Suchttherapie 2024; 25(S 01): S70
DOI: 10.1055/s-0044-1790463
Abstracts
Symposien
S44 Suchthilfe für strafrechtlich Verurteilte – Anregung zur strukturellen Veränderung und Vorstellung Behandlungsmöglichkeiten

Die Reform des Maßregelvollzugsgesetz gem. § 64 StGB: ein Schritt vor, zwei zurück!

Ingo Michels
1   Institut für Suchtforschung Frankfurt, Frankfurt University of Applied Sciences, Frankfurt, Deutschland
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Hintergrund und Fragestellung: In den letzten Jahren gab es einen massiven Anstieg der nach § 64 StGB in der forensischen Psychiatrie untergebrachten Suchtkranken, hauptsächlich Opioidabhängigen, von 1.373 im Jahr 1995 auf mittlerweile 5.280 Personen in 2020. Am 22. Juni 2023 hat der Deutsche Bundestag eine Gesetzesänderung beschlossen. Die im Oktober 2023 in Kraft getretene Novellierung des Gesetzes hat aber nicht die Verbesserung der Wirksamkeit der Therapie als Ziel, sondern die Maßregel auf die „tatsächlich behandlungsbedürften Personen zu konzentrieren“. Wie hingegen jemand als „therapierbereit“ diagnostiziert werden soll, bleibt unklar. Die Zielsetzung ist, dem „Missbrauch“ der Maßregel zu begegnen. In der Maßregel gibt es nach wie vor kaum eine Medikamenten-gestützte Behandlung (mit Methadon oder Buprenorphin), obwohl in psychiatrischen Kliniken die fachlichen Standards der Bundesärztekammer zur Behandlung einer Opioidabhängigkeit gelten und die Zuständigkeit für den Maßregelvollzug nicht bei den Justiz-, sondern bei den Gesundheits- und Sozialministerien liegt!

Methoden/Erläuterung des Versorgungsprojektes: Der fachwissenschaftliche Diskurs zum Maßregelvollzug der letzten Jahre macht deutlich, dass noch immer von einer Wirksamkeit dieser Behandlungsform ausgegangen wird, die zur Reduktion des „Risikos erneuter Straftaten“ von 30% führe. Es wird nicht in Frage gestellt, dass der fortgesetzte Konsum von psychoaktiven Substanzen (und damit der Verstoß gegen §29 BtMG) und die damit verbundene die Beschaffungskriminalität erst zur Inhaftierung führen.

Ergebnisse/Erfahrungen, Erwartungen: Es wird davon ausgegangen, dass eine zwangsweise durchgeführte Behandlung ebenso erfolgreich ist wie eine freiwillige und dass angewendete psychotherapeutische Methoden lediglich bei „therapieresistenten“ Klienten mit „dissozialer Persönlichkeitsstruktur“ scheitern.

Diskussion und Schlussfolgerung: Die Novellierung des Maßregelvollzug wird dagegen dazu führen, dass mehr noch dort untergebrachte Menschen in den Strafvollzug überführt werden, ohne dass dort ihre Suchterkrankung angemessen behandelt wird.

Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen: Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, welche die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.



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Article published online:
19 September 2024

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