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DOI: 10.1055/s-2000-13132
Rauschgiftmortalität und Substitutionstherapie in Hamburg (1990-1998)
Drug Mortality Rate and Maintenance Treatment in Hamburg (1990-1998)Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Lange Zeit galt die Substitutionstherapie in Deutschland als kontraindiziert und wurde daher im Vergleich etwa zu Großbritannien oder den USA erst sehr spät in Modellvorhaben erprobt - insbesondere in Nordrhein-Westfalen seit 1988 und Hamburg seit 1990. Inzwischen gehört zwar diese Therapieform zu einer etablierten Maßnahme der Suchthilfe, die aber leistungsrechtlich immer noch erheblichen Restriktionen unterliegt. Nach wie vor gilt ferner betäubungsmittelrechtlich das Ultima-Ratio-Gebot. Insofern bleibt ein erheblicher Vorbehalt gegenüber der Substitutionstherapie bestehen. Dieser könnte belebt werden, wenn, wie in Hamburg 1998 eine Häufung von Todesfällen mit Methadoneinfluss sowohl bei Drogenabhängigen wie akzidentell im sozialen Umfeld von substituierten Patienten registriert werden musste (Schmoldt et al. 1999, Iwersen-Bergmann et al. 1999). In diesem Zusammenhang kann die Frage aufgeworfen werden, ob die Substitutionstherapie und ihre Durchführungsform sich negativ auf die Mortalität der Patienten auswirken.
Das Mortalitätsrisiko von Opiatabhängigen ist ca. 20- bis 25fach so hoch wie das der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung. Angesichts dieser Tatsache ist die essenzielle Bedeutung der Überlebenssicherung als Basisziel jeglicher Behandlung für die Beurteilung von Therapien und gesundheitspolitischen Maßnahmen evident.
Mit den hier vorgestellten Daten aus einem gemeinsamen interdisziplinären Forschungsprojekt zwischen Sozialwissenschaft, Suchtpsychiatrie und Rechtsmedizin soll eine angemessene Beurteilung möglich sein. Diese Daten sind insofern bemerkenswert, als es gelungen ist, über einen ungewöhnlich langen Zeitraum hinweg Informationen zu sammeln und zu verbinden, die eine genaue Effektivitätsmessung von einer Therapieform auf die Mortalität von behandelten, aber auch von nicht behandelten Opiatabhängigen erlauben.
In Hamburg erscheint eine Analyse der Drogentodesfälle der Jahre seit 1990 in besonderer Weise geeignet, Rückschlüsse auf die lokalen gesundheitspolitischen wie drogenepidemiologischen Vorzeichen zu erlauben: Der Stadtstaat, in seiner administrativen Einheit besonders gut überschaubar, erlaubte die Zusammenführung von Informationen aus verschiedenen Quellen zu einer umfassenden Synopsis. Schließlich wird in Hamburg seit 1990 eine Substitutionsbehandlung bei einer rasch ausgeweiteten Patientenzahl praktiziert - heute bei über 3000 Opiatabhängigen.[1]
Literatur
- 1 Bundeskriminalamt .Rauschgiftbericht 1998. Bundesrepublik Deutschland; 1998
- 2 Caplehorn J RM, Drummer O H. Mortality associated with New South Wales methadone programs in 1994: lives lost and saved. Med J Austr 1999; 170: 104-109.
- 3 Davoli M, Perucci C A, Forastiere F, Doyle P, Rapiti E, Zaccarelli M. Risk factors for overdose mortality a case control study within a cohort of intravenous drug users. Int J Epidemiol. 1993; 22 273-7
- 4 Dworksy N. 5 Jahre Erfahrungen mit Gesundheitsräumen. In: Krausz M, Raschke P Drogen in der Metropole Freiburg; Lambertus Verlag 1999: 205-216
- 5 Fugelstad A, Rajs J, Bottiger M, de Verdier G. Mortality among HIV-infected intravenous drug-addicts in Stockholm in relation to methadone treatment. Addiction 90 1995: 711-716
- 6 Grönbladh L, Öhlund L S, Gunne L M. Mortality in heroin addiction: impact of methadone treatment. Acta Psychiatr Scand. 1990; 82 223-227
- 7 Heinemann A, Ribbat J, Püschel K, Iwersen S, Schmoldt A. Rauschgifttodesfälle mit Methadonbeteiligung (Hamburg 1990-1996). Rechtsmedizin. 1998; 8 55-60
- 8 Heinemann A, Iwersen-Bergmann S, Schmoldt A, Püschel K. Epidemiologische und toxikologische Aspekte der Drogenmortalität in Hamburg 1990 bis 1998. In: Krausz M, Raschke, P Drogen in der Metropole Freiburg; Lambertus Verlag 1999
- 9 Iwersen-Bergmann S, Schmoldt A, Püschel K, Schulz M. Vergiftungs- und Todesfälle durch Substitutionsmittel im Umfeld von substituierten Drogenabhängigen. Rechtsmedizin 1999, im Druck
- 10 Raschke P, Püschel K, Heinemann A. Drogenhilfe und Drogentod bei Heroinabhängigen in Hamburg von 1990 bis 1996 (Forschungsbericht). Hamburg; Behörde für Wissenschaft und Forschung 1999
- 11 Raschke P, Püschel K, Heinemann A, Chorzelski G. Substitution und Drogentod. In: Krausz M, Raschke, P Drogen in der Metropole Freiburg; Lambertus Verlag 1999
- 12 Schmoldt A, Iwersen-Bergmann S, Stein S, Franzelius C, Heinemann A, Schulz M. Methadon-Todesfälle und -intoxikationen im Umfeld der Substituierten und bei Drogenkonsumenten. Hamburger Ärzteblatt. 1999; 3/99 111-112
- 13 Vaillant G E. 20-year follow up of New York narcotic addicts. Arch Gen Psych. 1973; 29 237-41
Fußnoten
1 Der vorliegende Artikel beruht auf einer Studie, die die Entwicklung der Drogenmortalität vor dem Hintergrund der Substitutionstherapie analysiert. Dabei fließen erste Ergebnisse einer umfangreicheren verlaufsorientierten Netzwerkanalyse ein, zu der verschiedene Hamburger Einrichtungen der Drogenhilfe beigetragen haben (siehe ausführlich in [3]).
2 [Eine Todesartendifferenzierung gemäß der Kategorien nicht-natürlicher Ereignisse wie Unfälle und Suizide sowie „quasi-natürlicher” Ereignisse bei Folgekrankheiten wie HIV/AIDS-Infektionen bleibt problematisch. In Intoxikationsfällen ist von der Anamnese her oftmals nicht sicher zwischen unbeabsichtiger „unfall”artiger Überdosierung und suizidaler Intention zu differenzieren. Gleiches gilt aber auch für gewaltsame Todesfälle unter Drogeneinfluss.]
3 19 Fälle ohne jeglichen begleitenden Morphinnachweis, 7 Fälle mit < 15 ng Morphin/ml Blut oder Nachweis nur im Urin.
4 Die Mortalitätsrate oder das Mortalitätsrisiko wird hier als Sterbewahrscheinlichkeit berechnet und der 100fache Wert angegeben.
5 Allerdings sind diese Unterschiede statistisch nicht signifikant. Die entsprechende Fallzahl ist klein. Die Gruppe der Substituierten mit gestörtem Substitutionsverlauf umfasst diejenigen, von denen bekannt wurde, dass sie die Therapie abgebrochen haben oder aus disziplinarischen Gründen entlassen worden waren oder dass sie zu einem (nicht tödlichen) Drogennotfall nach Therapiebeginn geworden sind.
6 Das erreichte Niveau der Rehabilitation wird anhand von sieben Kriterien gemessen: gesundheitlicher Zustand, psychische Verfassung, Umfang des Beikonsums, Wohnsituation, berufliche Rehabilitation, finanzielle Situation und soziales Umfeld.
1 Anmerkung zu Tab. 1 und 2: Der Abgleich der Todesfälle mit Daten zur Substitutionsvorgeschichte erfolgte Anfang 1999 und bezieht toxikologische Ergebnisse bis zum 31.12.1998 ein. In der Folge wurden nach Abschluss sämtlicher chem.-tox. Untersuchungen für 1998 4 weitere polizeilich registrierte Todesfälle mit Methadoneinwirkung gefunden.
Prof. Dr. Peter Raschke
Universität Hamburg
Fachbereich 05
Allende Platz 1
20146 Hamburg