NOTARZT 2000; 16(4): 141-142
DOI: 10.1055/s-2000-3809
DER TOXIKOLOGISCHE NOTFALL
Der toxikologische Notfall
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Jähes Ende einer Party

F. Martens
  • Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Der Fall

Die Notärztin wird in den frühen Abendstunden unter dem Alarmierungsstichwort „Plötzliche Bewusstlosigkeit” in ein gepflegt wirkendes Einfamilienhaus gerufen. Von den teilweise alkoholisierten Anwesenden einer Familienfeier erfährt sie, dass der 56-jährige Gastgeber zunehmend schläfrig geworden sei. Dies habe man auf den Genuss zahlreicher Schnäpse zurückgeführt. Plötzlich sei dann ein Zucken des gesamten Körpers aufgetreten und nach dessen Ende sei er nicht mehr ansprechbar gewesen. Zur Eigenanamnese erfährt die Notärztin von „Herzproblemen” vor drei Jahren, ansonsten sei der Patient immer gesund gewesen und arbeite als Rohrleger.

Bei der klinischen Untersuchung fällt ein deutlicher Foetor alcoholicus auf. Selbst auf stärkste Schmerzreize zeigt der Patient keine Reaktionen. Die Pupillen sind weit und reagieren verlangsamt auf Licht. Auffällig sind myoklonieähnliche Muskelzuckungen vor allem der oberen Extremitäten. Während der weiteren Untersuchung tritt ein erneuter Grand-mal-Anfall auf, der nach etwa 60 Sekunden sistiert. Der inzwischen angeschlossene Monitor zeigt eine Sinustachykardie von 140/min. Es wird ein Blutdruck von 110/60 mm Hg gemessen. Die Spontanatmung wird von röchelnden Geräuschen begleitet; aus dem linken Mundwinkel rinnt ein zarter Blutfaden, wohl als Folge eines Zungenbisses. Die pulsoxymetrische Sättigung beträgt 89 %.

Nach Legen einer Venenverweilkanüle, Absaugen des Mundraumes und Präoxygenierung mittels Maske und Sauerstoff intubiert die Notärztin den Patienten orotracheal. Anschließend wird der Patient mit Hilfe des Oxylogs beatmet.

Unter den Verdachtsdiagnosen Alkoholintoxikation, Krampfanfall unbekannter Ursache, fragliche Herzkrankheit wird ein vollständiges EKG abgeleitet. Dort findet sich wiederum die Sinustachykardie bei Linkslagetyp, QRS-Breite 0,13 s, keine Repolarisationsstörungen. Nach Legen einer Magensonde wird der Patient unter EKG-Monitoring und SaO2-Kontrolle in die Intensivstation des nahegelegenen Universitätsklinikums eingeliefert.

Das sofort angefertigte Computertomogramm des Schädels ergibt keine pathologischen Befunde. Bei fortbestehendem, tiefem Koma wird die Beatmung fortgeführt. Die Befundkonstellation von Mydriasis, Koma, Myklonien, Krampfanfälle, auffällig trockene Schleimhäute, Fieber von 40,2 °C rektal und Sinustachykardie erinnert an ein anticholinerges Syndrom. Zusammen mit der auffälligen QRS-Verbreiterung sowie einzelnen VES legt dies den Verdacht auf eine Intoxikation nahe. Deshalb werden Urin, Magensaft und Blutproben zur toxikologischen Analytik eingesandt. Ventrikuläre Salven lassen sich mit einzelnen Gaben von Lidocain beseitigen. Die zurückliegenden Krampfanfälle erklären die erhöhte Kreatinkinase von 670 U/l; nicht erhöhtes Troponin lässt eine myokardiale Schädigung weitgehend ausschließen. Das toxikologische Screening ergibt schließlich den Nachweis von Benzodiazepinen, Ethanol, Lidocain und Amitriptylin (1,2 mg/l). Nach Bekanntwerden dieser Ergebnisse erhält der Patient über die orogastrale Sonde 25 g Aktivkohle alle 4 Stunden. Nach Bekanntwerden der Vergiftungsdiagnose findet die Familie im Haus schließlich leere Behälter eines amitriptylinhaltigen Medikamentes. Als schließlich noch ein Kündigungsschreiben des Arbeitgebers des Patienten zu Hause eintrifft, bleibt kaum ein Zweifel an einem Suizidversuch. Nach insgesamt vier Tagen Beatmung kann der Patient extubiert und nach Abklingen eines zweitägigen Durchgangssyndroms in die Psychiatrie verlegt werden.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum

Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

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