Suchttherapie 2024; 25(S 01): S4
DOI: 10.1055/s-0044-1790298
Abstracts
Symposien
S01 State of the Art Verhaltenssüchte

Psycho- und neurobiologische Mechanismen von Verhaltenssüchten: Ein update

Matthias Brand
1   Allgemeine Psychologie: Kognition und Center for Behavioral Addiction Research (CeBAR), Universität Duisburg-Essen, Duisburg, Deutschland
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Hintergrund und Fragestellung: Die theoriegeleitete Forschung zu psychologischen und neurobiologischen Mechanismen von Verhaltenssüchten hat in der letzten Dekade deutlich zugenommen. Insbesondere werden affektive und kognitive Prozesse und deren neurale Korrelate in experimentellen Studien und fMRT-Untersuchungen adressiert. Ziel dieses Beitrags ist es, den aktuellen Kenntnisstand zu den Grundlagen von Verhaltenssüchten zusammenzufassen und ihn zu bestehenden Ätiologiemodellen in Beziehung zu setzen.

Methoden/Erläuterung des Versorgungsprojektes: Es wird ein narrativer, theoriegeleiteter Überblick über aktuelle empirische Befunde zu psychologischen und neurobiologischen Mechanismen von Verhaltenssüchten, insbesondere Computerspielstörung, Pornographie-Nutzungsstörung, Kauf-Shoppingstörung und problematische Nutzung sozialer Netzwerke gegeben.

Ergebnisse/Erfahrungen, Erwartungen: Eine gute Evidenzlage existiert bezüglich der wichtigen Rolle von Reizreaktivität und Craving bei den verschiedenen Verhaltenssüchten, für die sich auf Hirnebene recht konsistent die Beteiligung des ventralen und des dorsalen Striatums zeigt. Ebenso erscheint die Befundlage zur reduzierten generellen Inhibitionskontrolle und weiteren Minderungen exekutiver Leistungen, die mit funktionellen Änderungen präfrontaler Hirnareale einhergehen können, als vergleichsweise überzeugend für die Glücksspiel- und Computerspielstörung sowie unspezifische Internetnutzungsstörungen. Die Evidenz für Änderungen der stimulus-spezifischen Inhibitionskontrolle ist noch gering. Spezifische implizite Kognitionen (z.B. Aufmerksamkeitsbias, automatische Annäherungstendenzen) scheinen ebenfalls kognitive Korrelate von Verhaltenssüchten zu sein. Zur Rolle kompulsiver Prozesse bei Verhaltenssüchten existieren bislang kaum experimentelle Arbeiten.

Diskussion und Schlussfolgerung: Die empirischen Befunde bestätigen weitgehend die zentralen Annahmen aktueller Ätiologiemodelle der Verhaltenssüchte, insbesondere bezüglich einer Imbalance affektiver (z.B. Reizreaktivität und Craving) und kognitiver Prozesse (z.B. Selbstkontrolle). Die Ergebnisse fließen in die Theoriebildung und -weiterentwicklung ein, um bestehende Ätiologiemodelle der Verhaltenssüchte zu spezifizieren. Ebenso münden die Erkenntnisse zu affektiven und kognitiven Mechanismen von Verhaltenssüchten bereits in neue Interventionsansätze, z.B. in cognitive bias modification trainings und Neuromodulation, zu denen es erste Ergebnisse aus proof-of-concept studies gibt.

Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen: Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, welche die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.

Erklärung zur Finanzierung: Die Arbeit wurde im Rahmen der Forschungsgruppe ACSID, FOR2974, durchgeführt, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird – 411232260.



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Article published online:
19 September 2024

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