Gesundheitswesen 2023; 85(S 01): S64
DOI: 10.1055/s-0043-1762783
Abstracts | BVÖGD/BZÖG
28.04.2023
Fachausschuss Umweltmedizin – Block 3
14:00 – 15:30 ‖ Tagungsraum 4

Dem Bornavirus (BoDV-1) in Bayern auf der Spur: One Health in action – eine Blaupause für zukünftige Ausbruchsuntersuchungen

M. M. Böhmer
1   Landesinstitut Task Force Infektiologie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
2   Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Otto-von-Guericke Universität, Magdeburg
,
M. Bauswein
3   Institut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg
,
V. Haring
4   Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems
,
D. Rubbenstroth
4   Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems
,
A. Bonakdar
5   Gesundheitsamt des LK Mühldorf am Inn, Mühldorf am Inn
,
B. Peters
5   Gesundheitsamt des LK Mühldorf am Inn, Mühldorf am Inn
,
F. S. Saller
1   Landesinstitut Task Force Infektiologie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
,
L. Coyer
1   Landesinstitut Task Force Infektiologie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
6   EuropäischesTrainingsprogramm für Interventionsepidemiologie, Feldepidemiologie-Pfad (EPIET), Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), Solna, Schweden
,
L. Chitimia-Dobler
7   Mikrobiologisches Institut der Bundeswehr, München
,
J. Rissland
8   Institut für Virologie/Staatliche Medizinaluntersuchungsstelle, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg
,
R. G. Ulrich
4   Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems
,
B. Schmidt
3   Institut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg
,
M. Beer
4   Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems
› Author Affiliations
 

Seit 2018 ist bekannt, dass das Borna Disease Virus 1 (BoDV-1) zoonotisches Potential aufweist und beim Menschen Enzephalitiden verursachen kann, die in der Regel tödlich verlaufen. Obschon seit langem als Erreger der Borna’schen Krankheit bei Tieren bekannt, ist bisher nicht geklärt, wie BoDV-1 vom Reservoirwirt, der Feldspitzmaus (Crocidura leucodon), auf den Menschen übertragen wird. Auch das klinische Spektrum humaner BoDV-1-Infektionen ist nicht abschließend erforscht und auch nicht die Beteiligung weiterer Wirte oder Vektoren.

Im Mai 2022 erkrankte eine Person in einer oberbayerischen Gemeinde (~2000 Einwohner) an einer BoDV-1-Enzephalitis. Es handelte sich hierbei um den zweiten humanen Fall innerhalb von <3 Jahren in dieser Gemeinde und somit um eine relative Häufung dieser seltenen Erkrankung.

Mit dem Ziel, Erkenntnisse zu klinischem Spektrum, möglichen Übertragungswegen und Verbreitung im Reservoir von BoDV-1 zu gewinnen, wurden ab Juli 2022 mehrere Studien von einem interdisziplinären Team initiiert. Beteiligt daran waren neben Landratsamt und Landesgesundheitsbehörde auch mehrere (Bundes-)Forschungseinrichtungen sowie ein Universitätsklinikum. Nachfolgend wird ein Überblick über die verschiedenen Akteure, Aktionen und Herangehensweisen im Gesamtforschungsvorhaben gegeben, welcher zukünftig als Modell für die Untersuchung ähnlich gearteter Fragestellungen (z.B. beim Auftreten neuer Zoonosen) herangezogen werden kann.

Bei der Planung des Gesamtforschungsvorhabens stand der „One Health“-Ansatz im Vordergrund. Von humaner Seite wurde eine Seroprävalenz-Studie zusammen mit einer umfassenden epidemiologischen Erhebung zu möglichen Risikofaktoren, demographischen Parametern und Symptomatik durchgeführt (BOSPEK-Studie). Die Probengewinnung und Befragung mittels elektronischem Surveytool erfolgten unter großer Beteiligung der Gemeinde in einer konzertierten Aktion an zwei Tagen. Um die Möglichkeit einer Übertragung des Virus aus der Umwelt auf den Menschen weiter zu untersuchen, wurden zudem Umweltproben an ausgesuchten Orten in der Gemeinde entnommen und auf das Vorliegen von BoDV-1 getestet. Ebenso wurden Zecken gesammelt und auf BoDV-1 untersucht, um die Möglichkeit einer Übertragung durch Vektoren zu erforschen. Nach juristischer Abklärung und unter Einbindung der Naturschutzbehörden sowie Koordination des Gesundheitsamtes wurden weiterhin zur Erforschung des Reservoirs tote Spitzmäuse in der betroffenen Gemeinde gesammelt sowie auch aktiv an zuvor eruierten möglichen Infektionsorten gefangen. Im Anschluss erfolgte eine Speziesbestimmung und die Untersuchung auf BoDV-1; eine Untersuchung auf weitere Erreger ist angedacht. Insbesondere eine im Vorfeld der Studien abgehaltene Informationsveranstaltung, die Online-Bereitstellung umfassender Informationen zu den geplanten Projekten sowie die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde, haben sich als sehr hilfreich für die Akzeptanz der verschiedenen Studien und die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Bevölkerung erwiesen. Informiert wurde zu den Studien in einer Pressemitteilung, die auch überregional große Resonanz fand.

Erste Ergebnisse, u.a. zu positiven Spitzmäusen, den Zeckenuntersuchungen und zu den serologischen Analysen, liegen bereits vor und zeigen die Bedeutung solcher umfassenden und konzertierten Untersuchungen im Sinne des „One-Health“-Ansatzes. Die enge Zusammenarbeit von öffentlichem Gesundheitsdient , Forschungseinrichtungen und Bevölkerung („Citizen Science“) sowie der interdisziplinäre Ansatz haben dazu beigetragen, die Quelle der Ansteckung weiter einzugrenzen und neue Erkenntnisse zu BoDV-1 zu gewinnen.



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Article published online:
08 March 2023

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