Ernährung & Medizin 2018; 33(01): 1-3
DOI: 10.1055/s-0044-101070
Laudatio
© Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Laudatio

Marc Birringer
,
Manfred Eggersdorfer
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Publication Date:
19 March 2018 (online)

Forschungspreis der Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung (GVF) an Herrn Prof. Dr. med. Hans Konrad Biesalski für sein wissenschaftliches Lebenswerk

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Prof. Dr. med. Hans Konrad Biesalski (© Jana Kay)

Professor Biesalski wurde am 14. April 1949 in Marburg geboren und wuchs dort auf. Er studierte zunächst Physik und später, von 1973 bis 1979, Medizin an den Universitäten Mainz und Bonn, wo 1979 seine Approbation als Arzt erfolgte. Dort entstand eine seiner ersten Publikationen, ein Kommentar zur Differenzialdiagnose und Pathogenese des Pendred-Syndroms, einer vererbbaren Jod-Stoffwechsel-abhängigen Schwerhörigkeit [1]. Von 1979 bis 1982 war Prof. Biesalski Assistent am Physiologischen Institut der Universität Mainz in der Abteilung Biophysik, wo er erstmals in Kontakt mit der Vitaminforschung kam. Er entdeckte die Bedeutung von Vitamin A für die Entwicklung des Innenohrs, die er in mehreren Publikationen beschrieb [2], [3]. 1981 promovierte er zum Dr. med. über das Thema „Progrediente Hörstörung im Kindesalter“ und habilitierte sich 1986 zum Thema „Vitamin A im Innenohr“. In der Zeit von 1984 bis 1993 entstanden weitere und grundlegende Arbeiten zum Vitamin A-Stoffwechsel am Institut für Physiologische Chemie an der Universität Mainz [4], [5], [6], [7], [8]. 1993 erhielt er den Ruf an den Lehrstuhl für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim, dem 1995 die Ernennung zum Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft folgte. Am Institut in Hohenheim konzentrierten sich seine wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu Vitaminen und Mineralstoffen, die in 422 Veröffentlichungen mündeten, 334 davon in peer-reviewed Journalen.

Einige wegweisende Arbeiten zum Vitamin A sollen an dieser Stelle kurz gewürdigt werden. Die Leber als Speicherorgan für Vitamin A in Form der Retinylester war lange bekannt. Die Vitamin-A-Ester werden durch Bindung an das Retinol-bindende Protein (RBP) in extrahepatische Gewebe über den Blutstrom transportiert und dort aufgenommen. Hieraus ergeben sich mehr oder weniger konstante Plasmaspiegel des Vitamins. Steigt jedoch der Bedarf an Vitamin A, z. B. durch entzündliche Erkrankungen, kann es zu einer temporären Unterversorgung kommen, da das RBP nicht schnell genug nachproduziert wird. Prof. Biesalski zeigte, dass der Verlust an Vitamin A durch extrahepatische Speicher ausgeglichen werden kann [9]. Die Tatsache, dass extrahepatische Gewebe – insbesondere Epithelzellen – Vitamin A aufnehmen und speichern können, führte zu mehreren praktischen Anwendungen, wie z. B. einem Vitamin-A-Aerosol-Inhalator.

Prof. Biesalski vertiefte diese Arbeiten mit der Analyse des Genoms von 2 Geschwistern, die kaum messbare Plasma-Retinol- und -RBP-Spiegel hatten. Die Genanalyse ergab 2 Punktmutationen des RBP-Gens als Ursache. Trotz der niedrigen Plasmaspiegel zeigten die beiden Mädchen nur milde Symptome eines Vitamin-A-Mangels (Nachtblindheit und Hautveränderungen). Da die intestinale Aufnahme an Retinylestern ungestört war, schlossen die Autoren, dass eine alimentäre Versorgung von Vitamin A (über Retinylester, Retinsäure und/oder beta-Karotin) ausreicht, um die peripheren Gewebe mit Vitamin A zu versorgen [10].

Neben Vitamin A untersuchte Prof. Biesalski weitere Mikronährstoffe, wie Vitamin C und E, im Zusammenhang mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. Vor allem der wissenschaftliche Beitrag von Prof. Biesalski zur Versorgungslage von Neugeborenen mit Mikronährstoffen in Entwicklungs- und Schwellenländern sei hier erwähnt [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17]. Der Begriff „Hidden Hunger“ wird eng mit dem Wirken von Prof. Biesalski verknüpft und durch seine Initiative resultierte schließlich der erste Hidden-Hunger-Kongress in Hohenheim im März 2013 [18], der im kommenden Jahr (2019) bereits zum 4. Mal stattfinden wird.

Aus seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sind erstaunliche 12 Lehrbücher und 6 Fachbücher entstanden, darunter sein „Taschenatlas Ernährung“, der als Pflichtlektüre in der Ernährungsdisziplin gilt. Standardwerke sind auch die Bücher „Ernährungsmedizin“, „Vitamine: Bausteine des Lebens“, „Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe“, „Vitamine und Minerale: Indikation, Diagnostik, Therapie“, neben populärwissenschaftlichen Büchern wie „Der verborgene Hunger“.

Ein Anliegen von Prof. Biesalski war immer die Umsetzung der Forschungsarbeiten in praktische Anwendungen. Er engagierte sich als Advokat der Vitamine und Mineralstoffe mit zahlreichen Statements in Pressegesprächen und den Medien, so z. B. zur Rolle von Vitamin D bei Osteoporose und deren Prävention. Hohe Anerkennung fanden auch die „Hohenheimer Konsensgespräche“, in denen Experten kontroverse Themen in der Wissenschaft aufgriffen, intensiv diskutierten und ihren Konsens in wissenschaftlichen Artikeln veröffentlichten; ein Beispiel dafür ist das Thema „Ernährung und Altern“.

Prof. Biesalski war bzw. ist Mitglied vieler Organisationen, wie z. B. der Expertengruppe des Global Food Security Boards der WHO/FAO, dem wissenschaftlichen Beirat der U.S. Pharmacopeia sowie Sprecher der Kommission Ernährung und Krebs der Deutschen Gesellschaft für Hämatologische Onkologie, um nur einige anzuführen. Er engagiert sich als Editor für die Fachjournale „Nutrition and Metabolism in Oncology“ sowie für „Nutrition“ und „Nutrition and Metabolism“. Im Jahr 2007 erfolgte die Berufung als Fellow an das Wissenschaftskolleg zu Berlin.

Prof. Biesalski wurde mehrfach für sein Wirken als Wissenschaftler ausgezeichnet. Darunter fallen der HERMES Vitamin-Preis (1982), der Fritz-Wörwag-Preis (1993) und nicht zuletzt der renommierte und mit 25 000 Euro dotierte Justus-von-Liebig-Preis für Welternährung, der ihm 2017 überreicht wurde. Die Stiftung „fiat panis“, die den Preis vergibt, begründete die Preisvergabe wie folgt: „Mit den Hidden-Hunger-Kongressen in Stuttgart hat er eine einzigartige internationale Plattform für den interdisziplinären Austausch über soziale, medizinische, naturwissenschaftliche und politische Maßnahmen geschaffen.“

Im Rahmen der GVF-Fortbildungsveranstaltung „Essentielle Nährstoffe bei kardiovaskulärem Risiko und für kognitive Funktionen im Alter“, stattgefunden am 18. November 2017 in Frankfurt/Main, wurde Prof. Biesalski mit dem GVF-Forschungspreis 2017 für sein Lebenswerk geehrt.

Die Gesellschaft für Angewandte Vitaminforschung (GVF) vergibt den mit 3000 Euro dotierten Preis jährlich im Wechsel an den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie an erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

In seiner Laudatio würdigte der Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Marc Birringer, die außergewöhnliche Forschungsleistung des Preisträgers. „Wer auf dem Gebiet der Vitamine und Mineralstoffe forscht, stolpert förmlich über den Namen Biesalski.“ In seinem Vortrag zur Bedeutung von Mikronährstoffen für die Gesundheit machte der Preisträger klar: „Was wissen wir eigentlich wirklich? – Wenig!“ Und deshalb sei es so wichtig, auch zukünftig auf dem Gebiet der Vitamine und Spurenelemente zu forschen.

Prof. Marc Birringer, Prof. Manfred Eggersdorfer

GVF – Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung e. V.

GVF-FORSCHUNGSPREIS

Die Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung e. V. klärt seit 1989 über Vitamine und deren praktische Anwendung auf. Der Vorstand ist dabei durch Vertreter*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengesetzt.

Der GVF-Forschungspreis wird jährlich im Wechsel an Nachwuchswissenschaftler*innen und erfahrene Wissenschaftler*innen vergeben und ist mit einem Preisgeld dotiert.

Für Vorschläge und Informationen wenden Sie sich gerne an die GVF-Geschäftsstelle: info@vitaminforschung.org

 
  • Literatur

  • 1 Biesalski HK, Gross M. Comments on differential-diagnosis and pathogenesis of pendreds syndrome. Sprache-Stimme-Gehör 1979; 3: 99-103
  • 2 Biesalski HK, Gross M, Ehrenthal W. et al. Bestimmung von Vitamin A (Retinol) und retinolbindendem Protein (RBP) im Serum hörgestörter Kinder. Laryngologie, Rhinologie, Otologie 1981; 60: 631-635
  • 3 Biesalski HK, Ehrenthal W, Gross M. et al. Rapid determination of retinol (vitamin A) in serum by high pressure liquid chromatography (HPLC). International journal for vitamin and nutrition research. Internationale Zeitschrift für Vitamin- und Ernährungsforschung. Journal international de vitaminologie et de nutrition 1983; 53: 130-137
  • 4 Biesalski HK. Retinol and retinyl ester in separated structures of the guinea pig inner ear. In: International journal for vitamin and nutrition research. Internationale Zeitschrift für Vitamin- und Ernährungsforschung. Journal international de vitaminologie et de nutrition 1984; a 54: 113-118
  • 5 Biesalski HK. Vitamin A und Hörorgan. Literaturübersicht. Z Ernährungswiss 1984; b 23: 104-112
  • 6 Biesalski HK. Aspects of vitamin A metabolism in sensory epithelia (inner ear, olfactory bulbus, pineal gland). In: International journal for vitamin and nutrition research. Internationale Zeitschrift für Vitamin- und Ernährungsforschung 1985; (Suppl. 27) 225-245
  • 7 Biesalski HK. Comparative assessment of the toxicology of vitamin A and retinoids in man. Toxicology 1989; 57: 117-161
  • 8 Biesalski HK. Separation of retinyl esters and their geometric isomers by isocratic adsorption high-performance liquid chromatography. Methods Enzymol 1990; 189: 181-189
  • 9 Biesalski HK, Nohr D. New aspects in vitamin a metabolism. The role of retinyl esters as systemic and local sources for retinol in mucous epithelia. Journal Nutr 2004; 134 (12 Suppl.) 3453S-3457S
  • 10 Biesalski HK, Frank J, Beck SC. et al. Biochemical but not clinical vitamin A deficiency results from mutations in the gene for retinol binding protein. Am J Clin Nutr 1999; 69: 931-936
  • 11 Getahun Z, Scherbaum V, Taffese Y. et al. Breastfeeding in Tigray and Gonder, Ethiopia, with special reference to exclusive/almost exclusive breastfeeding beyond six months. Breast Feeding Rev 2004; 12: 8-16
  • 12 Stuetz W, McGready R, Cho T. et al. Relation of DDT residues to plasma retinol, alpha-tocopherol, and beta-carotene during pregnancy and malaria infection. A case-control study in Karen women in northern Thailand. Sci Total Environment 2006; 363: 78-86 DOI: 10.1016/j.scitotenv.2005.06.032
  • 13 Stuetz W, Carrara VI, Mc Gready R. et al. Impact of food rations and supplements on micronutrient status by trimester of pregnancy. Cross-sectional studies in the Maela Refugee Camp in Thailand. Nutrients 2016; 8: 66 DOI: 10.3390/nu8020066
  • 14 Stuetz W, Carrara VI, McGready R. et al. Thiamine diphosphate in whole blood, thiamine and thiamine monophosphate in breast-milk in a refugee population. PloS one 2012; 7: e36280 DOI: 10.1371/journal.pone.0036280
  • 15 Inayati DA, Scherbaum V, Purwestri RC. et al. Combined intensive nutrition education and micronutrient powder supplementation improved nutritional status of mildly wasted children on Nias Island, Indonesia. Asia Pacific J Clin Nutr 2012; 21: 361-373
  • 16 Kunyanga C, Imungi J, Okoth M. et al. Development, acceptability, and nutritional characteristics of a low-cost, shelf-stable supplementary food product for vulnerable groups in Kenya. Food Nutr Bull 2012; 33: 43-52 DOI: 10.1177/156482651203300104
  • 17 Purwestri RC, Scherbaum V, Inayati DA. et al. Supplementary feeding with locally-produced Ready-to-Use Food (RUF) for mildly wasted children on Nias Island, Indonesia. Comparison of daily and weekly program outcomes. Asia Pacific J Clin Nutr 2012; 21: 374-379
  • 18 Biesalski HK. International congress ‚Hidden Hunger‘, March 5–9, 2013, Stuttgart-Hohenheim, Germany. Ann Nutr Metabol 2013; 62: 298-302 DOI: 10.1159/000351078