Suchttherapie 2024; 25(S 01): S70-S71
DOI: 10.1055/s-0044-1790464
Abstracts
Symposien
S44 Suchthilfe für strafrechtlich Verurteilte – Anregung zur strukturellen Veränderung und Vorstellung Behandlungsmöglichkeiten

„Einfach Ausbrechen“ – Ein Gruppenbehandlungskonzept für Inhaftierte mit Substanzgebrauchsstörung

Jil Reinardt
1   Sucht-/Straffälligenhilfe, ABK Neustart gGmbH, Aachen, Deutschland
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Hintergrund und Fragestellung: Die Bedeutung der Behandlung von Substanzgebrauchsstörungen in Justizvollzugsanstalten nimmt angesichts der Prävalenz des problematischen Drogenkonsums unter Inhaftierten stetig zu. Laut des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes weist fast die Hälfte der erfassten Strafgefangenen in Deutschland zum Zeitpunkt ihres Haftantrittes eine stoffgebundene Gebrauchsstörung auf. Ein standardisiertes Suchtbehandlungskonzept, welches explizit auf die Bedürfnislage inhaftierter Männer zugeschnitten ist, sucht man vergeblich. Daraus verschärfte sich die Notwendigkeit ein evidenzbasiertes Gruppenbehandlungskonzept für männliche Inhaftierte mit Substanzgebrauchsstörungen zu entwickeln. Im Vordergrund stand der Anspruch ein Behandlungsprogramm zu konzipieren, welches zur Reflexion und zur Veränderungsmotivation des individuellen Konsumverhaltens der Teilnehmer anregen und die besonderen Herausforderungen des Haftalltags berücksichtigen soll.

Methoden/Erläuterung des Versorgungsprojektes: Damit die Konzepterstellung auf die gegenwärtige Lebensrealität und Bedürfnislage von inhaftierten Männern mit Substanzgebrauchsstörungen angepasst werden kann, wurde der eigentlichen Konzeption eine umfassende systematische Literaturrecherche in vier Online-Datenbanken (LIVIVO, BASE, PubMed und PSYNDEX) zu international bewährten intramuralen suchtspezifischen Gruppenbehandlungen vorangestellt. Basierend auf den Ergebnissen wurde ein multimodales Gruppenbehandlungsprogramm entwickelt, welches konzeptionell verschiedenen selbst auserwählten therapeutischen und beraterischen Herangehensweisen und Interventionen folgt, die in vorangegangen Studien als wirksam befunden worden sind.

Ergebnisse/Erfahrungen, Erwartungen: Es lässt sich das Phänomen erkennen, dass drogenmissbrauchende Inhaftierte nach Haftantritt verstärkt das Bedürfnis entwickeln drogenfrei zu leben sowie, dass zudem deutlich mehr Männer intramural eine Drogenberatung aufsuchen als extramural. Somit gilt die Suchtberatung in Haft als essentiell. Eine Erhebung hat ergeben, dass die Behandlungsmaßnahmen für Inhaftierte mit Substanzgebrauchsstörungen selten auf der Grundlage eines konkreten Konzeptes mit festem Ablaufplan durchgeführt werden. Die Etablierung eines auf den Haftkontext zugeschnittenen Behandlungsprogramms scheint daher sinnvoll.

Diskussion und Schlussfolgerung: Während außerhalb der Haftmauern in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in den suchtspezifischen psycho-sozialen Interventionen zu vermerken sind, drängt sich die Vermutung auf, dass inhaftierte Drogengebraucher:innen diese Entwicklungen kaum erreicht haben. Mit dem zusätzlichen Hintergrund einer fehlenden standardisierten Manualisierung der intramuralen Behandlung, kann dieses Konzept als innovative Alternative zu spontan angepassten Behandlungsbüchern aus der extramuralen Praxis betrachtet werden.

Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen: Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, welche die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.

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Article published online:
19 September 2024

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