Suchttherapie 2024; 25(S 01): S4-S5
DOI: 10.1055/s-0044-1790300
Abstracts
Symposien
S01 State of the Art Verhaltenssüchte

Verhaltenssüchte erfolgreich behandeln: Stärken und Limitierungen bisheriger Wirksamkeitsforschung

Astrid Müller
1   Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
,
Patrick Bach
2   Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, Deutschland
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Hintergrund und Fragestellung: Der Beitrag informiert über die Wirksamkeit psychotherapeutischer und pharmakologischer Behandlungsansätze bei Verhaltenssüchten.

Methoden/Erläuterung des Versorgungsprojektes: Narrativer Überblick über aktuelle systematische Reviews/Metaanalysen zur Behandlung von Glücksspielstörung, Computerspielstörung, Störung mit zwanghaftem Sexualverhalten und zwanghafter Kauf-Shopping-Störung unter Einbezug der in der AWMF S1-Leitlinie „Diagnostik und Therapie Internetbezogener Störungen“ zusammengefassten Evidenz.

Ergebnisse/Erfahrungen, Erwartungen: Die meisten Befunde liegen für kognitiv-verhaltenstherapeutische (KVT) Einzel- sowie Gruppentherapiebehandlungen mit Psychoedukation, Verhaltensanalysen, Auf- und Ausbau von Änderungsmotivation, Erlernen von Stimuluskontrolle, kognitiver Umstrukturierung, Expositionsübungen sowie Interventionen zur Verhaltensaktivierung, Emotionsregulation und Verbesserung lebensweltbezogener Aspekte vor. Während die KVT-basierten Behandlungsansätze eine empirisch belegte Wirksamkeit aufweisen, zeigen die vergleichsweise wenigen placebo-kontrollierten Studien mit z. B. selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern oder Anticravingsubstanzen keine konsistente Überlegenheit des Medikaments. Zu den in der Literatur diskutierten methodischen Schwächen der sowohl Psychotherapie- als auch Medikamentenstudien zählen geringe Stichprobengrößen, Wartekontrollgruppe/Plazebo als Vergleichsbedingung anstatt eines aktiven Behandlungsarms, die fragliche Validität der verwendeten Outcome-Variablen, die Fokussierung auf Prä-Post-Vergleiche anstelle von Prozess- und Prädiktoranalysen, die Nichtbeachtung von unspezifischen Wirkfaktoren sowie ein Reporting-Bias. Es mangelt an Studien zu differentiellen Behandlungsansätzen in Abhängigkeit von der psychischen Komorbidität, dem kulturellen Hintergrund betroffener Personen oder dem favorisierten Setting (z.B. offline und/oder online).

Diskussion und Schlussfolgerung: Obwohl Verhaltenssüchte erst seit Kurzem als psychische Störungen in der ICD-11 klassifizierbar sind, werden bereits seit mehreren Jahrzehnten kontrollierte Behandlungsstudien durchgeführt. KVT-basierte Behandlungsansätze gelten nach aktuellem Wissensstand als die Therapie der Wahl in der Behandlung von Verhaltenssüchten. Diese können unter Berücksichtigung der psychischen Komorbidität mit pharmakologischer Therapie kombiniert werden. Angesichts der Lücken und Schwächen bisheriger Wirksamkeitsforschung ergibt sich die Notwendigkeit qualitativ hochwertiger Behandlungsstudien mit Fokus auf den Mechanismen der Veränderung.

Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen: Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, welche die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.



Publication History

Article published online:
19 September 2024

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