 Jahre) ohne Verletzungsgeschichte der unteren Extremitäten (insbesondere Hamstring und vorderes Kreuzband)
METHODE Teil 1: EMG-Messungen der Hamstring-Muskeln bei zehn Übungen
Teil 2: Functional MRI von zwei Übungssituationen (45 ° Hüftextension und Nordic
Hamstring)
Die Probanden folgten einem definierten Übungsprotokoll für beide Teile.
OUTCOMES Detaillierte Analyse von EMG- und MRI-Daten
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