Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53(09): 579-590
DOI: 10.1055/s-0043-121684
Topthema
CME-Fortbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Placeboeffekte in der Akutschmerztherapie

Placebo Effects in Acute Pain Therapy
Roland Haaga
,
Alexander Schnabel
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 September 2018 (online)

Zusammenfassung

Placebo- und Noceboeffekte stehen aktuell sehr im Fokus der klinischen und experimentellen Schmerzforschung. Neuro- sowie psychophysiologische Prozesse scheinen eine wichtige Rolle bei der Entstehung sowie Vermittlung zu spielen. So werden Placebo- und Noceboeffekte im Wesentlichen über das Netzwerk des opioidergen, absteigenden, schmerzmodulierenden Systems vermittelt. Für das Zustandekommen eines Placeboeffektes wiederum werden 3 psychologische Mechanismen verantwortlich gemacht: klassische Konditionierung, soziales Lernen sowie die Schmerzerwartung. Eine offene Analgetikagabe, eine ausführliche Aufklärung über Wirkung und Nebenwirkung (ohne diese zu sehr in den Fokus zu stellen) der im perioperativen Bereich eingesetzten Medikamente und Interventionen sowie eine Einbindung des Patienten in die Therapie (z. B. durch patientenkontrollierte Systeme) können zu einer additiven Verbesserung der Akutschmerztherapie (bis zu 30%) führen.

Placebo- und Noceboeffekte stehen schon lange im Fokus der Wissenschaft. In den letzten Jahren konnten wesentliche Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Mechanismen sowie potenzielle klinische Einsatzmöglichkeiten gewonnen werden. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Placeboanalgesie-Forschung, neuro- und psychophysiologische Zusammenhänge und die klinische Anwendung im Hinblick auf die Akutschmerztherapie.

Abstract

Placebo and nocebo effects are currently within the focus of clinical and experimental pain research. Neurophysiological and psychophysiological mechanisms might play an important role. Placebo and nocebo effects might be mediated through the descendent inhibitory pain pathway via endogenous opioids. Apart from that three different psychological mechanisms might be relevant for placebo and nocebo effects: classical conditioning, social learning and pain expectation. An open analgesic drug application, detailed patient information about efficacy and possible adverse events (without an extensive focus on it) of perioperative analgesic drugs and interventions and an active involvement of the patient in pain therapy (e.g. by using patient-controlled analgesia) might improve acute pain therapy via an additive placebo effect (by around 30%).

Kernaussagen
  • Placebo- und Noceboeffekte sind nicht auf medikamentöse Therapien beschränkt, sondern treten bei jedem Arzt-Patienten-Kontakt und jeglicher medizinischer Intervention auf.

  • Allein durch Placebotherapie lässt sich eine Schmerzreduktion um 20 – 30% bewirken.

  • Placeboeffekte lassen sich neurobiologisch über eine Aktivierung kortikaler Netzwerke im Sinne des deszendierenden schmerzmodulierenden Systems mit vermehrter Ausschüttung endogener Opioide erklären.

  • Placeboeffekte generieren sich aus Lernen inklusive klassischer Konditionierung, sozialem Lernen und Kognition inklusive Erwartung. Vorerfahrungen und Wertbeimessung spielen dabei eine entscheidende Rolle.

  • Auch im klinischen Alltag können Placeboeffekte gezielt ausgenutzt werden, um den Effekt analgetischer Therapien zu maximieren (additiver Effekt).

  • Bereits bei der präoperativen Aufklärung kann die Voraussetzung für eine Maximierung gewünschter (Placebo-)Effekte und Minimierung von Noceboeffekten geschaffen werden. Außerdem lassen sich wahrscheinlich präoperativ bestehende Ängste reduzieren und die Selbstwirksamkeit optimieren.

  • Einfache Maßnahmen, wie eine offene Medikamentengabe und Betonung positiver Effekte, können einen signifikanten Vorteil für den Patienten bewirken.

  • Patienten sollten dazu angeleitet werden, Analgetika sehr bewusst einzunehmen und sich auf positive Effekte (Schmerzreduktion) zu fokussieren.

  • Potenzielle Nebenwirkungen sollten nicht verschwiegen, aber auch nicht überbetont werden, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, aber Katastrophisierung zu vermeiden und Noceboeffekte möglichst niedrig zu halten.

  • Placebopräparate sollten derzeit nur in Studien eingesetzt werden. Eine Therapie mit Placebos kann sonst schnell zum Vertrauensverlust beim Patienten führen, sollte er davon erfahren.