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DOI: 10.1055/s-1999-9032
Zum Kataraktrisiko durch inhalative Kortikoide
Publication History
Publication Date:
31 December 1999 (online)
Der Autor des Editorials zur Studie von Cumming et al. zitiert eingangs die Schlußfolgerung: „Die Anwendung inhalierbarer Glukokortikoide ist mit der Entwicklung von posterioren subkapsulären und Kernkatarakten assoziiert” und fährt fort: „Obwohl diese Assoziation nicht unerwartet war - die Anwendung systemischer Glukokortikoide ist ein Risikofaktor für Katarakte - haben publizierte Studien an kleineren Patientengruppen keine Beziehung zwischen inhalierbaren Glukokortikoiden und Katarakten aufgezeigt” [[1]]. In dem sorgfältigen und ophthalmologisch sachkundigen Kommentar findet sich dennoch kein kritischer Einwand gegen Ergebnisse und Schlußfolgerungen der Cumming-Studie. Offensichtlich wiegt die Überzeugungskraft großer Fallzahlen per se schwerer als die eigene klinische Erfahrung und die bisher verfügbare Evidenz. Der möglicherweise ungedeckte Scheck epidemiologischer Forschungsergebnisse wird vorbehaltlos in der täglichen Praxis eingelöst. Chylack geht davon aus, daß die bei Erwachsenen gewonnenen Erkenntnisse auch auf Kinder zu übertragen sind und macht Pädiatern und Internisten einige Vorschläge, wie das Kataraktrisiko ihrer Patienten bei der Anwendung inhalativer Glukokortikoide vermindert werden könnte: Nicht rauchen, UV-Exposition durch Tragen von Hüten und Sonnenbrillen einschränken, täglich Multivitamintabletten und mindestens drei Portionen von frischen Früchten oder grünblättrigem Gemüse zu sich nehmen. Diese wohlgemeinten und in mancher Hinsicht vielleicht nützlichen Anweisungen haben gleichwohl eine fatale Konsequenz. Sie bestätigen die bei Ärzten und Patienten verbreitete Sorge, daß auch bei der Anwendung der inhalierbaren Glukokortikoide größte Vorsicht geboten ist. Bei einem repräsentativen Telefoninterview erwachsener Asthmatiker in Kanada äußerten 59 % der Befragten Angst vor Nebenwirkungen inhalativer Glukokortikoide, davon 8 % vor einer Linsentrübung [[2]]. Die Auswirkungen dieser Ängste auf die Compliance bei Patienten und auf die Akzeptanz bei Müttern, denen eine möglichst frühe Behandlung ihrer Kinder übertragen werden soll [[3]] sind kaum zu überschätzen.
Bei der Durchsicht des umfangreichen Schrifttums über Nebenwirkungen inhalativer Glukokortikoide fällt auf, daß die Ergebnisse der Cumming-Studie selbst in methodisch anspruchsvollen Übersichtsarbeiten [[4]] nicht hinterfragt werden. Offenbar hat man aus den Diskussionen über das angebliche Risiko von β2-Agonisten wenig gelernt. Hier findet sich eine interessante Parallele zu unserem Thema. Die Autoren der berühmten Sascatchewan-Studie - einer großen Fall-Kontroll-Studie an 12301 Patienten, die von 1978 bis 1987 mit Asthmamitteln behandelt worden sind - ziehen eine Schlußfolgerung, die uns bekannt anmutet: „Die regelmäßige Anwendung von inhalierbaren β2-Agonisten ist mit einem erhöhten Risiko von lebensbedrohlichen oder tödlichen Asthmaanfällen assoziiert” [[5]]. Auch diese pharmakoepidemiologische Studie wurde einer Metaanalyse unterzogen. Das Ergebnis war, daß ein erhöhtes Risiko für die Anwendung von β2-Agonisten mit einem Dosier-Aerosol nicht bestätigt werden konnte. Nur bei der Inhalation über einen Vernebler, die besonders bei schweren therapieresistenten Fällen üblich war, ließ sich eine geringe statistische Beziehung nachweisen [[6]]. Wenn bei der Risikobeurteilung nicht nur die Medikation, sondern auch der Asthmaschweregrad berücksichtigt wurde, ergaben sich für alle Asthmamittel - Cromoglicinsäure, Theophyllin, β2-Agonisten, orale Glukokortikoide - vergleichbare Risiken. Die Schlußfolgerung der Autoren: „These results suggest that the problem of confounding is substantial in nonrandomized epidemiologic studies of asthma drugs” [[7]].
Dieser Satz erscheint mir als geeignete Überleitung zur Re-Analyse der Blue Mountains Eye Study von Hartung und Knapp. Die Aufschlüsselung des heterogenen Krankenguts in Subgruppen läßt die methodischen Probleme derartiger Studien erkennen. Die Analyse erlaubt die Aussage, daß systemische Glukokortikoide das Kataraktrisiko senken, womit die Ergebnisse der Studie insgesamt ad absurdum geführt werden.
Die Falsifizierung der Ergebnisse der Cumming-Studie beweist nicht, daß bei langfristiger Anwendung inhalierbarer Kortikoide kein erhöhtes Risiko einer Linsentrübung besteht, aber sie räumt einen Block aus dem Weg, der den Blick auf klinische Studien mit gut definierten Patientengruppen verstellt hatte. Übereinstimmend ergeben diese unter Langzeitbehandlung mit inhalierbaren Glukokortikoiden bei Kindern [[8], [9]] und bei Erwachsenen [[10]] kein erhöhtes Kataraktrisiko.
Literatur
- 1 Chylack L T. Cataracts and inhaled corticosteroids. N Engl J Med. 1997; 332 46-48
- 2 Boulet L P. Perception of the role and potential side effects of inhaled corticosteroids among asthmatic patients. Chest. 1998; 113 587-592
- 3 Szefler S J. Early intervention for childhood asthma: inhaled glucocorticoids as the „preferred” medication. J Allergy Clin Immunol. 1998; 102 719-721
- 4 Lipworth B J. Systemic adverse effects of inhaled corticosteroid therapy. Arch Intern Med. 1999; 159 941-955
- 5 Spitzer W O et al. The use of β-agonists and the risk of death and near death from asthma. N Engl J Med. 1992; 326 501-506
- 6 Mullen M et al. The association between β-agonist use and death from asthma. JAMA. 1993; 270 1842-1845
- 7 Rea H H et al. The association between asthma drugs and severe life-threatening attacks. Chest. 1996; 110 1446-1451
- 8 Simons F ER et al. Absence of posterior subcapsular cataracts in young patients treated with inhaled glucocorticoids. Lancet. 1993; 342 776-778
- 9 Abuekteish F et al. Posterior subcapsular cataract and inhaled corticosteroid therapy. Thorax. 1995; 50 674-676
- 10 Toogood J H et al. Association of ocular cataract with inhaled and oral steroid therapy during long term treatment of asthma. J Allergy Clin Immunol. 1993; 91 571-579
Prof. Dr. med. R. Wettengel
Karl-Hansen-Klinik
Antoniusstr. 19
D-33175 Bad Lippspringe