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DOI: 10.1055/s-0044-1790403
Inanspruchnahme alkoholbezogener Interventionen nach der ersten Alkoholdiagnose
Hintergrund und Fragestellung: Das deutsche Gesundheitssystem bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten der fachlichen Betreuung im Zusammenhang mit alkoholbezogenen Störungen. Die S3-Leitlinien empfehlen bei Vorliegen einer Entzugssymptomatik eine qualifizierte Entzugsbehandlung mit anschließender ambulanter oder stationärer Rehabilitation. Darüber hinaus können Medikamente bei der Trinkreduktion helfen und psychiatrische bzw. psychotherapeutische Unterstützungsangebote in Anspruch genommen werden. Schließlich ist auch eine niedrigschwellige Beratung in der Suchthilfe eine Option. Da bislang nicht bekannt ist, welche Maßnahmen in welchem Umfang Patient:innen mit alkoholbezogenen Störungen typischerweise in Anspruchnehmen, schließen wir diese Wissenslücke.
Methoden/Erläuterung des Versorgungsprojektes: Grundlage der Auswertung sind Leistungsdaten zweier Hamburger Krankenkassen aus den Jahren 2016-2021. Die Stichprobe umfasst Versicherte mit einer diagnostizierten Alkoholkonsumstörung (ICD-10 F10.1-F10.9). Berücksichtigt wurde die erste Diagnose, der keine andere alkoholspezifische Diagnose (z.B. F10, K70) vorausging. Es wurden folgende Interventionen definiert und für einen Zeitraum von 24 Monaten nach Erstdiagnose identifiziert: 1) qualifizierter Entzug, 2) stationärer alkoholspezifischer Kontakt, 3) alkoholspezifische Pharmakotherapie, 4) Rehabilitation, 5) psychiatrischer Kurzkontakt, 6) Psychotherapie, 7) Suchtberatung. Die Inanspruchnahme unterschiedlicher Interventionen wird durch eine latente Klassenanalyse beschrieben.
Ergebnisse/Erfahrungen, Erwartungen: Es konnten n=9.771 Personen mit der Erstdiagnose einer Alkoholkonsumstörung identifiziert werden. Vorläufige Auswertungen ohne Suchtberatungen zeigen, dass 2 von 3 betroffene Personen keine Intervention in Anspruch nehmen. Unter den verbliebenen Personen zeigt sich eine hohe Inanspruchnahme psychiatrischer/psychotherapeutischer Leistungen, gefolgt von qualifizierten Entzugsbehandlungen in Kombination mit oder ohne Rehabilitationsleistungen und anderen Interventionen. Eine separate Gruppe von Personen mit ausschließlich stationären alkoholspezifischen Kontakten zeichnet sich ebenfalls ab. Personen ohne Inanspruchnahme alkoholbezogener Interventionen zeigen ein ähnliches Komorbiditätsprofil und sind im Durchschnitt etwas älter.
Diskussion und Schlussfolgerung: Ein beträchtlicher Teil von Personen mit einer diagnostizierten Alkoholkonsumstörung nimmt keine alkoholbezogenen Interventionen in Anspruch. Die Umsetzung der Empfehlungen der S3-Leitlinie scheint lückenhaft, insbesondere die Nutzung von Rehabilitationsleistungen infolge eines qualifizierten Entzugs sowie die Verschreibung von Medikamenten zur Trinkreduktion bzw. Abstinenzförderung.
Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen: Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, welche die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten. Erklärung zur Finanzierung: „Patient*innenwege von Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit in Deutschland“ (PRAGMA), Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA, Förderkennzeichen: 01VSF21029)
Publication History
Article published online:
19 September 2024
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