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DOI: 10.1055/s-0043-120589
Haftung für fehlerhafte Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen
Publication History
Publication Date:
26 October 2017 (online)

Einführung
Aus dem Behandlungsvertrag schuldet der behandelnde Arzt seinem Patienten gemäß § 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Behandlung nach dem allgemein anerkannten fachärztlichen Standard. Zur Bestimmung dieses Standards kann unter anderem auf Richtlinien sowie Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften zurückgegriffen werden.
Richtlinien zur Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, z. B. diejenigen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), werden aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassen und besitzen normative Bindungswirkung[1]. Ein Abweichen von solchen Richtlinien bedeutet eine Pflichtverletzung des Arztes. Dies gilt gem. §§ 136b und c SGB V auch im Krankenhausbereich.
Leitlinien sind dagegen systematisch entwickelte Aussagen der ärztlichen Fachgesellschaften und Berufsverbände, mit denen durch Untersuchungs- und Behandlungsempfehlungen die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen unterstützt werden soll[2]. Unterschieden wird zwischen drei Stufen von Leitlinien. Leitlinien der Stufe 1 entstehen aus einem informellen Konsens innerhalb einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe. Leitlinien der Stufe 2 setzen eine formale Konsensfindung in einem bewährten Konsensusverfahren (z. B. Delphikonferenz) voraus. Leitlinien der Stufe 3 entstehen schließlich aus der Erweiterung einer Leitlinie der Stufe 2 mit allen Elementen systematischer Entwicklung auf fünf weitere Komponenten (Logik, Konsensus, „Evidence-based medicine”, Entscheidungsanalyse, Outcome-Analyse)[3]. Leitlinien sollen generell den Stand der Erkenntnisse fixieren, also die standardgemäße Behandlung umschreiben[4]. Teilweise wird vertreten, dass Leitlinien der Stufe 3 medizinisch verbindlich sind, wenn sie dem Standard entsprechen und dass sie rechtlich verbindlich sind, weil sie dem Standard entsprechen[5]. In jedem Fall haben aber ärztliche Leitlinien in Abhängigkeit von ihrer methodischen Qualität mehr oder weniger stark ausgeprägte indizielle Bedeutung für den medizinischen Standard und damit für die Beurteilung der konkret erforderlichen Sorgfalt des Arztes[6]. Sie lassen dem Arzt einen Entscheidungsspielraum und Handlungskorridore, von denen in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann, ggf. abgewichen werden muss[7]. Sie unterscheiden sich insoweit von Richtlinien, weil ein Abweichen von Ihnen (außer ggf. bei Leitlinien der Stufe 3) nicht notwendigerweise eine Pflichtverletzung des Arztes bedeutet. Entscheidend für die Bestimmung des allgemein anerkannten fachärztlichen Standards sind daher stets auch die Umstände des Einzelfalls.
Noch weniger verbindlich als Leitlinien sind Stellungnahmen bzw. Empfehlungen von Fachgesellschaften. Nach Intention der Bundesärztekammer wird mit ihren Empfehlungen die Aufmerksamkeit der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit auf bestimmte Themen oder Sachverhalte gelenkt, indem umfassende Informationen und Anregungen, Ratschläge oder Hinweise sowie konsentierte Lösungsstrategien zu ausgewählten Fragestellungen vermittelt werden. Ihre Stellungnahmen definiert sie als Ausführungen, in denen ein Standpunkt, mit Blick auf die Ärzteschaft sowie die Öffentlichkeit, nachvollziehbar, überzeugend und plausibel begründet, zu einem ausgewählten Thema oder zu einer Frage vermittelt wird[8]. Empfehlungen und Stellungnahmen sind wie Leitlinien als wissenschaftliche Veröffentlichungen zu behandeln, die sich an ein überdurchschnittlich informiertes Publikum wenden, das sie überprüfen und würdigen kann. Der informierte Arzt soll solche Empfehlungen und Stellungnahmen beachten. Ihnen kommt aber, anders als Leitlinien, keine indizielle Wirkung zu.
Damit ist jedoch lediglich umrissen, nach welchen Maßstäben sich die Haftung eines behandelnden Arztes beurteilt. Offen bleibt hingegen, ob und in welchem Umfang die Autoren, Herausgeber und Verleger von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen haften. Der folgende Beitrag gibt daher eine Antwort auf die Frage, mit welchen Vorschriften die Beteiligten an der Veröffentlichung von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen, welche sich an ein überdurchschnittlich informiertes Publikum wendet, das sie überprüfen und würdigen kann, in Konflikt geraten können.
Ähnliche Überlegungen wie die folgenden muss auch ein Arzt anstellen, der – etwa auf seiner Praxishomepage – Stellungnahmen oder Empfehlungen für seine Patienten oder Kollegen publiziert. Gleiches gilt, wenn er mit der Veröffentlichung ein wirtschaftliches Interesse verfolgt, indem er z. B. auf von ihm verwendete Produkte oder angebotene Dienstleistungen aufmerksam macht.