Aktuelle Ernährungsmedizin 2023; 48(03): E8-E9
DOI: 10.1055/s-0043-1768098
Abstracts

Herausforderung (Mangel-) Ernährungsmanagement in der Langzeitpflege

F Graeb
,
B Berger
,
R Wolke
,
G Essig
,
P Reiber
 

Einleitung  Mangelernährung und ungewollte Gewichtsverluste treten bei Pflegeheimbewohner*innen häufig auf und sind unter anderem mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert [1] [2]. Der pflegerische Expertenstandard Ernährungsmanagement [3] beschreibt Maßnahmen, um dem vorzubeugen oder eine eingetretene Mangelernährung frühzeitig erkennen und entsprechend intervenieren zu können.

Material und Methodik  Im von der IKKclassic finanzierten Forschungsprojekt PEBKO (Prävention in (teil-) stationären Pflegeeinrichtungen in den Handlungsfeldern Ernährung und Bewegung mittels partizipativer Konzeptentwicklung) wurden unter anderem retrospektiv Routinedaten von Pflegeheimbewohner*innen aus 6 Einrichtungen ausgewertet (N=540), um über einen Zeitraum von drei Jahren Veränderungen des Ernährungsstatus zu erfassen. Zudem wurden im Rahmen von nichtteilnehmenden Beobachtungen in drei Einrichtungen Esssituationen begleitet. Diese wurden anhand des Expertenstandards qualitativ analysiert.

Ergebnisse  Von den nach 6 Monaten verbliebenen 463 Bewohner*innen verlieren 24,2 % (n=112) mindestens 5 % ihres Körpergewichtes, welches im weiteren Verlauf nicht wieder aufgebaut wird. Die Gesamtmortalität über die drei Jahre liegt bei 58,9 % (n = 318), wobei in der Gruppe mit dem initialen Gewichtsverlust ≥ 5 % nach 36 Monaten noch 29,5 % am Leben sind. In der Restgruppe hingegen 53,8 %. Für 245 Fälle liegt ein Gewicht kurz vor dem Versterben (max. 4 Wochen) vor. Der durchschnittliche Gewichtsverlust im Vergleich zu t0 liegt bei -8,5 % (SD ±12,4).

In den qualitativen Beobachtungssequenzen zeigen sich erhebliche Defizite bei der Unterstützung bzw. Anleitung einer möglichst selbstständigen Nahrungsaufnahme. Zudem sind Verbesserungsbedarfe bei der Organisation der Mahlzeitgestaltung sowie einer fachgerechten Ansprache von Bewohner*innen mit Demenz auszumachen, um die Essmotivation zu erhöhen. Die Gründe für beobachtbare Interventionen, wie beispielsweise die Verabreichung von kalorienreichen Shakes, lassen sich anhand der pflegerischen Dokumentation nicht immer nachvollziehen. Ein routinemäßiges Screening findet selten statt, außer bei Einzug in die Einrichtung und nach Klinikaufenthalten. Das aktuelle Körpergewicht sowie der BMI werden regelmäßig, d.h. monatlich erfasst und dokumentiert.

Zusammenfassung  Obwohl Pflegeheimbewohner*innen offenkundig stark von Mangelernährung betroffen sind, finden die entsprechenden Empfehlungen aus dem Expertenstandard kaum Anwendung, trotz implementierten Expertenstandards in allen Einrichtungen. Die hier geschilderte Problematik verdeutlicht einen nicht gelingenden Theorie-Praxis Transfer. Diesem muss in den Einrichtungen vor Ort mithilfe von partizipativen Konzeptentwicklungen begegnet werden.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. Mai 2023

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  • Literatur

  • 1 Volkert D, Weber J, Kiesswetter E. et al. Ernährungssituation in Krankenhäusern und Pflegeheimen - Auswertung der nutritionDay-Daten für Deutschland. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. 14. DGE-Ernährungsbericht 2020; 199-258
  • 2 Wirth R, Streicher M, Smoliner C. et al. The impact of weight loss and low BMI on mortality of nursing home residents - Results from the nutritionDay in nursing homes. Clin Nutr 2016; 35: 900-906 DOI: 10.1016/j.clnu.2015. 06.003.
  • 3 DNQP. Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege. Schriftenreihe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege. Osnabrück: Hochschule Osnabrück Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. 2017