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DOI: 10.1055/s-2000-10852-5
Musik in Anaesthesie und Schmerztherapie
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
28. April 2004 (online)
Einleitung
In der Anästhesiologie ist die psychophysische Situation perioperativ gekennzeichnet von emotionalem Distress, Angst und oftmals Schmerzen [14] [20]. Die übliche pharmakologische Analgo-Sedierung findet ihre Grenzen dort, wo Medikamente per se unzureichend wirksam sind, oder so hoch dosiert werden müßten, daß die Kooperationsfähigkeit der Patienten zu stark eingeschränkt würde.
In der Schmerztherapie ist jeder chronische Schmerz ein den ganzen Menschen quälendes Phänomen.
Der psychophysische circulus vitiosus von Stress und Schmerz (Abb. [1]) gilt in beiden Situationen in gleichem Maße. Bewußte Wahrnehmung, Selbst(wert)gefühl und seelisches Befinden werden ebenso intensiv betroffen wie die neurovegetative Regulation des cardiovasculären Systems, humorale Regelungssysteme, motorische Steuerung, sensorische und sensible Informationsverarbeitung [6] [14] [12] [20].
Diese Ausgangssituation führte in unserem Hause zur Erprobung anderer als pharmakologischer Hilfsmittel, um den Patienten vor allem emotionale Unterstützung zukommen zu lassen. Es wurden optische, akustische und olfaktorische Reize erprobt. Klinisch bewährt hat sich sowohl in der Anaesthesie, wie auch in der Schmerztherapie der routinemäßige Einsatz einer „musikalischen” Angst- und Schmerzbekämpfung (Audioanxioalgolyse) [15].
Es zeigt sich in der routinemäßigen Anwendung bei inzwischen mehr als 120 000 Patienten, daß Musik als intensivstes emotionales Kommunikationsmittel für den Einsatz im Rahmen eines solchen Behandlungsansatzes prädestiniert ist (vgl. [1] [8] [16] [17].
Die moderne medico-functionale Musikwirkungsforschung hat verschiedene Angriffspunkte für sog. anxioalgolytische (angst- und schmerzlösende) Musik identifiziert (Abb. [2]). Insbesondere der musikalische Rhythmus zeigt sich als wirkungsvolles Strukturmerkmal.
Zwischen Musik und Heilkunde besteht eine uralte Partnerschaft. Solange es eine Heilkunde gibt, solange ist Musik ein integraler Bestandteil. Das älteste Zeugnis eines derartigen „funktionalen” Musikeinsatzes ist mehr als 10 000 Jahre alt. Es ist ein zur Heil-Zeremonien-Trommel umfunktionierter Mammut-Schädel, der in einer steinzeitlichen Siedlung in der heutigen Ukraine ausgegraben wurde. In den später folgenden Hochkulturen des Alten China, Ägyptens, im Zweistromland und erst recht in der Antike sind vielfältige Zeugnisse und Dokumente bildlicher und schriftlicher Art über eine Verwendung von Musik zu Heilzwecken überliefert (Übersicht bei [15]).
Literatur
- 1 Bardenheuer H J, Bolay V. Anaesthesie - Schmerz - Musik. 1. Interdisziplinärer Workshop, Klinik für Anaesthesiologie der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg 1998
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- 13 Sergent J. Mapping the musician's brain. Human Brain Mapping. 1993; 1 20-38
- 14 Spintge R. Psychologische und psycho-therapeutische Methoden zur Verminderung präoperativer Angst - ein Beitrag zur Beziehung Angst - Information - Musik. Med. Dissertation, Universität Bonn 1982
- 15 Spintge R, Droh R. Musik Medizin - Physiologische Grundlagen und praktische Anwendungen. Stuttgart: Fischer 1992
- 16 Spintge R. Verspannungsschmerz. Manual + 2 CDs. Polymedia Hamburg & Stuttgart: Klett-Cotta 1998b
- 17 Spintge R. Stress. Manual + 2 CDs. Polymedia Hamburg 1998b
- 18 Spintge R. Physiologie, Mathematik, Musik und Medizin. In: Berger L. (Hrsg.) Musik, Magie, Medizin. Paderborn: Junfermann 1998c: 15-30
- 19 Thaut M. Music versus metronome timekeeper in a rhythmic motor task. Int J Arts Medicine.. 1997; 5 (1) 4-12
- 20 Tolksdorf W. Das präoperative psychische Befinden. Med. Habilitationsschrift, Universität Heidelberg 1982
- 21 Zieglgänsberger W. Plädoyer für die präemptive Schmerztherapie mit Opioiden. StK Zeitschrift für angewandte Schmerztherapie. 1998; 14 (1) 5
Prof. Dr. med. Ralph Spintge
Abt. Algesiologie und Interdisziplinäre Schmerztherapie
Krankenhaus für Sportverletzte Hellersen
Paulmannshöher Straße 17
58515 Lüdenscheid