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DOI: 10.1055/s-2000-13256
Suchttherapie: Eine neue Zeitschrift
Suchtherapie: A new journalPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)
Liebe Leserinnen und Leser,
was Sie in Händen halten, ist eine neue Suchtzeitschrift - nicht nur ein neues Heft einer altbewährten Zeitschrift, nein, eine neue Zeitschrift. Eine viermal jährlich erscheinende neue Zeitschrift in einem nicht ganz neuen Arbeitsfeld, wäre das denn nötig gewesen? Gibt es nicht schon genug ungelesene oder zu wenig gelesene Blätter, getränkt von dem Schweiß der Autoren und der Mühsal der Herausgeber? Hätte man nicht das eine oder andere Blättchen etwas aufpeppen können, um dem Mangel an Interesse zu begegnen? Und so mancher Herausgeber oder Funktionär mag vielleicht ebenfalls ins Grübeln kommen, wie er dem neuen Mitbewerber begegnen soll, mit mitleidigem Trost, dem Fehdehandschuh oder staatsmännischer Freude über mehr Interesse und Engagement im eigenen Arbeitsfeld. Jede für sich eine gut verständliche Reaktion und Ausdruck des gut bekannten Aha-, Oho- oder „Schaun’ mer mal”-Effektes. Wahrscheinlich ist es jeder neuen Zeitschrift in den letzten Jahrzehnten nicht viel anders gegangen.
Die Gründungen der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin im Dezember des Jahres 1999 und der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie im Februar dieses Jahres wurden wahrscheinlich mit ähnlichen Gefühlen betrachtet, ohne dass wir heute entscheiden können, ob sie eine wirkliche Neuentwicklung einleiten, einen positiven Wendepunkt in der Entwicklung darstellen oder lediglich Ausdruck des genetisch veranlagten Wunsches in deutschsprachigen Populationen sind, Vereine zu gründen, zu pflegen und wieder aufzulösen.
Herausgeber und Mitglieder des Advisory und Editorial Boards der „Suchttherapie” sind optimistisch und guter Hoffnung, dass ihr Konzept für eine neue Zeitschrift in einem alten Bereich das Spektrum erweitert und das Interesse der vielen Tausenden, die in der Suchttherapie arbeiten, finden wird:
Neue Zeitschriften und neue Fachorganisationen sind in unserer Gesellschaft erst einmal Ausdruck von Entwicklung, von wachsendem Interesse und von Bedürfnis nach Innovation und Veränderung. Auch dies ist nichts, was die ungeteilte Freude der Beteiligten hervorruft, aber ein wichtiger Ausdruck von weiterer Entwicklung, der es sich zu stellen gilt und aus der Konsequenzen zu ziehen sind. Die bis in die neunziger Jahre hinein kaum geförderte Suchtforschung erlebt zur Zeit in unserem Land eine sehr intensive Entwicklung, einen Zuwachs an Förderprogrammen mit den Projekten des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie das Entstehen von verschiedenen Arbeitsgruppen an mehreren Universitäten in der Bundesrepublik, von Bayern bis nach Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Mit dieser Zunahme an Forschungsaktivitäten wird sich in Zukunft auch die Frage der Forschungsorientierung, ihrer Versorgungsnähe sowie der zu prüfenden Forschungsparadigmen stellen. Dies ist kein Prozess, der frei ist von theoretischen und wissenschaftlichen Konflikten, wie man aus der Entwicklung der Psychiatrie lernen kann, das heißt: Es geht in den nächsten Jahren sowohl um die Orientierung in der Suchtforschung wie die Neuorganisation des Hilfesystems. Diese Diskussion bedarf eines Forums, das den Diskurs nicht nur zulässt, sondern fördert, das kein Meinungsblatt sein will, sondern dem es darum geht, auch Widersprüche produktiv und fruchtbar zu machen, um daraus Entwicklungen zu ermöglichen. Auch die Suchtkrankenhilfe ist aus verschiedenen Gründen in einer Situation, die vielfältige Veränderungen erwarten lässt bzw. bereits sichtbar macht. Der positivste Aspekt ist die Diversifikation von Behandlungsangeboten, die in verschiedensten Modellvorhaben, der Entwicklung neuer Interventionsformen und der Umorganisation des Versorgungssystems ihren Ausdruck findet.
Die enorme Mittelrestriktion und der Spardruck, die auch auf dem Suchthilfesystem lasten, erfordern ebenfalls eine konstruktive Antwort der Beteiligten und ein offenes, diskursives Forum über Erfahrungen, Probleme und Entwicklungstrends. Unserer Meinung nach ist die Entwicklung des präventiven und therapeutischen Systems in den deutschsprachigen Ländern ein offener Prozess. Ihn gemeinsam zu gestalten, unterschiedliche Erfahrungen zu präsentieren und von der Ebene der Einrichtung bis zum Träger, aus der Perspektive der Politik wie des einzelnen Therapeuten zu betrachten und zu debattieren erscheint uns eine wichtige Aufgabe. Die nächsten Jahre werden viele Veränderungen bringen. Wir möchten dazu beitragen, dass diese Veränderungen den Suchtmittelgefährdeten und -abhängigen zugute kommen und die Brisanz vieler Entscheidungen im Rahmen eines solchen Diskurses deutlich zu Tage tritt. In diesem Sinne möchten wir mit der neuen Zeitschrift zu einer Optimierung des Versorgungssystems, zu einer besseren Suchtvorbeugung und -therapie und einer qualifizierten, versorgungsorientierten Forschung beitragen.
Wie wollen wir das erreichen? Wir haben uns folgende „Leitplanken” gesetzt, um den fachlichen Austausch über Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit zu fördern:
Praxis- bzw. Versorgungsbezug. Die Suchttherapie hat ihren Fokus auf dem Praxisbezug. Durch die veröffentlichten Beiträge sollen Grundlagen und Ansätze von Suchtvorbeugung, -behandlung und -politik dargestellt und reflektiert werden. Auch grundlagenwissenschaftliche Themengebiete können in diesem Rahmen aufgegriffen werden - unter der expliziten Frage, welche Anregungen sich daraus für die Versorgungs- und Behandlungspraxis ergeben. Schwerpunktorientierung. Kern jedes Heftes der Suchttherapie bildet ein Schwerpunktthema (Heft 1: Komorbidität). In prägnanter, kurzer Form wird in Übersichtsbeiträgen der aktuelle Kenntnisstand zu dem jeweiligen Themenbereich dargestellt. Beiträge aus Praxiseinrichtungen sind dem Schwerpunktthema zugeordnet und dienen dazu, die Umsetzung theoretischer Konzepte zu verdeutlichen. Die Suchttherapie möchte damit „interessierte Praktiker”, aber auch Forscher ansprechen, die sich in kompakter Form über ausgewählte Themenbereiche informieren möchten. Breite des Gegenstandsbereiches. Gegenstand der Suchttherapie bilden die unterschiedlichsten Behandlungsverfahren, aber auch die Bereiche der Epidemiologie, Prävention, Versorgungsstrukturen und die gesellschaftliche Einbettung von Suchtverhalten. Aktualität. Wir greifen in jedem Heft Themenstellungen auf, die wir in der gegenwärtigen Diskussion für zentral und aktuell halten. In diesem Sinne werden wir nach der Komorbidität (Heft 1) die gegenwärtig in Deutschland vorbereitete heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger zum Gegenstand machen (Heft 2) und anschließend auf aktuelle Entwicklungen der Suchtrehabilitation und Qualitätssicherung eingehen (Heft 3). Interdisziplinarität. Die Suchttherapie ist als Sprachrohr verschiedenster Fachdisziplinen gedacht, die sich am Diskurs über Suchtfragen in dieser Gesellschaft beteiligen möchten. Die Auswahl der Themenschwerpunkte und Autorinnen/Autoren, aber auch die Aufbereitung der einzelnen Beiträge soll für Leserinnen/Leser unterschiedlichster Fachdisziplinen attraktiv sein. Mitteilungen einzelner Fachgesellschaften (z. B. „Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin”, „Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie”) sollen dem gegenseitigen Informationsaustausch dienen und berufsgruppenspezifische Arbeits- und Forschungsschwerpunkte transparent machen. Wir begrüßen ausdrücklich, wenn sich auch Autorinnen und Autoren aus Sozialpädagogik/Sozialarbeit - der Berufsgruppe, die Suchtbehandlung wesentlich mitgestaltet - zu Wort melden. Wissenschaftliche Seriosität. Grundlage der Beiträge in der Suchttherapie stellen die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und reflektierter, begründeter Praxiskonzepte dar. Mit anderen Worten soll sich in den theoretischen und empirischen Beiträgen der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand niederschlagen und Praxiskonzepte sind daran zu messen, inwieweit sie dem internationalen Know-how in der Vorbeugung, Behandlung und Begleitung von Suchterkrankungen gerecht werden. Kontroverser Diskurs. Suchtarbeit ist (im Versorgungs- wie Forschungssektor) anfällig für Lehrmeinungen, Dogmen, Glaubenshaltungen und Einäugigkeiten - selten zum Nutzen derer, die durch Abhängigkeit in permanente und vielfältige Probleme verstrickt sind. Die Suchttherapie versteht sich als offen gegenüber unterschiedlichen theoretischen und praktischen Ansätzen. Bestehendes soll durch kontroverse Diskurse hinterfragt und weiterentwickelt werden. Internationaler Blickwinkel. Die Suchttherapie ist bestrebt, wichtige internationale Behandlungs- und Forschungsansätze aufzugreifen und in die hiesige Diskussion einzuspeisen. Auf diese Weise soll die Möglichkeit eröffnet werden, über den manchmal lähmenden eigenen Tellerrand zu blicken.
Die einzelnen Hefte der Suchttherapie werden - wie das Ihnen vorliegende - ähnlich aufgebaut sein: Im Mittelpunkt steht ein Schwerpunktthema, daneben werden aber auch aktuelle Originalbeiträge und Kasuistiken zu finden sein. Ein Wettbewerb, der mit Gratisabonnements honoriert wird, soll die Einreichung von Kurzkasuistiken stimulieren. Einen breiten Raum wird die aktuelle Berichterstattung zu suchtpolitischen Ereignissen, wissenschaftlichen Kongressen und Ausschreibungen einnehmen, aber auch Buchbesprechungen und Kommentare zu neuen Gesetzen oder Durchführungsverordnungen werden nicht zu kurz kommen. Ein internationales Fenster wird den Blick auf Suchtforschung und Interventionszugänge weltweit offen halten.
Unterstützt vom Thieme Verlag stellen wir uns dieser Herausforderung als Team von Herausgebern und Mitherausgebern, das in den nächsten Heften im Einzelnen vorgestellt werden soll. In Form der Mitglieder des Advisory und Editorial Boards wird die neue Zeitschrift getragen von in der Suchttherapie engagierten Leitenden Ärzten und Psychologen, Hochschullehrern für Psychiatrie und Psychologie, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Suchtforschungszentren, Sozialwissenschaftlern sowie Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen anderen Disziplinen.
Das Engagement der Mitglieder des Editorial und Advisory Board steht nicht zuletzt für ein wohlüberlegtes gemeinsames Anliegen. Wir hoffen, dass dies auch unsere potenziellen Leserinnen und Leser so sehen und die neue Zeitschrift als diskursives Forum Erfolg hat.
Prof. Dr. Joachim Körkel
Evangelische Fachhochschule Nürnberg,
Fachbereich
Sozialwesen
Bärenschanzstraße 4
90429 Nürnberg
eMail: joachim.koerkel@evfh-nuernberg.de
Prof. Dr. Michael Krausz
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der
Universität Hamburg (ZIS) c/o
Zentrum für
Psychosoziale Medizin,
Psychiatrie und Psychotherapie im UKE
Martinistraße 52
20246 Hamburg
eMail: krausz@uke.uni-hamburg.de