Der Klinikarzt 2017; 46(11): 527-528
DOI: 10.1055/s-0043-121257
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Klinikessen: Stein des Anstoßes oder Chance?

Achim Weizel
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Publication Date:
15 November 2017 (online)

Viele Ärzte und Krankenhausverwalter machen sich nicht klar, welche Faktoren für das Image ihres Hauses verantwortlich sind. Ärzte und Verwalter hoffen, dass die medizinische Qualität das ausschlaggebende Kriterium ist, denn die medizinische Kompetenz beeinflusst zweifellos auch stark die Einweisungspolitik von niedergelassenen Kollegen.

Die Perspektive der Patienten unterscheidet sich davon jedoch häufig grundsätzlich. Der Patient kann in der Regel die Qualität der medizinischen Behandlung nicht beurteilen, es sei denn, dass ihm durch die Behandlung ein Schaden entstanden ist. Für den Patienten spielen völlig andere Kriterien eine Rolle: die menschliche Zuwendung durch die Ärzte und die Pflegekräfte, die Sauberkeit der Klinik und nicht zuletzt das Essen.

Vor allem Letzteres ist für viele Patienten ein Punkt, an dem sich Kritik sammeln lässt. Man muss das verstehen. Abgesehen von der akuten Phase (z. B. Aufenthalt auf der Intensivstation) ist der Krankenhausaufenthalt häufig durch Langeweile und Leerlauf gekennzeichnet, unterbrochen nur durch die (oft schnelle) Visite und die Durchführung von Untersuchungen. Die (normalerweise) 3 Essen am Tag sind hier willkommene Unterbrechungen. Verlaufen sie enttäuschend, führt dies zu Frustrationen. Hinzu kommt, dass der Patient zum Essen – im Unterschied zur medizinischen Behandlung – eine eigene Meinung und Vorstellung hat. Harmlos ist in diesem Zusammenhang in der Regel das Frühstück, das in groben Zügen dem entspricht, was viele Menschen auch zuhause zu sich nehmen. Beim Abendessen weiß der erfahrene Patient, dass die Arbeitsabläufe in der Küche und die letztendlich nicht ausdehnbare Arbeitszeit praktisch keine Abweichungen vom Schema „Brot/Butter/Gurke/Scheibenwurst und Käse“ erlauben.

Der casus belli ist daher die Hauptmahlzeit, das Mittagessen. Dieses stellt quasi den „Höhepunkt“ der Tagesverpflegung dar. Bei Durchsicht der Literatur wird deutlich, dass das Problem im Prinzip erkannt ist und die Verantwortlichen durchaus versuchen, mit verschiedenen Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Dabei ist die mögliche Variante, besseres Essen gegen Bezahlung“ offensichtlich in großem Stil aus ideologischen Gründen (Zwei-Klassen-Gesellschaft) nicht durchsetzbar. Es gilt nach wie vor der eherne Grundsatz: gleiches Essen für alle. Dagegen sind Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Angeboten (Normalkost/Schonkost/vegetarisch) heute Standard. Damit sollte zumindest der Klassiker „Rotkohl und Schweinefleisch“ nach Magen- und Gallenoperationen vermieden werden. Eine weitere Differenzierung des Angebotes ist durch die Digitalisierung möglich geworden. Patientenwünsche zu Art und auch Menge des Angebotes können heute auf Station problemlos erfasst und elektronisch ohne Zeitverlust zur Küche kommuniziert und dort umgehend umgesetzt werden.

Auch die eigentliche Zubereitung des Essens hat sich verändert. Selten geworden sind die Krankenhäuser mit eigener Küche und Auslieferung des Essens mit Wärmewagen auf die Station. In den meisten Häusern ist die Küche mittlerweile an Servicefirmen outgesourct, die Personal mit niedrigerem Lohnniveau beschäftigen. Die Zubereitung erfolgt in der Regel unter Zuhilfenahme von Konvenienceprodukten (vorgefertigte Nahrungsbestandteile). Nach der Herstellung erfolgt die weitere Verarbeitung nach verschiedenen Verfahren wie „cook and chill“ oder „cook and freeze“, hierbei wird die Nahrung gekühlt angeliefert und mit Heißluft „regeneriert“. In einer anderen Variante stehen den Patienten auf der Station mehrere Tiefkühlessen zur Verfügung, die dann vor Ort in der Mikrowelle erhitzt werden, was natürlich die Auswahl deutlich vergrößert.

An der Frage, ob das Klinikessen nur Teil der Krankenhaus-Folklore ist oder auch einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat, scheiden sich die Geister. Gibt es zum Beispiel gesundheitliche Schäden durch nicht optimales Klinikessen? In einigen Publikationen wird behauptet, dass sich der Gesundheitszustand durch „inadäquate“ Klinikkost verschlechtern könnte. Diese Aussage ist zwar plakativ, in Anbetracht der rapide sinkenden Verweildauer jedoch nicht besonders überzeugend.

Die eigentliche Ursache für die anhaltenden Diskussionen über das Krankenhausessen ist sehr profan. Die Ausgaben für das Essen sind für viele Verwalter ein reiner Kostenfaktor, die Außenwirkung spielt in vielen Fällen keine Rolle, hier ändert auch der Einsatz von Diätassistentinnen und motivierten Köchen nicht viel. Die Materialkosten, die für die tägliche Verpflegung angesetzt werden, bewegen sich in der Regel zwischen 3,50 € und 5 €, womit der Kreativität in der Küche enge Grenzen gesetzt sind.

Wie ist Abhilfe zu schaffen? In der Literatur wird das Beispiel eines kanadischen Krankenhauses zitiert, in dem der Chef des Hauses nach multiplen Beschwerden eine Woche das Krankenhausessen selbst verzehrt hat. Ob sich dadurch etwas geändert hat, ist nicht bekannt, derart heroische Selbstversuche sind aus Deutschland nicht bekannt.

Wie geht es weiter? Bei Betrachtung der Szene ist festzustellen, dass von Verwaltungen durchaus versucht wird, an vielen Stellen zu einer Verbesserung zu kommen. Es werden moderne Küchengeräte eingesetzt; wenn finanziell darstellbar, werden frische Lebensmittel verwendet. Durch schonende Verfahren wird versucht, die Qualität zu verbessern, die Digitalisierung kann helfen, individuelle Wünsche zu erfüllen. Dieser Aspekt ist durchaus ausbaufähig. Allein schon die Tatsache, dass der Patient zu Art und Menge seines Essens befragt wird, vermittelt ihm das Gefühl, dass seine Wünsche ernstgenommen werden. Eine echte Verbesserung kann jedoch erst erreicht werden, wenn sich das Bewusstsein durchsetzt, dass sich eine Qualitätssteigerung durch größeren finanziellen Einsatz nicht nur unmittelbar, sondern direkt in einer besseren Akzeptanz des Hauses niederschlägt.